Daimler Hat auch Daimler Abgaswerte manipuliert?

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Drohende Bußgelder und Schadenersatzklagen

Ob die beanstandeten Modelle rechtmäßig auf den Straßen unterwegs sind, ist strittig. Daimler meint, dass es ausreiche, wenn die Autos den Zulassungstest schaffen. Die EU-Kommission und der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags meinen dagegen, dass die Autos Grenzwerte auch im Normalbetrieb einhalten müssen.

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Weit größere Sorgen müssen dem Konzern ohnehin die Ermittlungen in den USA machen, die das US-Justizministerium zu Beginn des Jahres gestartet hat. Unter dem Druck einer drohenden Anklage hat sich der Konzern bereit erklärt, alle gewünschten Daten zur Verfügung zu stellen. Eine US-Kanzlei hat an Entwicklungsstandorten in Stuttgart und Sindelfingen Daten gesichert, in diesen Wochen soll Insidern zufolge die Befragung von Mitarbeitern beginnen. Worum es konkret geht, wollen weder Daimler noch die US-Ermittler sagen. Mary Nichols, Chefin der kalifornischen Umweltbehörde CARB, die den VW-Skandal auslöste, ließ sich immerhin entlocken, dass das Thema AdBlue „sehr interessant“ sei.

Sollte der Konzern den AdBlue-Verbrauch tatsächlich illegal reduziert haben, drohen ihm Bußgelder und Schadensersatzklagen. Ein Indiz könnten den Ermittlern die Ergebnisse eines alten Tests der einflussreichen US-Verbraucherzeitschrift „Consumer Reports“ liefern. 2003 wollten die Tester wissen, was die angeblich sauberen Diesel von Mercedes taugten. Sie kauften einen Geländewagen vom Typ GL 320 und fuhren mit ihm 25.000 Kilometer durch die USA. Als sie den Wagen danach in die Werkstatt brachten, mussten sie 28 Liter AdBlue nachfüllen lassen. Das kostete sie 317 Dollar, was die Tester ziemlich in Wallung brachte.

Die Adblue-Tanks sind zu knapp kalkuliert

Tatsächlich ist dieser Verbrauch aber erstaunlich niedrig. Etliche Professoren für Verbrennungsmotoren und auch VW taxieren den AdBlue-Bedarf, wenn die Abgase wirklich sauber sein sollen, bei rund fünf Prozent der verbrauchten Dieselmenge. Ein deutlich niedrigerer Wert käme einem technischen Wunder gleich. In dem 25.000-Kilometer-Test hätte der Mercedes demnach um die 100 Liter verbrauchen müssen. So viel AdBlue hätte gut 1100 Dollar gekostet, die Autos hätten zudem einen großen Tank gebraucht – kaum vorstellbar, dass die Tester das Modell dann noch positiv bewertet hätten. Die Chancen des Diesels in den USA wären deutlich gesunken.

Der Wahlsieg von Donald Trump bringt die deutschen Autobauer unter Druck. Besonders das VW-Geschäft dürfte leiden. Doch auch für BMW, Daimler und Audi dürften in den USA harte Zeiten anbrechen.
von Martin Seiwert

Der Verdacht, dass sich Daimler diese Marktchancen dadurch erhalten hat, dass der Konzern einen höheren Ausstoß von gesundheitsschädlichem NOx in Kauf nahm, wiegt schwer. Entsprechend wortkarg wird der Autobauer bei dem Thema. Insidern zufolge rechnete er bislang damit, dass seine Fahrzeuge für 100 Liter verbrauchten Diesel einen Liter AdBlue benötigen. Die neueste Motorengeneration würde nun mit „etwa zwei Prozent AdBlue“ klarkommen, heißt es in Stuttgart. Der Bedarf hätte sich also verdoppelt – obwohl bei neuen Motoren dank technischer Fortschritte eigentlich viel weniger Stickstoff entsteht, den das AdBlue neutralisieren muss. Das wäre tatsächlich eine wundersame Entwicklung.

Daimler wird sie erklären müssen, ehe der Konzern unbelastet von der Vergangenheit mit Elektroautos in Richtung CO2-freie Zukunft durchstarten kann.

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