Daimler, BMW, Audi Wie die Digitalisierung die Autobauer herausfordert

Die Digitalisierung verändert die Arbeit in den Entwicklungs- und Forschungsabteilungen der Autohersteller nachhaltig. Wo stehen Daimler, BMW und Audi – was kommt in den nächsten Jahren auf die Chefentwickler zu? Die größten Herausforderungen.

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Connected Car: Die Entwicklung der Autohersteller muss jetzt umgedacht werden. Quelle: Presse

Es ist gerade eine Woche her: Der Daimler-Aufsichtsrat bestellt Ola Källenius, bisher oberster Vertriebler der Schwaben, zum neuen Vorstand für Konzernforschung und Mercedes Benz Cars. Für den amtierenden Entwicklungsvorstand Thomas Weber ist zum Jahresende Schluss. Mit 62 verabschiedet er sich in den wohlverdienten Ruhestand.

Mit dem Wechsel an der Spitze der Konzernentwicklung kommt nicht nur eine neue, jüngere Manager-Generation zum Zug. Källenius steht für die neue Autowelt – immer online, voll vernetzt und ständig in Bewegung. Obwohl Weber eine gut geführte Entwicklungsabteilung hinterlässt - die neue E-Klasse gilt bei Wettbewerbern als Messlatte - steht Källenius vor einer Herkulesaufgabe.

Software und Maschinenbau: Zwei Welten prallen aufeinander

Daimler will bis 2020 der größte Premiumhersteller der Welt werden. Gleiches haben sich auch BMW und Audi vorgenommen. Die Mutter des Erfolgs, weiß Källenius, ist die Entwicklungsabteilung. „Der Druck, als Erster mit einer Innovation auf den Markt zu kommen, war noch nie so groß“, beschreibt ein führender deutscher Autoentwickler Källenius’ Mission.

Business-Limousine ab 45.303 Euro
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler
Mercedes E-Klasse Quelle: Daimler

Der Skandinavier wird den Wettlauf nur gewinnen, wenn er die rund 16.000 Köpfe zählende Mannschaft umpolt: von der Maschinen- und Anlagenbau-Denke hin zum Geist der IT- und Telekommunikationsindustrie.

„Das Auto wird Teil eines immer komplexeren Verkehrssystems – verbunden und gesteuert via Mobilfunk und Internet", sagt Wolfgang Bernhart, Partner im Competence Center Automotive bei der Münchener Unternehmensberatung Roland Berger. "Daten fließen hinein und hinaus, Systemgrenzen verschieben sich. Das erhöht die Sicherheitsanforderungen und zwingt zu einer Neuorganisation in der Entwicklung", erklärt er.

Gefragt ist in erster Linie Schnelligkeit. Eine Karosserie oder einen Motor konzipieren Källenius’ künftige Untergebene jahrelang und für viele Jahre. Für neue Features im vernetzten Auto, sprich: Software, die bereits 90 Prozent aller Funktionen steuert, haben sie nur wenige Monate Zeit. Källenius muss seine Großabteilung deshalb so umorganisieren, dass die Arbeitsabläufe schneller werden und die Elektrik- und Elektronikentwickler enger mit anderen Abteilungen kooperieren.

„Es geht nicht mehr nur um verhältnismäßig einfache Dinge wie Fensterheber oder Sitzeinstellungen. Es geht um die Definition der übergreifenden Softwarearchitektur, die auch Elemente außerhalb des Fahrzeugs umfasst. Das zu beherrschen, wird immer wichtiger", erklärt Bernhart.

Was nützt es dem Kunden?

Peter Fintl, Automobilexperte der französischen Innovationsberatung Altran sieht noch an anderer Stelle Nachholbedarf: „Entwickler müssen sich viel stärker als bisher fragen: Was nützt das dem Kunden? Dafür müssen sie raus aus ihrem Silodenken.“

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Ein Beispiel: Eine Abteilung verantwortet die Radarentwicklung, eine andere die Bremsfunktion. Gemeinsam bilden Radar und Bremse einen Notbremsassistenten – wer ist für die Entwicklung dieser Funktion verantwortlich? „Entwicklung wird sich in Zukunft viel mehr um Funktionen herum gruppieren, statt um Komponenten", ist sich Fintl sicher. Die klassische Aufteilung in Fahrwerk, Elektronik/Elektrik, Karosserie und Antrieb wird den Ansprüchen an ein vernetztes Fahrzeug nicht mehr gerecht.

"Die Abteilungen müssen Brücken schlagen", fordert Fintl. Seine Beobachtung: „Die traditionellen Hersteller haben einen großen Nachholbedarf, was schnelle, schlanke Entwicklungsstrukturen angeht.“ Start-ups wie der kalifornische Elektropionier Tesla wurde so zum Angreifer auf die etablierten Premiumautobauer, weil ihr Zugang zu Elektronik und Software schneller war. Sie entwickeln näher am Kunden, gewinnen dadurch wertvolle Zeit.

Neuer Hype um High-Tech Autos

Daimler, BMW und Audi bleibt das geschickte Vorgehen der neuen Wettbewerber natürlich nicht verborgen. Sie haben daher Inkubatoren - Brutstätten - für die neue Autowelt eingerichtet. In Tochterunternehmen wie dem Carsharing-Dienst Car2Go, der Planungs-App Moovel, über die sich Angebote von öffentlichem Nahverkehr mit Taxi-Diensten, Deutscher Bahn und Carsharing kombinieren lassen oder Mytaxi, über die Kunden ihr Taxi direkt und nicht über die Zentrale bestellen, probieren sie neue Konzepte aus. Ihr aktuelles Kernprodukt, das Auto, steht dabei nicht mehr im Mittelpunkt, sondern ist nur Teil neuer Mobilitätsanbieter und Dienste.

BMW probiert sich bei DriveNow mit öffentlichem Carsharing aus und hat mit dem Venture-Capital-Unternehmen BMW iVentures einen Ideen-Inkubator ins Leben gerufen. So will man die Ressourcen der Gruppe mit der Flexibilität und dem Tempo von Start-ups zusammenbringen.

Audi wiederrum hat mit Audi Electronics Venture eine 100-prozentige Tochter gegründet, die als Bindeglied zwischen den beiden Welten Automobil und Elektronik fungieren soll. Rund 150 Mitarbeiter entwickeln dort neue Software und Funktionen, betreiben Technologie-Scouting und sichern sich über Beteiligungen und Kooperationen den Zugang zu neuem Wissen.

Connected Drive als Wegweiser

Das entbindet die amtierenden Entwicklungschefs jedoch nicht von der Aufgabe, die Strukturen in ihren bestehenden Abteilungen zu ändern. „Das bedeutet auch neue Arbeitsmodelle, um ohne zusätzliche eigene Ressourcen die vielen neuen Innovationsfelder zu erschließen und wettbewerbsdifferenzierende Funktionen und Lösungen zu bauen – Smart Car-Data, Connectivity 2.0 und Autonomes Fahren bestimmen den neuen Hype nach High-Tech Autos", sagt Thomas Brand von der auf Technologie- und Innovationsmanagement spezialisierten PA Consulting Group in Frankfurt am Main.

Immerhin: Daimler-Vorstand Källenius kann auf Vorarbeiten aufbauen. So haben die Schwaben im vergangenen Jahr in Sindelfingen ein neues Kompetenzzentrum zum Thema Digital Vehicle and Mobility gegründet, das alle Entwicklungsaktivitäten rund um das vernetzte Fahrzeug bündelt. Leiter von „Mission Control“, wie das Zentrum intern in Anlehnung an das Raumfahrtkontrollzentrum der Nasa genannt wird, ist Sajjad Khan, den Mercedes 2014 von BMW zurückgeholt hat. Der gebürtige Inder leitete dort die Entwicklung des Infotainmentsystems Connected Drive, das in der Branche als wegweisend gilt.

Sajjad Khan ist eine Schlüsselfigur

Khan soll zusammenbringen, was bisher nicht zusammenpassen will: Die unterschiedlichen Entwicklungskulturen von Softwareentwicklern und Auto-Ingenieuren. „Vier bis sechs Monate zwischen einzelnen Software-Updates ist das Ziel. Wir sind gerade in den meisten Fällen bei einem Jahr Entwicklungszeit, in manchen Fällen auch schon bei acht Monaten“, sagt Khan.

Updates sollen in Zukunft drahtlos "over-the-air" erfolgen. Das testet der Elektroautobauer Tesla bereits. Auf diese Weise haben Tesla-Fahrer zum Beispiel über Nacht eine Software erhalten, die teilautonomes Fahren möglich macht. "Wir werden sehr sicher in Zukunft over-the-air-Updates anbieten, wo es sicher ist und für den Kunden einen Mehrwert bietet", verspricht Khan. Er will die Zahl der Software-Entwickler weiter erhöhen.

Für Källenius ist Khan damit eine Schlüsselfigur: Vom Erfolg des Digital-Experten hängt auch seine Karriere ab. Källenius wird als möglicher Nachfolger von Dieter Zetsche an der Konzernspitze gehandelt.

Der Schwede tritt seinen neuen Posten als Entwicklungsvorstand in einer der spannendsten Phasen der Automobilgeschichte an. "Was einen Autobauer in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat, ist keine Garantie für Erfolg in der der Zukunft", sagt Andreas Tschiesner, Leiter des Expertenteams für die Automobil- und Fertigungsindustrie der Unternehmensberatung McKinsey. "Wir befinden uns im größten Umbruch seit Erfindung des Autos. Die Premiumhersteller müssen mehr Softwarekompetenz aufbauen, können dafür aber nicht an der Motorentwicklung sparen".

Die zusätzlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung müssten durch intelligente Modularisierung - also die Reduzierung von Varianten wie sie VW etwa bei der Zahl der Lenkräder angekündigt hat - kompensiert werden. "Andernfalls werden sie die Gewinne der Premiumhersteller belasten", warnt Tschiesner.

Alternative? "Es gibt keine".

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