Daimler-Hauptversammlung „12 Millionen für Källenius, 90 Cent für mich“

Acht Stunden Daimler-Hauptversammlung. Ein Erfahrungsbericht. Quelle: dpa

Acht Stunden Hauptversammlung und 65 Seiten Tagesordnung – die Daimler-Spitzen hatten viel zu besprechen. Wovon reden die überhaupt? Ein Erfahrungsbericht.

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Als junge Aktionärin ist es meine erste Hauptversammlung. Ich weiß noch nicht viel über Bilanzgewinne, Dividenden und Vorstandsgehälter. Das sollte sich jetzt ändern. Grundlage meiner Recherche sind das 65 Seiten lange Tagesprogramm sowie die Hauptversammlung selbst. Schon ein erster Blick verrät: Das einmal jährlich tagende Gremium hat viel zu besprechen. Es wird ein langer Tag.

Zwei Sachen sind anders heute: Ola Källenius tritt das erste Mal als Vorstandsvorsitzender der Daimler AG vor die Aktionäre. Und erstmals findet die Hauptversammlung wegen der Kontaktbeschränkungen durch die Corona-Pandemie virtuell statt. Nach zahlreichen Debatten, ob sie verschoben werden oder digital stattfinden soll, werden die Kritiker der virtuellen Lösung überstimmt.

Der Nachteil: Die Redebeiträge wichtiger Investoren entfallen. Auch konnten die Aktionäre kritische Fragen nicht live stellen, sondern mussten diese zuvor einreichen – ohne die Rede des Vorstandsvorsitzenden überhaupt gehört zu haben. Unbequeme Fragen kann der Vorstand so leicht umgehen.

Vor leeren Rängen: Michael Brecht, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats, Manfred Bischoff, Vorsitzender des Aufsichtsrats, Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender, Harald Wilhelm, Finanzvorstand, und Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied für das Ressort Integrität und Recht, während der virtuellen Hauptversammlung der Daimler AG. (von links nach rechts) Quelle: Daimler AG/dpa

Doch die Form der Zusammenkunft hat auch Vorteile. Der Konzern ist gezwungen, entscheidende Schritte in Richtung einer digitalen Zukunft einzuleiten. Zusammenkünfte online – das geht. Stimmabgabe online – ganz einfach. Ein weiterer Vorteil: Kleinaktionäre, die sonst vor der Fahrt in die Konzernzentrale zurückschrecken, konnten die Hauptversammlung bequem von zu Hause aus anschauen.

Los geht’s: Källenius vor leeren Rängen

Vier Männer und eine Frau zieren das Podium des Mercedes-Benz Global Training Centers in Stuttgart: Allen voran der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius und Aufsichtsratschef Manfred Bischoff, gefolgt von der Juristin Renata Juno Brüngger, dem Betriebsratsvorsitzenden Michael Brecht und dem Finanzchef Harald Wilhelm.

Die sonst so dichtbestuhlte Halle in der Landeshauptstadt ist in diesem Jahr ganz leer.

Das macht es Källenius und Bischoff gleich doppelt schwer, Vertrauen für die Zukunft zu schaffen. Der Aufsichtsratschef spricht in langen 30 Minuten über die allgemeinen Regeln zur Tagesordnung, die Herausforderungen des Corona-Virus und die Geschäftsaussichten für das kommende Jahr. Mit den Worten „Ola, darf ich dich bitten“ wechselt die Perspektive und die Kamera schwenkt um auf Källenius. Man merkt gleich: Die Techniker haben alle Register gezogen, um die einsame Halle in Szene zu setzen. Säulenartig steht der Vorstandschef mit ausgebreiteten Armen vor einer grauen Wand und fasst die Kennzahlen des vergangenen Jahres zusammen. Neben ihm die silbernen Lettern auf weißem Grund – Daimler. Auf der anderen Seite eine schlichte Präsentation. Ruhig spricht er über die Verluste des vergangenen Halbjahres – 19 Prozent weniger Autoverkäufe und ein Rückgang von 38 Prozent im ohnehin schwächelnden Truckgeschäft. Um Kosten zu reduzieren, stellt der Konzern das Pkw-Werk im französischen Hambach zum Verkauf. Trotzdem hält Daimler an der Dividendenausschüttung von 90 Cent pro Aktie fest.

Durch den Dschungel der Tagesordnung

Dem Programm entnehme ich 13 Tagesordnungspunkte. Substantivierungen erschweren den Überblick. Schon Punkt eins muss ich dreimal lesen, um zu verstehen, worum es geht. „Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses der Daimler AG, des gebilligten Konzernabschlusses, des zusammengefassten Lageberichts für die Daimler AG und den Konzern sowie des Berichts des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2019“ – nun gut, der Aufsichtsrat hat den Jahresabschluss abgenommen und die Hauptversammlung muss nichts weiter tun.

Nächster Punkt. Hier geht es um die Verwendung des Bilanzgewinns. Das ist für mich als Aktionärin sehr spannend. Bei einem Kurs von 37,48 Euro am Tag der Hauptversammlung liegt die Dividende bei 90 Cent pro Aktie. Ist das viel? Ich rufe den Börsenexperten Stefan Wolff an. Der muss es doch wissen, tritt er doch schließlich immer vor der Tagesschau auf. Er sieht das kritisch. „Es ist immer eine Gratwanderung. Viele finden sie zu hoch, weil die Herausforderungen der Zukunft groß sind und Rücklagen wichtig wären.“ Er bezieht sich damit auf die kritischen Stimmen von SPD und Linkspartei, die dafür plädieren, eine Gewinnbeteiligung in diesem Jahr ganz ausfallen zu lassen – unter anderem, weil viele Daimlerangestellte in den vergangenen Monaten Kurzarbeitergeld bezogen haben. Vielleicht sehen das auch einige Investoren so.

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