Als Daimler-Chef Dieter Zetsche am Montag das Verkehrsministerium verließ, war er zuversichtlich. „Es war ein gutes, konstruktives Gespräch“, sagte Zetsche. Wenn der Konzernlenker bald wieder bei Verkehrsminister Andreas Scheuer zum Rapport, will Zetsche die geforderten Antworten liefern – die genaue Zahl der betroffenen Modelle zum Beispiel.
Ob die Daimler-Aktionäre das Gespräch auch mit „gut“ bewerten würde, darf bezweifelt werden. Nach Informationen des „Spiegel“ soll Scheuer dem Autokonzern mit einem Ordnungsgeld von 3,75 Milliarden Euro gedroht haben – der Verkehrsminister geht von 750.000 Mercedes-Autos mit manipuliertem Abgassystem aus. Pro Fahrzeug könne er bis zu 5000 Euro berechnen, so der Bericht.
Nicht nur das Ministerium in Berlin, sondern auch die Strafverfolger gehen offenbar von einer höheren Anzahl betroffener Fahrzeuge aus. „Die Daimler-Ermittlungen sind in technischer Hinsicht ausgeweitet worden“, sagte der Stuttgarter Staatsanwalt Heiner Römhild der „Süddeutschen Zeitung“. Sprich: Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch bei einem dritten Dieselmotor, ob die Abgasnachbehandlung manipuliert wurde. Daimler wollte das offiziell nicht kommentieren.
Um welche Motoren geht es?
Bislang haben sich die Stuttgarter Ermittler auf die Motoren OM642 und OM651 konzentriert – beides sind sehr weit verbreitete Motoren. Der OM651 ist ein Vierzylinder, der in zwei Varianten mit 1,8 oder 2,2 Litern Hubraum gebaut wird. Der OM642 ist ein V6-Dieselmotor mit 3,0 Litern Hubraum, der seit 2005 gebaut wurde und aktuell noch in zwei Baureihen eingesetzt wird. Inzwischen nehmen die Ermittler auch den OM622 unter die Lupe – also jenen Motor, der in den vom Kraftfahrt-Bundesamt beanstandeten Vito-Modellen eingebaut wird.
Woher stammen die Motoren?
Der OM642 und OM651 sind Daimler-Eigenentwicklungen. Der Sechszylinder wird im Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde montiert, der Vierzylinder wird nach einer Vormontage in Stuttgart im thüringischen Kölleda fertiggestellt, wie die meisten Vierzylinder-Motoren des Konzerns. Der OM622 stammt im Kern jedoch vom Kooperationspartner Renault, wird aber von Daimler für seine Zwecke angepasst.
Welche Schadstoffe im Abgas stecken
Stickoxide (allgemein NOx) gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Luftsauerstoff auch zum giftigeren Stickstoffdioxid (NO2). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in Kleinstmengen vor, sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Die Stoffe können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Pflanzen werden dreifach geschädigt: NOx sind giftig für Blätter und sie überdüngen und versauern die Böden. Außerdem tragen Stickoxide zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Kohlendioxid (CO2) ist in nicht zu großen Mengen unschädlich für den Menschen, aber zugleich das bedeutendste Klimagas und zu 76 Prozent für die menschengemachte Erderwärmung verantwortlich. Der Straßenverkehr verursacht laut Umweltbundesamt rund 17 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland – hier spielt CO2 die größte Rolle. Es gibt immer sparsamere Motoren, zugleich aber immer größere Autos und mehr Lkw-Transporte. Außerdem mehren sich Hinweise darauf, dass Autobauer nicht nur bei NOx-, sondern auch bei CO2-Angaben jahrelang getrickst haben könnten.
Bei der Treibstoff-Verbrennung in vielen Schiffsmotoren fällt auch giftiges Schwefeldioxid (SO2) an. In Autos und Lkws entsteht dieser Schadstoff aber nicht, was am Kraftstoff selbst liegt: Schiffsdiesel ist deutlich weniger raffiniert als etwa Pkw-Diesel oder Heizöl und enthält somit noch chemische Verbindungen, die bei der Verbrennung in Schadstoffe umgewandelt werden.
Winzige Feinstaub-Partikel entstehen entweder direkt in Automotoren, Kraftwerken und Industrieanlagen oder indirekt durch Stickoxide und andere Gase. Die Teilchen gelangen in die Lunge und dringen in den Blutkreislauf ein. Sie können Entzündungen der Atemwege hervorrufen, außerdem Thrombosen und Herzstörungen. Der Feinstaub-Ausstoß ist in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich gesunken. Städte haben Umweltzonen eingerichtet, um ihre Feinstaubwerte zu senken.
Feinstaub entsteht aber nicht nur in den Motoren. Auch der Abrieb von Reifen und Bremsen löst sich in feinsten Partikeln. Genauso entstehen im Schienenverkehr bei jedem Anfahren und Bremsen feiner Metallabrieb an den Schienen. All das landet ebenfalls als Feinstaub in der Luft.
Katalysatoren haben die Aufgabe, gefährliche Gase zu anderen Stoffen abzubauen. In Autos wandelt der Drei-Wege-Kat giftiges Kohlenmonoxid (CO) mit Hilfe von Sauerstoff zu CO2, längere Kohlenwasserstoffe zu CO2 und Wasser sowie NO und CO zu Stickstoff und CO2 um. Der sogenannte Oxidations-Kat bei Dieselwagen ermöglicht jedoch nur die ersten beiden Reaktionen, so dass Dieselabgase noch mehr Stickoxide enthalten als Benzinerabgase. Eingespritzter Harnstoff („AdBlue“) kann das Problem entschärfen: Im Abgasstrom bildet sich so zunächst Ammoniak, der anschließend in Stickstoff und Wasser überführt wird.
Wie viel Daimler steckt im OM622?
Für Renault genug, um die Verantwortung dem deutschen Partner zuzuschieben. „Das Problem mit dem Vito betrifft allein Daimler“, sagte ein Renault-Sprecher am Wochenende. Bereits im März, also kurz nach Bekanntwerden der KBA-Ermittlungen gegen den Vito, hatte Renault-Vize Thierry Bolloré Daimler die Schuld zugewiesen. „Für die Motorensteuerung ist immer der Autohersteller verantwortlich, in dessen Fahrzeug der Motor eingebaut ist“, sagte Bolloré in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.
Der Basismotor, ein 1,6 Liter großer Vierzylinder mit Turbolader, wird von Renault als R9M bezeichnet und im Werk Cléon in der Normandie gefertigt. Dieser Basismotor wird dann von Daimler im Werk Bremen angepasst, der deutsche Konzern baut unter anderem eine Start-Stopp-Funktion ein, neue Nebenaggregate (etwa den Kompressor für die Klimaanlage) sowie ein neues Schwungrad. Und eben die Motorsteuerung und Abgasnachbehandlung – beides muss immer auf das jeweilige Fahrzeugmodell angepasst werden. Für die Motorsteuerung macht es einen Unterschied, ob das Abgassystem bei einem 4,36 Meter langen Renault Mégane sehr kompakt gehalten werden muss oder ob bei einem mindestens 4,90 Meter langen Mercedes Vito ausreichend Platz ist.
In welchen Modellen wird der OM622 eingebaut?
Der OM622 wird tatsächlich nur in dem Vito eingesetzt – in zwei Leistungsvarianten mit 88 und 114 PS. Der 1,6-Liter-Diesel bildet dort die schwache Einstiegs-Motorisierung für den Transporter. In den stärkeren Versionen des Vito wird der OM651 eingebaut. Die Stückzahlen sind entsprechend gering, es soll um 5000 Fahrzeuge weltweit gehen.
Dennoch könnte das Problem größer werden, denn auf Basis des Renault-Motors baut Daimler noch den sogenannten OM626. Dieser Motor wird nicht quer im Motorraum eingebaut wie der OM622, sondern längs und ist damit für die Mercedes-Pkw mit Heckantrieb geeignet. Seit 2014 wird er in die C-Klasse eingebaut und unter den Bezeichnungen C180d (mit 116 PS) und C200d (mit 136 PS, nur mit Handschaltung) verkauft. Die beiden C-Klasse-Varianten kommen auf deutlich höhere Stückzahlen – so kommt das Verkehrsministerium wohl auf die 750.000 Fahrzeuge. Nach „Spiegel“-Informationen seien die Untersuchungen bei der C-Klasse weit fortgeschritten und „die Indizien aus Sicht der Verkehrsbehörden erdrückend“.