Daimler-Chef und der Diesel Was die Eskalation der Abgasaffäre für Zetsche bedeutet

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Der freiwillige Abgas-Rückruf hat nur das Ministerium beruhigt


Bereits am Rande des Pariser Autosalons im vergangenen September war Zetsche, locker in Jeans und blauem Sakko, Renault-Chef Carlos Ghosn beigesprungen. Bei einer Veranstaltung im Mercure-Hotel, von Teilnehmern als „Carlos-und-Dieter-Show“ bespöttelt, sagte er, Daimler habe die Renault-Motoren genutzt und werde sie auch weiter nutzen. Kunden hätten nie ein Problem mit den Motoren gehabt. Im Februar legte Zetsche noch mal nach: An seinem „Optimismus in der Zusammenarbeit mit Renault“ habe sich „nichts verändert“. Alles gut also?

Aufgefallen waren bei Abgastests des KBA vor allem Daimler-Diesel mit Renault-Motoren. Renault aber habe „auf Anfrage bereits im vergangenen Jahr schriftlich versichert“, dass „die Motoren den notwendigen Anforderungen entsprechen“, sagt Daimler.
Doch auch Autos, bei denen die Motoren nicht von Renault stammen, gerieten in die Kritik: In einem Bericht des Bundesverkehrsministerium heißt es etwa zum Mercedes V250 Bluetec, dass der den Stickoxid-Grenzwert im warmen Zustand um das 2,9-Fache überschreite. Das sei „nicht nachvollziehbar“. Messungen des Herstellers zeigten nämlich deutlich niedrigere Werte. Daimler hat nun freiwillig Tausende Fahrzeuge zurückgerufen, um Software-Updates aufzuspielen. Im Bericht stand damals, die Zweifel seien ausgeräumt, wenn Daimler diese Maßnahme ergreife. Der freiwillige Rückruf hat wohl das Ministerium, nicht aber die Staatsanwaltschaft beruhigt.

Was klingt wie Mauschelei, ist auch erfolgreicher Lobbyismus: Zetsche hat im November 2013 mit Eckart von Klaeden einen ehemaligen Staatsminister verpflichtet, der bestens in der Regierung verdrahtet ist – auch mit Staatssekretär Michael Odenwald aus dem Verkehrsministerium. Dem schickte von Klaeden Daimler-Stellungnahmen auch auf den privaten Mailaccount, aber lediglich „aus technischen Gründen“, wie von Klaeden dem Abgasuntersuchungsausschuss des Bundestags erklärte.

Noch tiefer im Abgas-Sumpf als bisher bekannt

Dort kam auch ans Licht, dass von Klaeden Staatssekretär Odenwald um „taktische Empfehlungen“ bat. Der Bitte sei Odenwald aber „so weit ich mich erinnere“ nicht nachgekommen, sagte von Klaeden. Es sei ihm wichtig, dass Daimlers Argumente in den „Abstimmungsprozess einfließen“. Und so konnten diverse Mitarbeiter des Kanzleramts lesen, wie von Klaeden vor dem „Verlust der Dieseltechnologie-Führerschaft von deutschen Automobilherstellern im globalen Umfeld“ warnte und bat, die Regierung möge ihre „Haltung angesichts der vorgetragenen Argumente noch einmal überdenken“.

Überdenken sollte Zetsche seinerseits Aussagen, dass Daimler nicht betrogen habe. Daimler selbst warnt im letzten Quartalsbericht, dass Behörden zu dem Schluss kommen könnten, in Dieselautos der Marke Mercedes seien „Funktionalitäten“ enthalten, die bei einem anderen Autobauer als möglicherweise unzulässig identifiziert worden seien.

Das könnte sich etwa auf AdBlue beziehen. Die Harnstofflösung AdBlue kann Stickoxide in Abgasen beseitigen – vorausgesetzt, die Autos haben genügend davon an Bord. Millionen VW-Autos hatten es nicht. Ähnliche Erkenntnisse zu Fahrzeugen von Daimler gibt es bislang nicht, dafür aber einige Auffälligkeiten: Lkw von Daimler verbrauchen nach offiziellen Angaben pro Liter Diesel fünf Mal so viel AdBlue wie viele Pkw von Daimler. Die Abgase der Lkw aber sind häufig sauberer als die von Pkw.

Eine von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebene Studie kommt dann auch zu dem Schluss, dass eines der dort getesteten Mercedes-C-Klasse-Modelle einen um 84 Prozent größeren AdBlue-Tank haben müsste, sollten die Abgasgrenzwerte eingehalten werden. Daimler bestreitet unsaubere Praktiken: Bei Fahrzeugen sei die AdBlue-Dosierung so ausgelegt, dass sie die gesetzlichen Grenzwerte einhielten.

AdBlue ist nach Informationen der WirtschaftsWoche auch Teil von US-Ermittlungen gegen Daimler.

Zetsche lässt es derweil frohgemut weiter krachen. Bei einem Mercedes-Benz-Empfang in Detroit etwa schmettert US-Popsängerin Bebe Rexha, grell geschminkte Lippen, tiefes Dekolleté, ihr „Me, Myself and I“. Kaum ist sie fertig, stürmt Dieter auf die Bühne des historischen Westin Book Cadillac Hotels und umarmt die Sängerin.

An solchen Abenden kann einem Daimler vorkommen wie die Titanic: Die Kapelle spielt, bis niemand mehr ein Selfie will.

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