




Fast schon anstrengend ist die Mentalität deutscher Top-Manager, über Jahre hinweg dem in den Brunnen fallenden Kind tatenlos hinterherzuschauen, um dann kurz nach seinem Aufprall die Mutti oder die Nanny anzurufen.
Aktuell ruft der Daimler-Entwicklungsvorstand Ach und Weh in einem Wirtschaftswoche-Artikel namens: "Jedes zusätzliche Gramm CO2 ist teuer".
Dann versucht es doch mit mehr Hirn! Wir brauchen übrigens nicht quantitativ mehr Hirn, ganz im Gegenteil. Von dem heute vorhandenen Hirn brauchen wir dringend weniger - denn da scheint es sich um Read-Only-Memory aus dem letzten Jahrtausend zu handeln. Obsolet.
Nein, wir brauchen, mehr qualitativ-hochwertiges Hirn. Sich selbst und sein Handeln infragestellendes Hirn. Neugieriges, unzufriedenes Hirn. Muster-erkennendes und relevante Herausforderungen ergreifendes Hirn. Lösungen - nicht Ablenkungen - produzierendes Hirn.
Wo sind die Aktionäre, die diesem Nicht-Denken und Nicht-Handeln endlich den Garaus machen? Wo sind die Aktionäre, die weise genug sind, die Zukunft, den Wandel, den Quantensprung gegenüber der Vergangenheit, dem Stillstand, dem inkrementellen Trippelschrittchen zu priorisieren?
Welcher Aktionär kann Aufsichtsrat und Vorstand die Stirn bieten, Gesunden Menschenverstand demonstrieren, dem Management nochmal den Markt an sich erklären, bitte!?
1. Der Daimler-Entwicklungsvorstand Weber: "... wie groß der Anteil der Elektromotoren an der Flotte im Jahr 2020 sein werde - hänge stark von der Nachfrage ab ...".
Hilfe! Herr Weber hat immer noch nicht verstanden, dass in der wahren Marktwirtschaft Unternehmen Angebote - also Märkte - kreieren. Vor der Nachfrage muss das Angebot am Markt platziert sein und die Nachfrage via Relevanz wecken. Lange vor diesem Angebot muss die Entwicklungsabteilung die Innovation leben, strukturell und kulturell auf Wandel, Fortschritt und Zukunftsfähigkeit ausgerichtet sein - um selbst Zukunft zu erschaffen. Innovation - Angebot - Nachfrage, nicht vice versa.
Bestehende Nachfrage schafft Me-Too-Produkte und kurzfristige Vorteile. Erst distinktive, also einzigartige und relevante Produkte und Services kreieren nachhaltigen Erfolg.
2. "Die Politik müsse noch mehr Anreize schaffen ...".
Nein, Herr Weber, nicht die Politik muss Anreize schaffen, sondern die Unternehmen, die Innovations- bzw. Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Ja, genau der Vorstandsbereich, den Sie leiten. Das begeisternde Produkt ist der Anreiz für den Konsumenten.
Bonus und Gehalt sind nur Hygienefaktoren





Übrigens sollten Sie idealerweise auch Ihren Job genauso begreifen. Auch der Anreiz jedes Mitarbeiters, seinen Job zu machen, sollte das begeisternde Produkt, die Herausforderung und deren erfolgreiche Meisterung sein. Nicht Bonus und Gehalt, das sind nur Hygienefaktoren.
3. "Inzwischen gebe ich schon seit Jahren 50 Prozent meines Forschungs- und Entwicklungsbudgets dafür aus, diese höchst anspruchsvollen Ziele zu erreichen" ... "2012 lagen die Forschungsausgaben für den Konzern bei gut 5,6 Milliarden Euro".
Nun, das müssten dann nach Adam Opel 20.000(!) Millionen Euro gewesen sein, die Sie allein in den letzten vier Jahren für Gimmicks und Designfortschreibungen aus dem Fenster warfen. Mit der Hälfte (Ihre 50 Prozent = 10.000 Millionen Euro) hätte man die ein oder andere Batterie entwickeln können.
Zudem liegt doch auf der Hand, dass Sie viel zu viel Geld in die Hand nehmen müssen, wenn Ihre Abteilung sich die falschen, da kurzfristig und inkrementell orientierten Ziele setzt, Sie entsprechende Menschen eingestellt und entsprechende Denk- und Organisations-Strukturen vorgegeben haben, um die Erfolge von gestern zu zementieren. Tatsächlich haben sich die Zeiten geändert.
Neues Denken schon.
4. "... jedes zusätzlich eingesparte Gramm CO2 ist unglaublich aufwendig und teuer ...".
Sie sollten nicht über "zusätzlich" nachdenken, sondern über 'grundsätzlich'. "Zusätzlich" läuft mit dem Kopf gegen Wände - 'grundsätzlich' reisst genau diese Wände ein.
5. "Technisch könne man fast nicht mehr tun ...".
Industrie
Wenn man am Ende ist, und das kann ich verstehen nach 125 Jahren inkrementellen Herumschraubens ohne Quantensprünge, dann muss man den Sprung über den eigenen Schatten wagen. Gar den Sprung über den eigenen Horizont. Heraus aus der selbstgezimmerten Box. Dann braucht man neue Inspirationen, ein neues Denken, neue Vernetzung, neues Hirn und frisches Blut.
Aber ehrlich, ich kann dieses Lamentieren nicht mehr hören. Wir haben es mit Vorstandsmillionären zu tun. Trotz ihrer fürstlichen Alimentation machen sie einfach nicht ihren Job. Sie drehen sich seit Jahrzehnten im Kreise. Exkulpieren sich gegenseitig und bremsen den mentalen und materiellen Wohlstand nicht nur ihrer Unternehmen, sondern unseres ganzen Landes aus.
Das geht in mein Hirn nicht rein.
Beim besten Willen nicht.
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