Sebastian Hofelich ist seit 2015 Geschäftsführer des Carsharing-Anbieters DriveNow.
Rund 60 Minuten pro Tag lenkt ein Autobesitzer seinen Privatwagen zur Arbeit, zum Supermarkt oder zum Sportverein. 23 Stunden steht der Pkw einfach so rum, im Klartext: Das eigene Auto blockiert, meist öffentlichen, (Park-)Raum. Zum Vergleich: Ein Carsharing-Fahrzeug der DriveNow-Flotte wird im Schnitt knapp fünf Stunden pro Tag von einer Vielzahl von Menschen bewegt. In Berlin wird DriveNow in diesem Jahr die Sechs-Stunden-Marke knacken. Wenn sich viele Leute ein Auto teilen, entzerrt das automatisch den Stehverkehr. Weniger Autos bedeuten weniger Parkplätze und mehr Freiraum für die Bürger.
In einer idealen Welt sind Autos bald rund um die Uhr unterwegs, autonom gesteuert und ökologisch sauber. Sie kommen auf Knopfdruck. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch Städte sollten sich schon heute darauf einstellen. Je mehr sie der geteilten Mobilität in ihrer Verkehrsplanung Priorität einräumen, desto schneller werden sie Fläche einsparen, die sie begrünen oder Anderen zurückgeben können: den Fahrradfahrern, dem öffentlichen Nahverkehr, dem Fußgänger – und damit letztlich jedem Einzelnen.
Damit das so kommt, braucht geteilte Mobilität Vorfahrtsregeln – ganz egal, ob es um Carsharing, Scooter-Sharing oder andere alternative Mobilitätsformen geht. Die Politik muss sich bewegen. Zwar gibt es seit 2017 das Carsharing-Gesetz, das die Einrichtung von Carsharing-Parkplätzen erleichtert. Doch sowohl die Länder, die die Vorgaben in Ländergesetz gießen müssen, als auch die Kommunen, die spezielle Parkplätze ausweisen könnten, sind bei der Anwendung unterm Strich noch zu zögerlich.
Die Antworten zu den wichtigsten Carsharing-Fragen
Generell wird zwischen vier Arten unterschieden. Den größten Anteil aller Nutzer haben das stationsbasierte und das „Free Floating“-Carsharing. Bei ersterem (zum Beispiel von Flinkster, Cambio oder Stadtmobil) wird das Auto an einer festen Station abgeholt und nach Ablauf der Leihdauer an der gleichen oder einer anderen definierten Stelle wieder zurückgegeben. Das hat den Vorteil, dass man das Auto nicht suchen muss, wie es beim „Free Floating“ (zum Beispiel von Car2go, Drivenow) passieren kann. Hier stehen die Autos im gesamten Geschäftsgebiet verteilt, können per App oder Website gesucht und gebucht werden. Benötigt man das Fahrzeug nicht mehr, stellt man es auf einem beliebigen öffentlichen Parkplatz wieder ab.
Der große Vorteil liegt in der Flexibilität, dafür sind Angebote mit Free Floating meist teurer. Laut einer Berechnung des ADAC werden für einen zweistündigen Wocheneinkauf mit einer Fahrtstrecke von zehn Kilometer im stationsbasierten Carsharing durchschnittlich 6,20 Euro fällig, im Free-Floating-Modell 17,90 Euro. Neben den beiden Angebotstypen gibt es außerdem noch das „Peer to Peer“-Carsharing, bei dem Privatpersonen ihre Autos zum Teilen anbieten (zum Beispiel bei drivy.de) und das sogenannte „Ridesharing“, ein moderner Begriff für die gute alte Mitfahrgelegenheit.
Carsharing ist flexibler. Kunden schließen mit einem Anbieter einmal einen Rahmenvertrag ab und können danach beliebig oft Fahrzeuge leihen. Bezahlt wird immer mit Abschluss der Nutzungsphase. Somit sind auch spontane und kurze Fahrten von nur einer Stunde oder weniger problemlos machbar, während der administrative Aufwand bei der klassischen Vermietung allein oft schon diesen Zeitraum überdauert.
Laut Bundesverband Carsharing (BCS) gibt es deutschlandweit an rund 600 Orten eine Carsharing-Möglichkeit. 150 Anbieter vereinen aktuell rund 1,7 Millionen registrierte Nutzer. Vor allem in Städten gibt es viele Angebote, ländliche Bereiche sind bisher spärlich erschlossen. Hier lohnt sich aber meist auch eher ein Privat-Pkw.
Das ist von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich geregelt. Meist gibt es zunächst eine einmalige Anmeldegebühr, etwa zwischen 10 und 30 Euro, einige Anbieter verlangen eine Grundgebühr. Anschließend wird nach Zeit und gefahrenen Kilometern abgerechnet. Beispiel bei „Cambio“ im Raum Bonn: Hier kostet der Kilometer im teuersten Fall 33 Cent, die gefahrene Stunde 1,90 Euro. Fährt man also von einem Außenbezirk zum Einkaufen für drei Stunden in die Innenstadt und legt auf Hin- und Rückweg dabei 20 Kilometer zurück, kostet der Ausflug 12,30 Euro. Darin sind alle Kosten für Steuer, Versicherung und Benzin enthalten.
(Vollkasko-)Versicherungen sind im Mietpreis inbegriffen, die Selbstbeteiligung bewegt sich bei den meisten Firmen zwischen 300 und 1.000 Euro. Wer bereits vor Fahrtantritt einen Schaden am Auto bemerkt, der nicht im Bordbuch hinterlegt ist, tut gut daran, diesen unverzüglich der Zentrale zu melden.
Generell sollten die geliehenen Autos natürlich mit Respekt und Sorgfalt behandelt werden, das gebietet der Anstand. Allerdings muss einer Abgabe keine Tiefenreinigung vorangehen, darum kümmern sich Service-Dienstleister der Unternehmen. Entstehen durch einen Transport oder schlechte Wetterbedingungen allerdings gröbere Verschmutzungen, müssen diese vom Nutzer vor der Abgabe entfernt werden. Beim Transport von Tieren gibt es Unterschiede: Cambio schließt das zum Schutz von Allergikern vollständig aus, Car2Go und DriveNow erlauben die Mitnahme von Haustieren in speziellen Boxen im Kofferraum der Fahrzeuge. Das Entfernen von Tierhaaren schreiben beide Unternehmen vor.
Bei den meisten Unternehmen besteht keine Verpflichtung, die Autos vor der Abgabe aufzutanken. Im Normalfall ist an Bord des Fahrzeugs eine Tankkarte der jeweiligen Partnertankstelle zu finden, mit der Treibstoff bezahlt werden kann. Wer es nur zu einer fremden Tankstelle schafft, kann das Geld auslegen und bekommt es im Nachhinein erstattet. Manche Anbieter locken mit Sonderleistungen zum Tanken. Wer beispielsweise ein DriveNow-Auto mit einem Tankfüllstand von unter 25 Prozent auf über 90 Prozent mit der bordeigenen Tankkarte auffüllt, bekommt im Gegenzug 30 Gratisminuten zur freien Nutzung gutgeschrieben.
Das kommt immer darauf an, wie hoch die jährliche Fahrleistung ist. Laut ADAC lohnt sich Carsharing finanziell bis zu 10.000 Kilometer pro Jahr, das wären in etwa 800 Kilometer im Monat. Als Rechenbeispiel zog der Autoclub für den Vergleich einen privat angeschafften Neuwagen heran. Dabei ist intensives „Free-Floaten“ deutlich teurer als die Nutzung von stationsbasierten Modellen. Ein großer Vorteil bleibt allerdings allen Carsharern erhalten: Sie sind flexibler beim Aufteilen des Mobilitätsbudgets, da sie auch den ÖPNV in ihre Rechnung mit einbeziehen können.
Spontanität und flexibles Planen können das Leben mit Carsharing erleichtern aber auch zu frustrierenden Momenten führen, wenn das reservierte Auto gerade nicht zu finden oder beschädigt ist. Lediglich bei der eigenen Kfz-Versicherung kann das Fahren der Carsharing-Autos einen unangenehmen Effekt haben: Wer länger als sieben Jahre kein eigenes Auto zulässt, läuft Gefahr, seinen Schadensfreiheitsrabatt zu verlieren. Wer Pech hat, fällt anschließend trotz jahrelangen unfallfreien Fahrens auf den Status eines Fahranfängers zurück. Das gleiche gilt für Fahrer, die nach langer Carsharing-Zeit zum ersten Mal überhaupt ein eigenes Auto zulassen. Zwar kann man sich bei einigen Carsharing-Unternehmen eine Art Empfehlungsschreiben für die Autoversicherung erstellen lassen, die Assekuranz ist allerdings nicht daran gebunden und kann trotzdem in die teuerste Klasse einstufen.
Bei vielen Anbietern gibt es Pakete für längere Fahrten mit größeren Kilometer- und Zeit-Kontingenten, auch ins Ausland darf man zum Beispiel mit Flinkster oder Cambio fahren – oft muss man Auslandsfahrten allerdings vorher anmelden und es empfiehlt sich, rechtzeitig ein Auto zu reservieren. Bei einer längeren Urlaubsreise dürfte ein klassischer Mietwagen in den meisten Fällen allerdings weiterhin günstiger sein. Eventuell lohnt sich aber auch eine Kombination aus einer Anreise per Bahn oder Flugzeug und einer Nutzung der Carsharing-Dienste von Anbietern vor Ort.
Auch im Ausland kann man mit einem deutschen Account bestimmte Carsharing-Autos anmieten – genauso wie in Deutschland. Car2go (u.a. Italien, Niederlande, Spanien) und DriveNow (u.a. Großbritannien, Dänemark, Schweden) gibt es in vielen europäischen Städten. Teilweise unterscheiden sich die Zahlungsmethoden, wer aber seine Kreditkarte als Zahlungsmittel hinterlegt hat, ist auf der sicheren Seite. In den USA oder Kanada – wo Car2go ebenfalls vertreten ist – kann man mit einem deutschen Account aus rechtlichen Gründen nicht fahren.
Haushalte, die ihr eigenes Auto durch CarSharing ersetzten, verändern ihr Verkehrsverhalten hin zu mehr ÖPNV-Nutzung, das haben Untersuchungen gezeigt. Vor allem stationsbasiertes Carsharing wird daher eher als zusätzlicher Mobilitäts-Baustein denn als Konkurrenz gesehen und funktioniert gut in Verbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr. Free-Floating-Flotten, die vor allem auf innerstädtischen Kurzstrecken genutzt werden, gelten eher als Konkurrenz des ÖPNV.
Laut Bundesverband Carsharing kann das Autoteilen dazu beitragen, den Verkehr zu entlasten: Carsharing-Nutzer würden genauer darüber nachdenken, ob für den Weg zum Bäcker oder der Schule des Kindes wirklich ein Auto nötig ist oder ob man die Strecke auch per Fahrrad oder Bus bewältigen kann. Darüber hinaus bieten einige Unternehmen E-Autos in ihrem Sortiment an, was zumindest lokal für geringere Emissionen und eine bessere Luft im innerstädtischen Bereich sorgen kann.
Drei Unternehmen dominieren den deutschen Carsharing-Markt. An der Spitze liegt mit rund 850.000 Kunden der mit Daimler-Beteiligung geführte Dienst von „Car2Go“. Hier kann der Kunde zwischen verschiedenen Fahrzeugen von Mercedes und Smart wählen. Bei „DriveNow“ von BMW können die 720.000 registrierten Nutzer 3.370 Fahrzeuge des Konzerns vom Mini bis zu BMW i3 oder 2er Cabrio in fünf verschiedenen Städten nutzen. Fahrzeugtechnisch breiter gestreut ist das Angebot der Bahn-Tochter „Flinkster“. 300 Städte mit 4.000 Fahrzeugen diverser Hersteller von Kleinstwagen bis zur Mittel- oder Oberklasse stehen den momentan 315.000 Kunden zur Verfügung.
Vorbilder gibt es: Die Stadt Berlin erlässt bald ein Gesetz, das dem Umweltverband Priorität in der Verkehrsplanung einräumen wird: Fußgänger, Radverkehr, öffentlicher Nahverkehr und geteilte Mobilität wie Scooter-, Bike- und Carsharing sollen zu einer symbiotischen Beziehung heranwachsen. Deutschland braucht solche Gesetze, weil sie dem Lebensrhythmus der Metropolen entsprechen.
Hamburg schlägt mit dem Projekt Switch weitere Pflöcke ein. Für knapp neun Euro pro Monat erhalten Nutzer ein Mobilitätsbudget. Sie können es für ein Auto von Car2Go oder DriveNow einsetzen, die ersten 20 Minuten kosten dann nur 22 Cent pro Minute. Außerdem sind Leihräder in den ersten 30 Minuten gratis. Und sie können Auto, Rad, Bus und Bahn an 16 über die Stadt verteilten Switch-Plätzen wechseln. Die Drehkreuze der städtischen Mobilität sind ein Anfang kluger Verkehrspolitik, weil sie Menschen überzeugen, auf ein eigenes Auto zu verzichten.
Preiswerter ist es allemal. Ein eigenes Auto der Kompaktklasse wie ein VW Golf kostet laut ADAC 500 bis 700 Euro pro Monat – inklusive Versicherungen, Steuern und Wertverlust. Die Vollkosten entsprechen der Nutzung eines Carsharingautos für mehr als eine Stunde pro Tag – inklusive Sprit- und Parkgebühren. Geteilte Mobilität wird außerdem günstiger, wenn die Fixkosten auf immer mehr Kunden verteilt werden.
Carsharing ist längst elementarer Bestandteil des Großstadt-Nahverkehrs. 2017 haben die über eine Million Mitglieder von DriveNow die Autos der Flotte in den fünf DriveNow-Städten Berlin, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf über 90 Millionen Kilometer weit bewegt. Wenn mobile Sharing-Anbieter wie DriveNow, Car2Go von Daimler, Moia von VW, stationäre Anbieter wie Cambio und Stattauto sowie Scooter-Anbieter wie Emmy und Coup weiter wachsen wie bisher, wird nach unserer Einschätzung 2028 jede dritte Stadtfahrt eine Fahrt mit einem geteilten Fahrzeug sein. Carsharing ist auch ein Treiber der Elektromobilität, denn 15 Prozent der DriveNow-Flotte besteht aus Stromern wie dem BMW i3. In Hamburg strebt DriveNow an, die Elektro-Flotte bis 2019 auf bis zu 550 Fahrzeuge aufzustocken. Zum Vergleich: Bundesweit liegt der Anteil der Elektroautos bei 0,08 Prozent.
Auch Immobilienentwickler müssen umdenken. Nicht jedes Mehrparteien-Wohnhaus braucht in Zukunft Tiefgaragen für jede Partei, aber dafür Sharing-Flächen für Mobilität. Autohersteller wiederum müssen sich neu erfinden. Ein Carsharing-Fahrzeug muss für möglichst viele Personen komfortabel und intuitiv steuerbar sein und sich an individuelle Bedürfnisse anpassen. In Zukunft wird das Fahrzeug etwa erkennen, wer per App reserviert und verändert vor der Fahrt Sitzposition, Spiegeleinstellung und Lieblingsradiosender. Künftig werden Fahrzeuge nicht mehr für den Einzelnutzer entwickelt, sondern für die Sharing-Masse. Der Innenraum wird wichtiger als das externe Design. Autonome Sharing-Flotten werden zu digitalen Arbeitsplätzen oder Entspannungsräumen. Noch nicht jeder Autohersteller hat diese Veränderung verinnerlicht.
Die Politik sollte den Sharing-Markt liberalisieren – damit Made in Germany für Qualität in der Mobilität von morgen steht.