Daimler droht Milliardenstrafe Diese Motoren machen Daimler Probleme

Mercedes-Benz S-Klasse mit OM651 Quelle: Daimler

Die Luft wird für Daimler im Dieselskandal immer dünner: Verkehrsminister Scheuer droht mit einer Milliardenstrafe, die Staatsanwaltschaft weitet ihre Ermittlungen aus. Die wichtigsten Antworten.

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Als Daimler-Chef Dieter Zetsche am Montag das Verkehrsministerium verließ, war er zuversichtlich. „Es war ein gutes, konstruktives Gespräch“, sagte Zetsche. Wenn der Konzernlenker bald wieder bei Verkehrsminister Andreas Scheuer zum Rapport, will Zetsche die geforderten Antworten liefern – die genaue Zahl der betroffenen Modelle zum Beispiel.

Ob die Daimler-Aktionäre das Gespräch auch mit „gut“ bewerten würde, darf bezweifelt werden. Nach Informationen des „Spiegel“ soll Scheuer dem Autokonzern mit einem Ordnungsgeld von 3,75 Milliarden Euro gedroht haben – der Verkehrsminister geht von 750.000 Mercedes-Autos mit manipuliertem Abgassystem aus. Pro Fahrzeug könne er bis zu 5000 Euro berechnen, so der Bericht.

Nicht nur das Ministerium in Berlin, sondern auch die Strafverfolger gehen offenbar von einer höheren Anzahl betroffener Fahrzeuge aus. „Die Daimler-Ermittlungen sind in technischer Hinsicht ausgeweitet worden“, sagte der Stuttgarter Staatsanwalt Heiner Römhild der „Süddeutschen Zeitung“. Sprich: Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch bei einem dritten Dieselmotor, ob die Abgasnachbehandlung manipuliert wurde. Daimler wollte das offiziell nicht kommentieren.

Um welche Motoren geht es?

Bislang haben sich die Stuttgarter Ermittler auf die Motoren OM642 und OM651 konzentriert – beides sind sehr weit verbreitete Motoren. Der OM651 ist ein Vierzylinder, der in zwei Varianten mit 1,8 oder 2,2 Litern Hubraum gebaut wird. Der OM642 ist ein V6-Dieselmotor mit 3,0 Litern Hubraum, der seit 2005 gebaut wurde und aktuell noch in zwei Baureihen eingesetzt wird. Inzwischen nehmen die Ermittler auch den OM622 unter die Lupe – also jenen Motor, der in den vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Vito-Modellen eingebaut wird.

Woher stammen die Motoren?

Der OM642 und OM651 sind Daimler-Eigenentwicklungen. Der Sechszylinder wird im Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde montiert, der Vierzylinder wird nach einer Vormontage in Stuttgart im thüringischen Kölleda fertiggestellt, wie die meisten Vierzylinder-Motoren des Konzerns. Der OM622 stammt im Kern jedoch vom Kooperationspartner Renault, wird aber von Daimler für seine Zwecke angepasst.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Wie viel Daimler steckt im OM622?

Für Renault genug, um die Verantwortung dem deutschen Partner zuzuschieben. „Das Problem mit dem Vito betrifft allein Daimler“, sagte ein Renault-Sprecher am Wochenende. Bereits im März, also kurz nach Bekanntwerden der KBA-Ermittlungen gegen den Vito, hatte Renault-Vize Thierry Bolloré Daimler die Schuld zugewiesen. „Für die Motorensteuerung ist immer der Autohersteller verantwortlich, in dessen Fahrzeug der Motor eingebaut ist“, sagte Bolloré in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Der Basismotor, ein 1,6 Liter großer Vierzylinder mit Turbolader, wird von Renault als R9M bezeichnet und im Werk Cléon in der Normandie gefertigt. Dieser Basismotor wird dann von Daimler im Werk Bremen angepasst, der deutsche Konzern baut unter anderem eine Start-Stopp-Funktion ein, neue Nebenaggregate (etwa den Kompressor für die Klimaanlage) sowie ein neues Schwungrad. Und eben die Motorsteuerung und Abgasnachbehandlung – beides muss immer auf das jeweilige Fahrzeugmodell angepasst werden. Für die Motorsteuerung macht es einen Unterschied, ob das Abgassystem bei einem 4,36 Meter langen Renault Mégane sehr kompakt gehalten werden muss oder ob bei einem mindestens 4,90 Meter langen Mercedes Vito ausreichend Platz ist.

In welchen Modellen wird der OM622 eingebaut?

Der OM622 wird tatsächlich nur in dem Vito eingesetzt – in zwei Leistungsvarianten mit 88 und 114 PS. Der 1,6-Liter-Diesel bildet dort die schwache Einstiegs-Motorisierung für den Transporter. In den stärkeren Versionen des Vito wird der OM651 eingebaut. Die Stückzahlen sind entsprechend gering, es soll um 5000 Fahrzeuge weltweit gehen.

Dennoch könnte das Problem größer werden, denn auf Basis des Renault-Motors baut Daimler noch den sogenannten OM626. Dieser Motor wird nicht quer im Motorraum eingebaut wie der OM622, sondern längs und ist damit für die Mercedes-Pkw mit Heckantrieb geeignet. Seit 2014 wird er in die C-Klasse eingebaut und unter den Bezeichnungen C180d (mit 116 PS) und C200d (mit 136 PS, nur mit Handschaltung) verkauft. Die beiden C-Klasse-Varianten kommen auf deutlich höhere Stückzahlen – so kommt das Verkehrsministerium wohl auf die 750.000 Fahrzeuge. Nach „Spiegel“-Informationen seien die Untersuchungen bei der C-Klasse weit fortgeschritten und „die Indizien aus Sicht der Verkehrsbehörden erdrückend“.

Wie die Lage beim OM642 und OM651 ist

Wie soll Daimler beim OM622 manipuliert haben?

Das Kraftfahrt-Bundesamt beanstandet zwei Funktionen, die die Abgasnachbehandlung auf der Straße herunterregeln – im Kern derselbe Vorwurf wie einst bei VW. Daimler bestreitet das nicht, hat aber eine andere Rechtsauffassung. „Die Funktionen sind Teil eines komplexen Abgasreinigungssystems, das eine robuste Abgasreinigung bei unterschiedlichen Fahrbedingungen und über die Nutzungsdauer eines Fahrzeugs sicherstellen soll“, schreibt Daimler in einer Mitteilung. „Für das Bestehen des maßgeblichen Test-Zyklus NEFZ sind die in Frage stehenden spezifischen Programmierungen nicht erforderlich.“

Sprich: Daimler hält den Motor für legal, weil es für den Normtest keinen Unterschied macht, ob die beiden Funktionen aktiv sind oder nicht. Sie sollen unter bestimmten Bedingungen die Langlebigkeit des Motors verbessern.

Ist die Erklärung mit dem Motorenschutz glaubhaft?

Diesel-Motoren mit AdBlue-Abgasreinigung neigen zur sogenannten „Versottung“. Bei dem chemischen Prozess, bei dem die Stickoxide im Diesel-Abgas durch den im AdBlue enthaltenen Harnstoff abgebaut wird, entsteht ein Schleim aus Kohlenwasserstoff, Kondenswasser und Ruß. Dieser Schleim kann Leitungen oder Bauteile wie den Partikelfilter zusetzen. Der Schleim entsteht jedoch hauptsächlich bei niedrigeren Temperaturen.

Um die Versottung zu verhindern, haben die Autobauer das seit dem VW-Skandal bekannte „Thermofenster“ entwickelt. Bei kalten Temperaturen wird die Abgasreinigung mit dem Harnstoff heruntergefahren oder sogar ganz abgestellt. Der Normtest wird bei über 20 Grad absolviert, deshalb ist die Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen nicht maßgeblich für das Bestehen des Tests. Der Umweg über den Motorschutz wird den Autobauern vom Gesetzgeber eingeräumt, ist aber umstritten: Es ist ein Weg, um unter bestimmten Umständen die Versottung zu vermeiden, darf aber nicht als pauschale Entschuldigung dienen, ab einer bestimmten Temperatur grundsätzlich die Abgasreinigung abzuregeln.

Wie diese Regelungen zum Bauteilschutz ausgelegt werden, ist wohl der Gradmesser dafür, ob die Daimler-Funktionen zulässig sind oder nicht. Der Konzern will im Zweifel seine „strittige Rechtsauslegung“ auch vor Gericht klären lassen.

Wie ist die Lage bei den beiden anderen Motoren?

Noch sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Es ist also noch offen, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erheben wird oder nicht – es geht um den Vorwurf unlauterer Werbung. Beide Motoren wurden über ein Jahrzehnt lang in viele der Kernbaureihen von Mercedes-Benz eingebaut, von der C- bis zur S-Klasse und in viele SUV-Modelle. Der V6-Diesel war zwischenzeitlich auch in den USA erhältlich, hier drohen empfindliche Strafen, falls Daimler der Manipulation überführt werden würde. Aktuell wird der OM642 nur noch im Sprinter und dem großen SUV GLS eingebaut. In den anderen Modellen wurde er bereits durch seinen Nachfolger OM656, einen Reihensechszylinder mit drei Litern Hubraum, ersetzt.

Auch der OM651 ist am Ende seiner Bauzeit angelangt und wird zunehmen durch den 2,0 Liter großen OM654 ersetzt. Die beiden neuen Motoren sind Teil eines modularen Motorenbaukastens, bei dem durch ein einheitliches Zylindervolumen von ungefähr 500 Millilitern und einen einheitlichen Zylinderabstand von 90 Millimetern viele Gleichteile verwendet werden können. Bei den neuen Motoren gibt es noch keine Vorwürfe wegen einer möglichen Abgasmanipulation. Im Gegenteil: In einem Test der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat eine E-Klasse mit OM654 sogar auf der Straße bei niedrigen Außentemperaturen die Grenzwerte deutlich eingehalten.

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