Das eine oder andere Highlight, das Harald Krüger demnächst vorstellen will, ließ er bereits in die Öffentlichkeit durchsickern: ein paar zusätzliche Luxuslimousinen zum Beispiel oder ein weiteres Modell eines Elektroautos. Das klingt schön und nett. Doch Krüger, seit rund zehn Monaten an der Spitze von BMW, weiß, dass er mehr bringen muss.
Nach den fünf profitreichsten Jahren der Konzerngeschichte braucht der Autobauer neue Perspektiven. Zum 100-jährigen Firmenjubiläum am Montag in der Münchner Olympiahalle ist der Blick in die Zukunft Pflicht. Nach allem, was sich hinter den Kulissen andeutet, plant Krüger für den Konzern mit gut 116.000 Mitarbeitern und 80 Milliarden Euro Umsatz einen Aufbruch, der weit über ein paar zusätzliche Luxus- und Elektroautos hinausgeht.
Eine Woche nachdem das rauschende Fest ausgeklungen ist, wird der 50-Jährige die Strategie bis 2025 vorstellen, die eine Projektgruppe in den vergangenen 18 Monaten erarbeitet hat.
Meilensteine der BMW-Geschichte
Gründung der Bayerischen Flugzeugwerke in München
Umbenennung in Bayerische Motorenwerke (BMW)
Bau des ersten Motorrads, der R32
Übernahme der Fahrzeugwerke in Eisenach und Bau des ersten BMW-Autos Dixi, mit Lizenz des englischen Autobauers Austin
BMW entwickelt den 303 – mit der seither charakteristischen Niere als Kühlergrill.
BMW baut Motoren für die Luftwaffe und beschäftigt rund 25.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Nach Kriegsende verliert das Unternehmen das Werk Eisenach.
Erstes Nachkriegsauto ist 1952 der große „Barockengel“ 501, 1955 folgt die winzige Isetta.
BMW steckt tief in den roten Zahlen, die 6500 Mitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze, Daimler will BMW übernehmen. Überraschend steigt der Batteriefabrikant Herbert Quandt als Sanierer ein.
Das Mittelklasse-Auto BMW 1500 bringt den Durchbruch.
Eberhard von Kuenheim wird Vorstandschef. In seiner 23-jährigen Amtszeit expandiert BMW weltweit.
Start der 3er-Reihe – bis heute das meistverkaufte BMW-Modell
Das US-Werk Spartanburg wird eröffnet, zudem wird der englische Autohersteller Rover (Land-Rover, MG, Mini) gekauft.
Nach Milliardenverlusten mit Rover zieht BMW die Reißleine, nur der Mini bleibt im Konzern. Joachim Milberg löst als Vorstandschef Bernd Pischetsrieder ab.
BMW startet das erste Joint Venture in China
BMW verkauft mehr Autos als der bisherige Marktführer Mercedes – auch dank des 2003 erstmals eingeführten Kompaktmodells der 1er Baureihe.
Im BMW-Werk Leipzig läuft das Elektroauto i3 vom Band – mit einer modernen Kohlefaser-Karosserie.
Der Kern des Plans, der das Programm Number One von Krügers Vorgänger Norbert Reithofer ersetzt, ist nach Informationen der WirtschaftsWoche die vollständige Transformation des Autoherstellers in einen digitalisierten Mobilitätskonzern, dessen Geschäfte weit über den Verkauf von Autos hinausgehen. Krüger weiß, dass er mit dem Werbespruch „Freude am Fahren“ diejenigen, die mit Internet und Smartphone großgeworden sind, auf Dauer nicht mehr erreichen kann.
BMW hat digitalen Nachholbedarf
Das wird er nur, wenn er das Auto in einen fahrenden, voll vernetzten Computer verwandelt – bevor Apple, Google und Co. ihm dabei zuvorkommen. Und Krüger weiß, dass BMW hier Nachholbedarf hat. „Das Thema Digitalisierung geht quer durch alle Bereiche des Konzerns“, sagte er der WirtschaftsWoche. „Das muss man optimieren.“ Die Fahrt in die digitale Zukunft vorantreiben soll nach Informationen der WirtschaftsWoche Jens Monsees. Der 45-Jährige war schon einmal bei BMW, wechselte dann für sieben Jahre zum Internetgiganten Google, wo er unter anderem als Automotive Director digitale Marketingstrategien für alle großen deutschen Autokonzerne ausarbeitete.
Danach restrukturierte er als Chief Digital Officer im Vorstand der Bertelsmann-Tochter Arvato den Verkauf und die IT. Krüger ernannte den studierten Betriebswirt vor Kurzem unbemerkt von der Öffentlichkeit zum neuen Vice President Digital Strategy von BMW, also zum ranghöchsten Digitalisierer im Konzern. Monsees berichtet an den BMW-Chefstrategen Markus Schramm und soll eine neue, rund 20 Mitarbeiter starke Abteilung aufbauen, die vorhandene Projekte des Konzerns rund um die Digitalisierung bündeln und neue Geschäftsmodelle ersinnen soll: vom 3-D-Druck in der Produktion über den Autoverkauf im Internet bis zu Big Data, also die Nutzung riesiger Datenmengen zum Einsatz im Unternehmen.
Monsees gilt als digitaler Innovator. In seiner ersten Zeit bei BMW entwickelte er BMWTV, ein preisgekröntes Internetportal, auf dem Videos rund um neue Produkte und Veranstaltungen aus der BMW-Gruppe zu sehen sind. „Ein Unternehmen zu digitalisieren“, sagte Monsees einmal bei einem öffentlichen Auftritt, „bedeutet nicht nur, neue Technologien einzuführen, sondern vor allem Organisation, Kultur und Kommunikation zu verändern.“ Da gibt es für Monsees bei BMW viel zu tun.
IT steht bislang am Ende der Nahrungskette
Denn bei Fahrzeugtechnik und Innovationsstärke hat BMW gegenüber Wettbewerbern verloren. Im entsprechenden Index auf Basis von Daten des Center of Automotive Management liegt BMW nur auf Platz sechs. Das ist eine Altlast, die Krüger von seinem Vorgänger Reithofer übernommen hat. Das Sagen haben in München noch immer Maschinenbauer und Motorentwickler. IT und Software dagegen stünden „ganz hinten in der Nahrungskette“, sagt ein Kenner, der in Digitalisierungsprojekte bei BMW involviert ist: „Bei der Entwicklung werden IT-Aufgaben regelmäßig vergessen oder zu spät bedacht.“
Gleichzeitig ist es BMW bis heute nicht gelungen, genug IT-Fachleute anzuheuern. Hunderte Stellen in der IT sind derzeit unbesetzt. Die vorhandenen über 4000 Softwareexperten seien schon jetzt überlastet, sagt ein Mitarbeiter. Die Abteilung befinde sich nach mehrfacher Umstrukturierung an der Grenze zur Handlungsunfähigkeit und habe intern einen extrem schlechten Ruf. Hinzu kämen Grabenkämpfe zwischen der gegenwärtigen Digitalisierungs- und der IT-Abteilung. „Die Stimmung“, so der Mitarbeiter, „nähert sich dem Tiefpunkt.“
Belegschaftsstrukturen der BMW- und Porsche-Werke Leipzig
BMW: 10 714
Porsche: 7797
Quelle: Unternehmen; Stand: November 2015
BMW: 43,9 Prozent
Porsche: 46,2 Prozent
BMW: 25,2 Prozent
Porsche: 22,4 Prozent
BMW: 16,8 Prozent
Porsche: 18,0 Prozent
BMW: 14,1 Prozent
Porsche: 13,4 Prozent
Eine hinderliche Rolle spielen dabei Elmar Frickenstein, Leiter der Entwicklung Elektronik, und Klaus Straub, der für die IT des Konzerns verantwortlich ist. Beide seien keine Teamplayer. „Sie schenken sich, wann immer möglich, gegenseitig einen ein“, sagt ein Insider. Das Gerangel könnte bald ein Ende haben. Krüger will die Entwicklungsabteilung umbauen. Als Termin kursiert der 1. April. Und – kein Scherz – dabei könnte sogar ein Vorstandsressort Digitalisierung herausspringen. Krüger wollte das gegenüber der WirtschaftsWoche jedoch nicht kommentieren.
BMW muss mit alten Traditionen brechen
Will Monsees Erfolg haben, wird er die BMW-Chefetage überzeugen müssen, mit alten Traditionen zu brechen. Dazu gehört auch, mit Innovationen offensiver aufzutreten. Während sich Elon Musk, der Gründer des kalifornischen Elektroautoherstellers Tesla, als Heilsbringer der Elektromobilität und der dezentralen Energieversorgung in Szene setzt, machen sich die Bayern eher bieder und klein.
Die Quandts und BMW
Nach dem Tod des Unternehmers Herbert Quandt 1982 hatten seine Witwe Johanna und ihre beiden Kinder die BMW-Anteile und die Mehrheit am Chemiekonzern Altana geerbt. Johanna Quandt war ab 1982 im Aufsichtsrat, von 1986 bis 1997 war sie stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Dann überließ sie diese Arbeit ihren Kindern. Johanna Quandt hielt 16,7 Prozent, Sohn Stefan hält 17,4 Prozent und Susanne Klatten 12,6 Prozent an BMW.
Die starke Stellung der Familie hatte in den vergangenen Jahren für große Kontinuität bei dem Münchner Konzern gesorgt. Johanna Quandt habe dem Unternehmen „Rückhalt und Sicherheit gegeben“, sagte der Vorstandschef Harald Krüger der „Süddeutschen Zeitung“. Auch ihre Kinder haben gezeigt, dass sie nicht an schnellen Renditen interessiert sind, sondern langfristig denken.
Nach dem milliardenschweren Desaster durch die Übernahme des britischen Autobauers Rover hätten die Geschwister die Ablösung des damaligen Vorstandschefs Bernd Pischetsrieder forciert, hatte das „Manager Magazin“ berichtet. „Auch den Chefwechsel von Joachim Milberg zu Joachim Panke leiteten die beiden ein.“
Der 50-jährige Stefan Quandt hatte in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen studiert und danach bei dem seiner Familie gehörenden Unternehmen DataCard in den USA und Hongkong gearbeitet. Dem Vater einer Tochter gehört neben dem BMW-Paket auch der Logistikkonzern Logwin.
Seine vier Jahre ältere Schwester Susanne hatte in England und in der Schweiz Betriebswirtschaft studiert. Die Mutter dreier Kinder wird von dem US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ als reichste Frau Deutschlands geführt, mit einem geschätzten Vermögen in zweistelliger Milliardenhöhe. Ihr gehören auch der Chemiekonzern Altana, und sie ist Großaktionärin bei dem Auto- und Flugzeugzulieferer SGL Carbon.
Alle Welt spricht etwa vom Solarstromspeicher Powerwall von Tesla, aber niemand von den vergleichbaren Akkus für den Keller zum Laden der Elektroautos, die BMW vor Kurzem vorstellte. „Wir dürfen die öffentliche Debatte über die Zukunft der Autoindustrie nicht Tesla oder Uber überlassen“, sagte Monsees unlängst.
Die nächste Gelegenheit, mehr zur klappern, bietet sich BMW in der kommenden Woche, wenn die Bayern eine Kooperation mit Loxone Electronics bekannt geben wird. Das österreichische Unternehmen bietet die Vernetzung nahezu aller elektrischen Funktionen und Geräte am und im Haus an. BMW wird in die Kooperation wahrscheinlich die Stromheimspeicher sowie seine neue Open Mobility Cloud einbringen: eine Onlineplattform, von der sich etwa der Ladezustand der Elektroautobatterie, der Wetterbericht oder auch das Kinoprogramm abrufen lassen.
Trauerthema Elektroautos
Krüger wird die allumfassende Digitalisierung als seine Mission bis 2025 ausgeben. Gleichzeitig aber muss er Probleme im klassischen Geschäft angehen. Der Autoverkauf läuft nicht wie erhofft, vor allem in Deutschland. Daimler ist dabei, den Bayern auf dem Heimatmarkt den Rang abzulaufen. „Mit der 3er- und 5er-Baureihe kann ich nichts mehr reißen“, beklagt ein Autohaus-Inhaber, der jedes Jahr rund 4500 BMW sowie BMW Mini absetzt.
Der BMW 1er dagegen bleibe hinter den Erwartungen ebenso wie der 2er Gran Tourer. Auf manche Fahrzeuge gebe es derzeit 20 bis 24 Prozent Rabatt. Neben schleppenden Verkäufen drücken hohe Kosten. „Der Vertrieb ist in den vergangenen Jahren massiv gewachsen“, sagt ein Insider. „Vor allem die Bereichsleiter haben viel zu viele Leute unter sich, die direkt an sie berichtet haben.“ Vor allem anderen muss Krüger die BMW-Händler stärker ins Internet kriegen. Bisher können BMW-Kunden in Deutschland nur die Elektroautos i3 und i8 online ordern. In Großbritannien dagegen gibt es bereits die komplette Fahrzeugpalette im Internet. Die Händler dort sind als Berater telefonisch, im Live-Chat oder per Mail mit den Kunden verbunden.
Das Modell sei „sehr erfolgreich“, sagt Krüger, deshalb prüfe BMW „die weltweite Ausweitung“. Spannend wird auch, was Krüger beim „Trauerthema i“ vorhat, wie ein BMW-Händler sagt, also bei den Elektroautos. Vorgänger Reithofer hatte, anders als die Konkurrenz, die auf Blech- und Alukarossen setzt, Modelle aus Kohlefaser entwickeln lassen. Selbst mit Sonderausstattung und zu Niedrigpreisen kaufen die Kunden nicht. Seit bekannt ist, dass neue Modelle mit einer leistungsstärkeren Batterie auf den Markt kommen, interessiert sich niemand mehr für die alten. Lediglich 50.000 i3- und i8-Elektroautos hat BMW seit 2014 weltweit verkauft. So viel elektrische Model S setzte Tesla allein im vergangenen Jahr ab. Krüger hofft nun auf den Crossover i5 – und auf Subventionen für E-Autos. Einige Gäste auf der Jubiläumsfeier in der kommenden Woche würden sich darüber besonders freuen: die Mitglieder der Industriellenfamilie Quandt, die als Großaktionäre im vergangenen Jahr 815 Millionen Euro Dividende von BMW erhielten.