Dass Autos mehr Sprit verbrauchen als von den Herstellern angegeben, ist lange bekannt. Eine am Donnerstag vorgelegte Studie belegt das jetzt mit Zahlen. Demnach schlucken Autos auf der Straße im Schnitt 42 Prozent mehr Sprit als angegeben. Die Kluft sei dabei „so groß wie noch nie“, teilte das International Council on Clean Transportation (ICCT) mit. Das Forschungsinstitut hatte vor gut einem Jahr den Abgas-Skandal bei Volkswagen mit aufgedeckt.
Die Differenz zwischen den Angaben der Hersteller und dem tatsächlich gemessenen Verbrauch vergrößerte sich laut ICCT in den vergangenen Jahren deutlich. Seit 2001 stieg die Diskrepanz zwischen Test- und Realwerten um den Faktor vier an. Das Institut hat errechnet, dass Autofahrer dadurch im Schnitt jedes Jahr 450 Euro mehr für Sprit ausgeben müssen, als gedacht.
Die Studie ist besonders im Kontext der aktuellen Diskussion um Audi brisant: Der Hersteller steht im Verdacht, unter anderem beim Klimagas CO2 getrickst zu haben. Medienberichten zufolge sollen Modelle mit einem bestimmten Automatik-Getriebe erkennen, ob sie auf einem Prüfstand etwa für den Zulassungstest stehen. Dann aktiviere sich ein Schaltprogramm für das Getriebe, das besonders wenig CO2 produziere, hieß es. Audi sagt dazu, dass adaptive Schaltprogramme, also lernende Systeme, den Fahrer im normalen Fahrbetrieb unterstützten, indem sie die Schaltpunkte an die jeweilige Fahrsituation optimal anpassten. Adaptive Schaltprogramme könnten jedoch „bei Prüfstandsmessungen zu nicht reproduzierbaren Ergebnissen führen“.
Die Studienautoren haben nun herausgefunden, dass der Verbrauch von Audi-Fahrzeugen im Alltag sogar über dem Durchschnitt liegt – Audi-Fahrer verbrauchen im Schnitt also noch mehr Sprit und blasen noch mehr CO2 in die Luft als vom Hersteller angegeben. Gleiches gilt für die Fahrer von BMW-Fahrzeugen oder solche von Mercedes-Hersteller Daimler (siehe Grafiken zu einzelnen Herstellern). Die Fahrer von Premium-Fahrzeugen sind also überdurchschnittlich stark betroffen.
Weiterhin zeigt die Untersuchung, dass Automatikwagen im Vergleich zur Handschaltung deutlicher nach oben abweichen. Gleiches gilt für Dieselfahrzeuge im Vergleich zu Benzinern. Besonders auffällig ist auch, dass die Angaben für Hybridfahrzeuge, die die Hersteller gerne als besonders umweltfreundlich anpreisen, am stärksten nach oben abweichen.
ICCT hat für die Studie gemeinsam mit der Niederländischen Organisation für Angewandte Wissenschaftliche Forschung Daten von rund einer Million Autos aus sieben europäischen Ländern ausgewertet. Für jedes einzelne Fahrzeug wurde der unter realen Bedingungen ermittelte Kraftstoffverbrauch dem offiziellen Typprüfwert gegenüber gestellt.
Als Quelle für den realen Verbrauch dienten Internetseiten, Leasingfirmen, Automagazine und Messdaten verschiedener Einrichtungen. Insgesamt beruht die Untersuchung auf Daten von 13 Quellen, darunter Spritmonitor.de (Deutschland), der Leasingfirma LeasePlan (Deutschland) oder Travelcard (Niederlande). Jede der Datenquellen zeigte die gleiche, bedenklich steigende Diskrepanz.
Peter Mock, ICCT-Geschäftsführer für Europa, meint, dass etwa drei Viertel der Diskrepanz zwischen Real- und Testverbrauch darauf zurückzuführen sei, dass Hersteller „halblegale Schlupflöcher ausnutzen“. So könne ein Hersteller beispielsweise die Reifen eines Fahrzeugs speziell für den Test präparieren oder die Batterie des Fahrzeugs vor dem Test voll aufladen. Es sei aber auch denkbar, dass die Hersteller ihre Autos mit bestimmten Betriebsmodi programmierten, so Mock. So könne der spritsparende Eco-Modus gefahren werden, wenn das Auto auf dem Prüfstand ist und der spritfressende Sportmodus, wenn es auf der Straße gefahren werde. „Fünf bis zehn Prozent CO2-Einsparung sind so allein über die Wahl der Betriebsmodi möglich“, schätzt Mock.
Der reale Verbrauch sinkt viel zu langsam
Auf der anderen Seite ist das restliche Viertel der Diskrepanz laut ICCT auf Technologien zurückzuführen, die im Labortest einen größeren Kraftstoff-Einspareffekt zeigen als im normalen Alltagsbetrieb. Gemeint sind zum Beispiel die Start-Stopp-Technologie, sowie das Abschalten der Klimaanlage während des offiziellen CO2- und Verbrauchstests.
Auffällig ist, dass die Diskrepanz mit der zunehmend strengeren Regulierung gestiegen ist. 2008 einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine CO2-Regulierung für Neufahrzeuge. Seither sind die offiziellen CO2-Emissionswerte der Pkw-Flotte einzelner Hersteller deutlich schneller gesunken als in den Jahren zuvor. Im Jahr 2015 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß neuer Fahrzeugmodelle laut ICCT schon bei 120 Gramm pro Kilometer. Das Ziel der Regulierung für 2015, ein Flottenwert von 130 Gramm pro Kilometer, wurde bereits zwei Jahre im Voraus erfüllt.
Auf der Straße aber sind die erzielten CO2-Reduktionen seit 2001 nur etwa halb so hoch wie anhand der Zertifizierungswerte zu erwarten (siehe Grafik). „Insbesondere in den letzten Jahren wurden in der Realität kaum noch Fortschritte erzielt“, schreibt das Institut in einer Mitteilung.
ICCT hatte den Abgas-Skandal bei Volkswagen ausgelöst, indem das Institut die US-Umweltbehörde EPA über abweichende Werte informierte. Im September 2015 hatte Volkswagen dann zugeben müssen, dass weltweit bei rund elf Millionen Dieselfahrzeugen mehrerer Marken eine Manipulations-Software eingesetzt wurde, die den Stickoxid-Ausstoß im Testbetrieb niedriger auswies.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Für VW geht es heute längst nicht mehr nur um Stickoxide: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt im Fall VW unter anderem auch wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen sechs Beschuldigte. Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe von der Staatsanwaltschaft Braunschweig sagt, dass VW Ende 2015 in einer Mitteilung von „Unregelmäßigkeiten“ bei CO2-Emissionen gesprochen habe, denen von Seiten VW nachgegangen würde. „Diese Informationen, die uns von VW auch zugänglich gemacht wurden, sowie weitere Erkenntnisse haben uns dann in die Pflicht gebracht, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu prüfen und zu bejahen“, sagt Ziehe.
Schließlich ist es relevant für die Höhe der Kfz-Steuer, wie viel CO2 ein Auto ausstößt – je geringer der Ausstoß, desto weniger Steuer zahlt der Autofahrer. Auch der VW-Tochter Audi droht unter Umständen noch Ärger mit der Justiz: Die Staatsanwaltschaft München II prüft „im Rahmen von Vorermittlungen, ob ein Anfangsverdacht für strafbare Handlungen im Zusammenhang mit der Abgasaffäre“ bei Audi bestehe. „Diese Vorermittlungen sind noch nicht abgeschlossen“, teilte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mit.
Sollte sich herausstellen, dass Autobauer nicht nur Tricks in der rechtlichen Grauzone angewendet haben, sondern sie auf breiter Front die CO2-Werte manipulieren, droht der Branche ein düsteres Erwachen.
Mock und andere fordern jedenfalls schon jetzt, dass weitere Schritte nötig seien, um ein Auseinanderdriften von Labor- und Alltagswerten zu verhindern. Er will Straßentests unter realen Fahrbedingungen einführen. „Zudem bedarf es systematischer Nachtests von Serienfahrzeugen durch unabhängige Stellen“, so Mock.
Es wird Zeit, dass was passiert.