
Die Falschangaben bei CO2-Werten in Abgasen von VW-Autos betreffen deutlich weniger Autos als zunächst angenommen. Statt 800.000 Fahrzeuge, wie bislang vom Volkswagen-Konzern vermutet, sollen nach erneuter Prüfung durch das Kraftfahrt-Bundesamt, das Bundesverkehrsministerium und VW nur noch rund 36.000 betroffen sein.
„Abweichungen wurden in den internen Messungen nur bei neun Modellvarianten festgestellt“, teilte VW am Mittwoch in Wolfsburg mit. Zuvor hatte bereits die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ darüber berichtet. Der Verdacht auf rechtswidrige Veränderungen der Verbrauchsangaben habe sich nicht bestätigt.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Die internen Messungen sollen bis Weihnachten unter behördlicher Aufsicht bei einem „neutralen Technischen Dienst“ nochmals überprüft werden, so VW. Die Konzerntöchter Audi, Skoda und Seat hätten mit ihren zuständigen Zulassungsbehörden ein vergleichbares Vorgehen verabredet.
Aktie reagiert positiv auf die Meldung
Die ursprünglich veranschlagten zwei Milliarden Euro wird der Skandal damit offenbar nicht kosten. „Ob in geringerem Umfang wirtschaftliche Belastungen entstehen, hängt vom Ergebnis der durchzuführenden Nachmessungen ab“, teilt der Konzern mit.
Die Meldung verhalf Volkswagen zum Sprung an die Spitze des Dax mit einem Plus von mehr als vier Prozent.
Obwohl sich die CO2-Affäre sich nun größtenteils als Luftnummer herausstellt, wird die Staatsanwaltschaft Braunschweig ihre Ermittlungen in der Angelegenheit noch nicht einstellen. „Das Verfahren wird erst eingestellt, wenn uns sämtliche Informationen vorliegen und wir die Prüfung des Sachverhalts abgeschlossen haben“, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe der WirtschaftsWoche. Die Justizbehörde ermittelt wegen der Manipulation von Kohlendioxid-Werten gegen fünf Beschäftigte des Volkswagen-Konzerns wegen des Verdachts der Hinterziehung von Kfz-Steuern – die Höhe der Steuern hängt neben der Hubraumgröße auch von den Emissionen des Klimagases ab.
Volkswagen hatte am Abend des 3. November mitgeteilt, dass bei der Zulassung einiger Modelle zu niedrige CO2-Angaben gemacht worden seien – es drohten Strafen und Steuernachzahlungen, weil die Autos womöglich in eine andere Besteuerungsklasse gerutscht wären. Im Verdacht standen laut der damaligen Mitteilung bis zu 800.000 Autos.
Der womöglich zweite Betrug schickte die VW-Aktie erneut auf Talfahrt, das Papier sackte zeitweise um annähernd 11 Prozent ab. VW-Chef Matthias Müller bat in einem Brief an die EU-Kommission um Entschuldigung und versprach eine schnelle Aufklärung. Volkswagen erklärte sich auch bereit, im Falle einer neuen Steuer-Einstufung die rückwirkend die Mehrkosten für die betroffenen Kunden zu übernehmen.





Nach Informationen der WirtschaftsWoche brachte damals ein interner Whistleblower die Falschangaben ans Licht, der von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht hatte. In anderen Medien wurde spekuliert, dass die falsch angegebenen Werte um bis zu 15 Prozent unter den real gemessenen Emissionen lagen.
Wie die FAZ unter Berufung auf das Ergebnis der gemeinsamen Überprüfungen von Kraftfahrtbundesamt, Bundesverkehrsministerium und Volkswagen berichtet, sind die Abweichungen minimal – mit 0,1 bis vier Gramm CO2 pro Kilometer lägen die Werte innerhalb der zulässigen Toleranzen. Für die betroffenen Kunden ändere sich nichts, es sei nicht einmal eine Änderung der Fahrzeugpapiere notwendig.
Am Mittwoch tagt in Wolfsburg der Aufsichtsrat des VW-Konzerns, zum vermutlich letzten Mal in diesem Jahr. Auf der Agenda stehen neben der Ernennung eines neuen Personalvorstands die weitere Aufklärung des Stickoxid-Betrugs und die Neuausrichtung des Konzerns.