Höher hätten die Lobeshymnen auf die Mobilität der Zukunft nicht ausfallen können. Als „Gamechanger“ feierten damalige Vorstände den Startschuss beim Carsharing. „The sky is the limit“, tönten die Manager. Doch seit Dienstag ist klar: ShareNow wird an Konkurrent Stellantis verkauft. Mercedes und BMW beenden ihren Ausflug in das Geschäft mit alternativen Mobiliätsservices.
Die Autobauer aus Stuttgart und München sind damit endgültig im Carsharing gescheitert. Ein Rückblick zeigt, wie die Unternehmen viele Hoffnungen von Anfang an enttäuscht haben, eine Anpassung ihres Geschäftsmodells versäumten und Konkurrenten davon ziehen ließen.
Kapitel eins: Alles war zu viel, nichts zu wenig
Mercedes war Vorreiter beim Carsharing – und wollte irgendwann zu viel. Der Start von Car2Go in Ulm 2008 war als Innovationsprojekt geplant und begeisterte schnell die Verbraucher. Das Ausleihen von Autos im Stadtgebiet, die innerhalb einer bestimmte Zone beliebig abgestellt werden konnten, war revolutionär. Die Kundenzahl stieg – und damit die Ambitionen.
Car2Go expandierte weltweit, als wären Verluste egal. Von Anfang an zeichnete sich ab, dass die Fixkosten für das Geschäft viel zu hoch sind. Eine Internationalisierung kostete dazu noch Unsummen mehr. Car2Go war selbst in vergleichsweise unbedeutenden Städten wie Minneapolis, St. Paul und Eugene in den USA oder Chongqing in China aktiv – und zog sich bereits wenig später zurück. Die Expansionsgelüste waren höher als die Aussichten auf Profit. Die hohen Verluste waren ein Grund, warum sich Car2Go 2019 mit DriveNow von BMW zusammentat.
BMW ging übrigens einen anderen Weg: Operativ wollten die Bayern zeigen, dass sich das Geschäftsmodell lohnt – und konzentrierten sich ausschließlich auf wenige Städte wie Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf und Köln. Das Unternehmen schaffte es in einigen Städten wie Berlin sogar, beim reinen Betrieb operativ ins Plus zu fahren. Doch mehr Städte traute sich die BMW-Tochter nicht zu. Vielleicht wäre eine Mischung aus beiden Strategien die bessere gewesen.
Kapitel zwei: die versäumte Anpassung
BMW und Sixt waren einst enge Partner – und betrieben die Carsharingtochter DriveNow gemeinsam. Irgendwann hatte einer von beiden keine Lust mehr. Der Mietwagenanbieter Sixt, der bei dem DriveNow-Projekt vor allem die IT beisteuerte, zog sich 2018 zurück – und startete wenig später seinen eigenen Carsharingdienst.
Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie sich Sixt weiter entwickelt hat, während BMW auf der Stelle geblieben ist. Denn heute feiert sich Sixt für den Schritt, sein Geschäftsmodell erweitert zu haben. Sixt vermietet Mietwagen – das ist das Hauptgeschäft. Vor allem am Wochenende aber sind die Flotten unterausgelastet. Daher überführt Sixt die Autos an bestimmten Tagen in die Kurzzeitmiete. Nutzer der Sixt-App können so Autos dauerhaft mieten (Rent) oder für wenige Minuten ausleihen (Share). Darüber hinaus vermittelt Sixt Chauffeurdienste (Ride).
Außerdem hat Sixt nicht nur Autos im Angebot, sondern auch Elektroroller und Kickroller von Tier. BMW und auch Daimler haben es früh versäumt, ihr Geschäftsmodell auf neue Mobilitätsdienste zu erweitern. Es gab zwar weitere Apps, die etwa die Parkplatzsuche oder die Taxibestellung ermöglichten. Aber eine „All-in-one“-App gab es nicht.
Kapitel drei: die missglückte Fusion
Eine Optimierung versprachen sich die Unternehmen dann 2019. Als sich Daimler und BMW entschieden, die bis dato verlustreichen Carsharing-Aktivitäten unter ein Dach zu bringen, war die Hoffnung groß, dass aus eins plus eins drei werden könnte. Die Unternehmen wollten Synergien heben, sich selbst weniger Konkurrenz machen und gemeinsam ein grundsolides Carsharingnetz aufbauen.
Doch wie so oft, wenn zwei ungleiche Partner zusammengehen, ergibt sich nicht immer automatisch das Beste aus zwei Welten. Schon allein die Wahl des Firmennamens ließ damals tief blicken. Aus den gut eingeführten Markennamen Car2Go (Daimler) und DriveNow (BMW) wurde ShareNow. Autos mussten umlackiert und die neue Marke mit großem Tamtam beworben werden. Sinnbildlich für den gescheiterten Markenauftritt wurde die Umbenennung des Rufdienstes MyTaxi in FreeNow. Die Autobauer zerstörten eine hippe und innovative Marke, um dem fusionierten Unternehmen eine „Now“-Logik zu geben. Die Dienste von Daimler und BMW hießen fortan ParkNow (Parkplatzsuche), ChargeNow (E-Ladestationen), ReachNow (Routenplaner), ShareNow (Carsharing) und FreeNow (ehemals MyTaxi). Bei FreeNow wurde sogar die Company-Farbe von gelb auf rot ausgewechselt.
Doch außer dem Zusatz „Now“ war vielen Beobachtern nicht ganz klar, wohin die Reise gehen sollte. Ursprünglich setzten die Unternehmen ausschließlich auf eigene Konzernmarken: Daimler integrierte Smart, die A- und B-Klasse; BMW setzte auf die Minis, die 2er Reihe und i3-Elektroautos. Nach der Fusion wurden einige Marken entfernt – und Drittmarken hinzugeholt. So gehört inzwischen auch der Fiat500 zur Flotte von ShareNow – vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen. Dem Markenauftritt hilft das wenig.
Kapitel vier: die fehlende Innovationskraft
Auf der Strecke blieb nach der Fusion auch der Wille zur Innovation. Am besten lässt sich das daran ablesen, wie das Unternehmen die Fragen zur Elektromobilität beantwortet. Bei den Vorgängern Car2Go (Elektro-Smarts) und DriveNow (i3) wurden batteriebetriebene Fahrzeuge zumindest zeitweise in der Flotte geführt. Nach der Fusion wurden sie sukzessive ausgemustert. In Berlin etwa befindet sich derzeit kein E-Auto mehr in der Carsharing-Flotte.
Anders sieht es bei WeShare aus – der direkten Konkurrenz von ShareNow. Die Volkswagen-Tochter hat sich zum Ziel gesetzt, das Carsharing-Angebot zum Schaufenster für klimaneutrale Mobilität zu machen und setzt ausschließlich auf Elektroautos. Es begann mit dem elektrifizierten Golf. Inzwischen stehen an vielen Orten der Hauptstadt die Modelle ID.3 und ID.4. Es gibt viele Berliner, die bei ShareNow und WeShare angemeldet sind, aber zuerst schauen, ob sich in der Nähe ein WeShare befindet. Die Mercedes- und BMW-Tochter ShareNow will bei der Elektromobilität offenbar nicht mehr mitmachen.
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