Carsharing Von der Versuchsküche zum Geschäftsmodell

Ein Auto nutzen, aber nicht besitzen: Die Idee des Carsharings ist ein wichtiger Eckpfeiler, wenn Autokonzerne künftig zu Mobilitätsdienstleistern werden wollen. Doch die Entwicklung dahin fällt mitunter schwer.

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BMW ReachNow Quelle: BMW

Das Auto der Zukunft fährt autonom, ist voll vernetzt und stößt keine Schadstoffe mehr aus. Nur ob der Strom für die Elektromotoren aus einer Batterie oder Brennstoffzelle kommt, scheint derzeit noch nicht entschieden. Diese Megatrends treiben die Branche um, da sind sich die Autobauer durch die Bank einig.

Eine wichtige Frage ist jedoch noch offen: Verkaufen Daimler, BMW, Volkswagen und Co. ihre Autos in Zukunft noch oder lediglich die Mobilität als Dienstleistung?

Dass der Wandel nicht nur das Produkt verändert, sondern auch das aktuelle Geschäftsmodell bedroht, haben die Autobosse in Wolfsburg, Stuttgart, München oder Ingolstadt inzwischen erkannt. Manche sind schneller, andere agieren noch zögerlich. Nur eines ist klar: Ignorieren lässt sich dieser Wandel nicht.

Wie sich Carsharing auf die Nutzung anderer Verkehrsmittel auswirkt

Wie es aussehen kann, wenn sich ein traditioneller Autobauer mit digitalem Nachholbedarf eine neue Strategie verpassen will, war zuletzt bei BMW zu beobachten. Im März hat Vorstandschef Harald Krüger mit seiner Agenda „Number One: NEXT“ einen Plan vorgestellt, der die vollständige Transformation des Autoherstellers in einen digitalisierten Mobilitätskonzern vorgeben sollte, dessen Geschäfte weit über den Verkauf von Autos hinausgehen.

Autobauer tun sich schwer

Die Betonung liegt auf „sollte“. Bei BMW lässt sich auch beobachten, wie schwer sich ein Weltkonzern, der mit seinen aktuellen Produkten und Geschäftsmodellen prächtig verdient, mit der selbst auferlegten Neuausrichtung tut. Schon der Name der Strategie verdeutlicht, wie groß der Mut zu wahren Neuerungen ist: Es ist die nächste Stufe der Strategie „Number One“. Die hatte Krügers Vorgänger Norbert Reithofer im Jahr 2008 ausgerufen.

Zu Zeiten von „Number One“ waren die Münchner ein Paradebeispiel dafür, wie ein Autobauer den Wandel aktiv vorantreiben kann. Damals fielen die Grundsatzentscheidungen für die in ihrer Produktionsweise bis heute einzigartigen BMW i3 und i8. Außerdem wurde 2011 in München zusammen mit Sixt das Carsharing-Projekt DriveNow gestartet. Mit diesen neuen Konzepten konnte BMW erste Erfahrungen sammeln, wie die Kunden Autos nutzen ohne sie zu besitzen – ein potenzieller Eckpfeiler eines nachhaltigen Mobilitätsanbieters.

Warum nutzen Sie Carsharing?

Mehr als 500.000 Menschen sind inzwischen Kunden von DriveNow und teilen sich rund 4.000 Autos in zehn Städten weltweit. Das Prinzip: Die Autos – meist Minis, BMW Einser oder i3 – stehen über das Stadtgebiet verteilt. Sie können spontan ausgeliehen werden, eine App leitet zu dem Fahrzeug in der Nähe. Mal sind auch Elektroautos in der Flotte. Mal ist – wie in Kopenhagen – ein Partnerunternehmen mit an Bord. Das Grundkonzept jedoch bleibt – und ist erfolgreich. Als einer der wenigen Carsharing-Anbieter arbeitet DriveNow profitabel.

Heute fallen dem Carsharer radikale Neuerungen schwerer. „Wir haben die Start-up-Phase längst hinter uns gelassen. Das Produkt DriveNow ist gut und funktioniert“, sagt Geschäftsführer Nico Gabriel. „Im Unterschied zu früher durchdenken wir den Nutzen und Sinn neuer Projekte für uns und die Kunden nun noch genauer, bevor wir unser bewährtes Konzept verändern.“

BMW testet Premium-Carsharing in den USA

Unabhängig von DriveNow wagt BMW nach fünf Jahren nun den nächsten Versuch: In Seattle loten die Münchner die Chancen eines Premium-Carsharings aus. Noch im März hatte Krüger angedeutet, dass es einen solchen Premium-Service geben könnte – die USA werden jetzt zum Testfeld dafür. Das dortige Programm ReachNow ist eine hundertprozentige BMW-Tochter – Erfolg oder Misserfolg haben also nichts mit DriveNow zu tun.

Die ReachNow-Nutzer haben neben den bekannten Carsharing-Diensten mehrere Optionen:

  • einen Zustellservice, der das Fahrzeug zum Kunden bringt – interessant in Gebieten mit begrenztem Parkplatzangebot oder geringer Auslastung
  • Carsharing in geschlossenen Nutzergruppen, bei dem sich mehrere Kunden einen Fahrzeugpool teilen – interessant für Unternehmen oder exklusive Wohnanlagen
  • einen Chauffeur, der gleich mitgebucht werden kann – interessant für alle Uber-Nutzer und Taxi-Kunden
  • eine Langzeitmiete, die der klassischen Autovermietung gleich kommt – interessant für längere Fahrten oder mehrere Tage. Das war bei DriveNow wegen der maximalen Ausleihdauer von 48 Stunden nicht möglich.
von Sebastian Schaal, Christian Schlesiger

„Wir ergänzen unser Geschäftsmodell um zusätzliche Dienstleistungen, die den Menschen das mobile Leben in großen Städten leichter machen“, sagt BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer. „Seattle ist eine weltoffene und innovationsfreudige Stadt und deshalb der perfekte Ort, um mit diesen neuen Services zu starten.“ Läuft die Testphase erfolgreich, könnte ReachNow auch in andere US-Städte übertragen werden.

Dann könnte BMW im Premium-Carsharing zum Konkurrenten von Audi werden. Der Autobauer hat bereits in einigen Städten unter „Audi on demand“ einen solchen Zustellservice und Flotten für geschlossene Nutzergruppen eingeführt. Das Angebot soll weiter ausgerollt werden.

Elektroautos bedeuten Aufwand

Neue Konzepte und Services werden aber nicht nur in den USA getestet. In Berlin hat DriveNow einen Pilotprojekt gestartet, um das Tanken zu vereinfachen. Anstatt nach dem Tanken mit einer gewöhnlichen Tankkarte an der Kasse zu zahlen, können die Nutzer künftig an 30 Zapfsäulen in der Hauptstadt direkt abrechnen. Das Auto erkennt die Tankstelle, der Fahrer muss nur noch die Nummer der Zapfsäule im Bordcomputer eingeben – den Bezahlvorgang regeln der Carsharing-Anbieter und Tankstellen-Partner Total im Hintergrund.

Effektive tägliche Nutzung eines Carsharing-Fahrzeugs

„Mit der digitalen Tankkarte wollen wir den Tankprozess verkürzen und für unseren Kunden komfortabler und einfacher machen“, sagt DriveNow-Geschäftsführer Nico Gabriel. „Außerdem legen wir schon die Grundlagen für das autonome Fahren: Wenn irgendwann einmal kein Fahrer mehr im Auto ist, kann er auch nicht an der Kasse mit der Tankkarte zahlen – die direkte Abrechnung Auto-Tankstelle kann eine Lösung sein.“

Ein ähnlicher Versuch war es, Elektroautos in die Flotte aufzunehmen. Während die Verbrenner einfach von Kunden oder DriveNow-Mitarbeitern getankt werden können und in Minutenschnelle wieder einsatzbereit sind, stellt der i3 mit seinen stundenlangen Ladezeiten andere Herausforderungen. Der Geschäftsführer räumt ein, dass man häufiger eingreifen müsse, um die Elektroautos bereitzustellen. „Im Bereich Elektromobilität liegt noch ein langer Weg vor uns“, so Gabriel. „Einer muss ja den Anfang machen.“

Studie belegt positive Effekte auf den Stadtverkehr

Elektroautos in der Carsharing-Flotte sind nicht nur für DriveNow und BMW eine Art Aushängeschild, auch die Städte sehen die Stromer meist positiv. „Noch vor einigen Jahren haben wir uns die Aufmerksamkeit der Städte gesucht – heute kommen die Städte auf uns zu“, sagt Gabriel. „Wissenschaftliche Begleitstudien helfen dabei. Und das Beispiel München zeigt, wie eine Stadt auf die erwiesenen Effekte reagieren kann.“

Als DriveNow 2011 in München begonnen hatte, gab es zahlreiche Bedenken seitens der Stadt – etwa ob die Carsharing-Fahrzeuge das Parkproblem in Wohnviertel noch verstärken würden. Die Folge waren einige Beschränkungen, unter anderem die Deckelung auf zunächst 300 Fahrzeuge oder Parkverbote für die geteilten Autos in der Münchner Altstadt und im Bahnhofsviertel.

Einen Großteil der Beschränkungen hat die Stadt nun zum 1. April aufgehoben – von Anfang an war eine wissenschaftliche Begleitstudie vereinbart, um die Auswirkungen des Carsharings erfassen und auswerten zu können.

Die Ergebnisse sind größtenteils positiv: 40 Prozent der Carsharing-Kunden in München haben auf den Kauf eines eigenen Autos verzichtet, elf Prozent den eigenen Wagen sogar abgeschafft. So sei der Pkw-Bestand in der Stadt um 1.550 Privatwagen gesunken – und damit deutlich mehr Stellplätze frei geworden, als alle Carsharing-Anbieter in der Stadt zusammen benötigen.

Besonders ein Satz in dem Bericht sticht heraus: „Selbst bei dem Carsharing skeptisch gegenüberstehenden Szenario ergibt sich eine positive Wirkung.“ Sprich: Auch wenn nur wenige Großstädter das Auto teilen, lassen sich Parkplatznot und Staus reduzieren. Machen viele mit – und zahlen nur noch für Mobilität und nicht für ein Auto – werden die Effekte umso größer.

In den Chefetagen der Autobauer und selbst ausgerufenen Mobilitätsdienstleister von morgen sollte das zur Kenntnis genommen werden – mindestens.

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