Daimler Hat auch Daimler Abgaswerte manipuliert?

Dieselfahrzeuge haben auffällig wenig von einer Lösung verbraucht, die den Ausstoß von Stickoxid reduziert. Hat der Konzern getrickst?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hat Daimler bei Abgaswerten getrickst? Quelle: imago images

Ein wenig unwohl war Dieter Zetsche und seinen Zuarbeitern vor dem vergangenen Sonntag doch. Schließlich hätte der Auftritt des Daimler-Chefs beim Parteitag der Grünen hässlich enden können. Buhrufe und feindselige Plakate galten bei den Personenschützern noch als mildere Formen der Missfallensbekundung, auch Farbbeutel und andere fliegende Objekte hatten sie eingeplant. Dann schwebten aber nur ein paar Seifenblasen als Zeichen stillen Protests in Richtung des Redners, der sich über den zahmen Gegenwind wunderte: „Ich habe eigentlich mehr erwartet.“

Die einst autofeindlichen Grünen und der Konzernboss sind sich im Kern einig darüber, wie die automobile Zukunft aussehen soll. Die Industrie soll Fahrzeuge entwickeln, die überhaupt kein Kohlendioxid (CO2) mehr ausstoßen, beschloss der Parteitag. Und Zetsche stimmte zu.

Das ist die Zukunft. Die Vergangenheit hätte durchaus Anlass zur Kritik geben können. Denn ähnlich wie VW könnte Daimler Abgaswerte manipuliert haben. Recherchen der WirtschaftsWoche legen jedenfalls nahe, dass der Konzern beim Ausstoß von Stickoxid trickste, um damit die Emission von CO2 zu reduzieren. Daimler bestreitet illegale Manipulationen.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Ein Zuviel an Stickoxidemissionen steht im Mittelpunkt des Abgasskandals bei VW. Mit der sogenannten AdBlue-Technik kann Daimler den Ausstoß schon seit Jahren senken. AdBlue, eine Lösung aus Harnstoff und Wasser, kann Stickoxid neutralisieren. Um voll zu funktionieren, brauchen die Systeme aber große Mengen AdBlue.

Für die Hersteller und ihre Kunden ist das ein Problem. AdBlue muss entweder in einem großen Tank mitgeführt oder oft nachgefüllt werden. Beide Lösungen sind ebenso aufwendig wie teuer – und nur begrenzt umweltfreundlich. Bei entsprechend angepassten Motoren kann zudem der Kraftstoffverbrauch und damit auch der CO2-Ausstoß steigen. Das wichtigste Verkaufsargument für den Diesel hätte sich damit erledigt. „Der Verbrauchsvorteil hätte zerstört werden können“, sagt Karl Huber, Professor für Verbrennungsmotoren an der Technischen Universität Ingolstadt. „Das wäre eine Katastrophe für die deutschen Autobauer gewesen, die den Diesel stets als Lösung der Klimaprobleme priesen.“

Wie die Adblue-Technik funktioniert

CO2-Sparen um jeden Preis

Weil CO2 dafür verantwortlich ist, dass sich das Weltklima erwärmt, versuchen Politiker schon seit Jahren, den CO2-Ausstoß zu verringern. Sie definieren strenge Emissionsgrenzen und verpflichteten die Autobauer, ihre Fahrzeuge anzupassen. Dabei sind womöglich nicht alle korrekt vorgegangen. So berichten Insider des Zulieferers Bosch von Software, die zu niedrige CO2-Werte ausweisen soll.

Daimler hat darauf geachtet, die CO2-Grenzen einzuhalten, allerdings zu einem zweifelhaften Preis. Der Autobauer stattete viele Modelle mit AdBlue-Systemen aus, die allerdings nur in Zulassungstests und bestimmten Fahrsituationen voll funktionierten. Im Alltagsbetrieb auf der Straße überschritten die Stickoxidwerte die gesetzlichen Grenzen häufig um ein Vielfaches. In Tests des Kraftfahrbundesamts im Frühjahr fiel Daimler besonders negativ auf. 240.000 Autos riefen die Stuttgarter daraufhin zurück.

Drohende Bußgelder und Schadenersatzklagen

Ob die beanstandeten Modelle rechtmäßig auf den Straßen unterwegs sind, ist strittig. Daimler meint, dass es ausreiche, wenn die Autos den Zulassungstest schaffen. Die EU-Kommission und der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags meinen dagegen, dass die Autos Grenzwerte auch im Normalbetrieb einhalten müssen.

Wie-stark-der-Spritverbrauch-im-Alltag-von-den-Herstellerangaben-abweicht

Weit größere Sorgen müssen dem Konzern ohnehin die Ermittlungen in den USA machen, die das US-Justizministerium zu Beginn des Jahres gestartet hat. Unter dem Druck einer drohenden Anklage hat sich der Konzern bereit erklärt, alle gewünschten Daten zur Verfügung zu stellen. Eine US-Kanzlei hat an Entwicklungsstandorten in Stuttgart und Sindelfingen Daten gesichert, in diesen Wochen soll Insidern zufolge die Befragung von Mitarbeitern beginnen. Worum es konkret geht, wollen weder Daimler noch die US-Ermittler sagen. Mary Nichols, Chefin der kalifornischen Umweltbehörde CARB, die den VW-Skandal auslöste, ließ sich immerhin entlocken, dass das Thema AdBlue „sehr interessant“ sei.

Sollte der Konzern den AdBlue-Verbrauch tatsächlich illegal reduziert haben, drohen ihm Bußgelder und Schadensersatzklagen. Ein Indiz könnten den Ermittlern die Ergebnisse eines alten Tests der einflussreichen US-Verbraucherzeitschrift „Consumer Reports“ liefern. 2003 wollten die Tester wissen, was die angeblich sauberen Diesel von Mercedes taugten. Sie kauften einen Geländewagen vom Typ GL 320 und fuhren mit ihm 25.000 Kilometer durch die USA. Als sie den Wagen danach in die Werkstatt brachten, mussten sie 28 Liter AdBlue nachfüllen lassen. Das kostete sie 317 Dollar, was die Tester ziemlich in Wallung brachte.

Die Adblue-Tanks sind zu knapp kalkuliert

Tatsächlich ist dieser Verbrauch aber erstaunlich niedrig. Etliche Professoren für Verbrennungsmotoren und auch VW taxieren den AdBlue-Bedarf, wenn die Abgase wirklich sauber sein sollen, bei rund fünf Prozent der verbrauchten Dieselmenge. Ein deutlich niedrigerer Wert käme einem technischen Wunder gleich. In dem 25.000-Kilometer-Test hätte der Mercedes demnach um die 100 Liter verbrauchen müssen. So viel AdBlue hätte gut 1100 Dollar gekostet, die Autos hätten zudem einen großen Tank gebraucht – kaum vorstellbar, dass die Tester das Modell dann noch positiv bewertet hätten. Die Chancen des Diesels in den USA wären deutlich gesunken.

Der Wahlsieg von Donald Trump bringt die deutschen Autobauer unter Druck. Besonders das VW-Geschäft dürfte leiden. Doch auch für BMW, Daimler und Audi dürften in den USA harte Zeiten anbrechen.
von Martin Seiwert

Der Verdacht, dass sich Daimler diese Marktchancen dadurch erhalten hat, dass der Konzern einen höheren Ausstoß von gesundheitsschädlichem NOx in Kauf nahm, wiegt schwer. Entsprechend wortkarg wird der Autobauer bei dem Thema. Insidern zufolge rechnete er bislang damit, dass seine Fahrzeuge für 100 Liter verbrauchten Diesel einen Liter AdBlue benötigen. Die neueste Motorengeneration würde nun mit „etwa zwei Prozent AdBlue“ klarkommen, heißt es in Stuttgart. Der Bedarf hätte sich also verdoppelt – obwohl bei neuen Motoren dank technischer Fortschritte eigentlich viel weniger Stickstoff entsteht, den das AdBlue neutralisieren muss. Das wäre tatsächlich eine wundersame Entwicklung.

Daimler wird sie erklären müssen, ehe der Konzern unbelastet von der Vergangenheit mit Elektroautos in Richtung CO2-freie Zukunft durchstarten kann.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%