Daimler „Eine Kultur der Rechtlosigkeit etabliert“

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Personalchef Porth mit „breitem Rücken“ / Daimlers Stellungnahme

In einer Betriebsratszeitung hieß es damals, dass mit der Umsetzung des neuen Management Modells „der größte Umbau“ stattfinde, „den wir in den Verwaltungsbereichen dieses Unternehmens je erlebt haben“. Den Beschäftigten werde „ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt“: Es werde Versetzungen auch über Standortgrenzen hinaus geben. Führungskräfte würden erleben, wie zunächst ihre Strukturstelle und dann ihr Status verschwinde. Auch Abgruppierungen würden „in manchen Fällen unvermeidbar sein“. Wie kam das bei Ihnen an? 
Nägele: Wir hatten plötzlich massenhaft Daimler-Mandate. Das Unternehmen spiegelte den Führungskräften vor, sie hätten keine Rechte, nur die Wahl einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben oder gekündigt zu werden. Die, die am Ende gekündigt wurden, haben ihre Prozesse gewonnen. Die Leute mussten teilweise wieder eingestellt werden und sind zum Teil heute noch dort tätig. 

Woher kommt diese Kultur bei Daimler
Nägele: Sie ist mit der Ära des ehemaligen Vorstandschefs Dieter Zetsche eingezogen. Ob er einen Beitrag dazu leistete, mag ich aber nicht beurteilen. Wer allerdings einen sehr breiten Rücken hat, ist Personalchef Wilfried Porth. Unter ihm hat sich nach und nach eine Kultur der Rechtlosigkeit etabliert. 

Herr Porth geht ja bald… 
Nägele: Ja, auf dem Nachfolger ruht meine Hoffnung. Aber so eine Kultur wird sich, wenn überhaupt, erst nach und nach ändern. Aktuell jedenfalls vergeht nahezu kein Tag, an dem mich keine Führungskraft anruft und mal eine Frage hat. 

Was ist denn die neueste Frage? 
Nägele: Zurzeit sind die Mitarbeiter der Ebene 4 dran, also einfache Manager. Die sollen neue Arbeitsverträge unterschreiben. Daimler will das Vergütungssystem umstellen. Das bedeutet sicher nichts Gutes. Das Unternehmen verfolgt damit eigennützige Zwecke. Aber ich rate denen, die bei Daimler bleiben wollen, auch mal eine Kröte zu schlucken. In der Vergangenheit war es gelebte Praxis, Mitarbeitern, die sich nicht unterordnen, signifikant weniger Phantom Shares zuzuteilen. Da können leicht einige zehntausend Euro Vergütung auf dem Spiel stehen.

Für Sie als Anwalt ist viel Reibung doch gut, da haben Sie Arbeit! 
Nägele: Ganz ehrlich: Am liebsten wäre es mir, wenn ich kein einziges Daimler-Mandat auf dem Schreibtisch hätte. Die Fälle sind aufwändig, emotional und man treibt sie durch alle Instanzen. Da wäre es mir lieber, man könnte auf eine vernünftige Art miteinander reden. 

Stellungnahme Daimler

In einer umfangreichen Stellungnahme erklärt Daimler dazu folgendes: Dass die Vereinbarung mit dem Betriebsrat rechtlich nicht haltbar sein soll, ebenso wie Mitteilungen an Führungskräfte, dass sie leitende Angestellte seien, weist Daimler als Unterstellung „entschieden zurück“. Auch die Aussage, dass Gerichte schon mehrfach geurteilt hätten, dass Mitarbeiter der Ebene 3 keine leitenden Angestellten seien und die meisten E2er auch nicht, entspreche nicht den Tatsachen. Daimler sagt: „Die Aussage, dass es sich um zahlreiche Gerichtsentscheidungen handelt, entspricht nicht den Tatsachen. Dass Gerichte in Einzelfällen zu anderen Einschätzungen kommen, trifft alle Teilnehmer einer Rechtsordnung – zur Überprüfung solcher Fragen gibt es die Gerichtsbarkeit.“

Auf die Frage, ob sich Daimler bis heute vor Gericht immer wieder darauf berufe, dass E3er leitende Angestellte seien und Daimler „die eindeutige Rechtslage nicht“ akzeptiere, antwortete Daimler, dass das nicht stimme: „Nein.“

Zur Zuordnung des Konzerns von Führungskräften der Ebene 3 erklärt Daimler folgendes: Das Betriebsverfassungsgesetz definiere in § 5 Abs. 3 S.2, was leitende Angestellte seien. Die Befugnis, Mitarbeiter einstellen zu können, sei dabei aber nur ein Kriterium, zudem ein alternatives. So heiße es etwa in Ziffer 3 „… regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere auf Grund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.“ Daimler überprüfe regelmäßig die Zuordnung gemäß Betriebsverfassungsgesetz. Mitarbeiter der Ebene E3, die nicht unter § 5 III fielen, würden zudem gemäß Betriebsverfassungsgesetz vom Betriebsrat vertreten. Mitarbeiter der Ebene E3, die unter § 5 III fielen, würden nicht vom Betriebsrat vertreten. Der Kreis der bei der Betriebsratswahl Wahlberechtigten werde „durch den jeweiligen vom Betriebsrat gebildeten Wahlausschuss definiert, der die Zuordnung des Unternehmens erneut überprüft“. 

Darüber hinaus sagt Daimler folgendes: Das Arbeitszeitgesetz halte Daimler „selbstverständlich“ ein. Der Geltungsbereich von (Gesamt-)Betriebsvereinbarungen werde gemeinsam von den Betriebsparteien festgelegt. Und der Kündigungsschutz sei gesetzlich geregelt: „Wir halten uns konsequent an die gesetzlichen Vorgaben.“

Zum Thema, dass Führungskräfte mit 60 Jahren aus dem Unternehmen ausscheiden müssten und dass die Regel rechtswidrig sei, erklärte Daimler folgendes: „Es gilt das jeweilige Rentenzugangsalter. Davon abweichende Vereinbarungen werden im gegenseitigen Einvernehmen gemeinsam von Unternehmen und Mitarbeiter geschlossen.“ Zum Vorwurf, dass Daimler in Kenntnis der Rechtsprechung erneut ein rechtswidriges System geschaffen habe und seine neuen Frühverrentungsmodelle mit dem Rentenalter 63 rechne, erklärt Daimler: „Den Vorwurf ein rechtswidriges System geschaffen zu haben, weisen wir entschieden zurück.“

Auch den Vorwurf, Daimler habe eine „die Rechtsordnung umgehenden Struktur“ geschaffen, weist das Unternehmen zurück: „Diesen Vorwurf einer „die Rechtsordnung umgehenden Struktur“ weisen wir entschieden zurück. Der Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. Daimler hält sich konsequent an rechtliche Vorgaben und die geltenden Gesetze.“

Die Darstellung zum Neue Management Modell kann Daimler „nicht nachvollziehen. Aufhebungsverträge im Rahmen von Effizienzprogrammen sind eine sozial verträgliche Maßnahme und beruhen immer auf beidseitiger Freiwilligkeit.“

Dass sich unter Personalvorstand Porth nach und nach „eine Kultur der Rechtlosigkeit etabliert“ habe, weist Daimler zurück: „Solche Unterstellungen weisen wir entschieden zurück. Insbesondere auch unter der Verantwortung von Wilfried Porth haben wir verschiedene Kulturinitiativen, wie beispielsweise „Leadership 2020“ etabliert, die von der Belegschaft sehr positiv aufgenommen wurden.

Zu den neuen Arbeitsverträgen von Mitarbeitern der Ebene 4 erklärt Daimler: „Seit Jahren haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass Mitarbeiter der Ebene 4 ihr Vergütungssystem auf die Logik der leitenden Führungskräfte umstellen können. Diese Umstellung ist freiwillig. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Vergütungsthemen – nicht zuletzt aus kartellrechtlichen Gründen – nicht in der Öffentlichkeit diskutieren.“

Dass Mitarbeiter, die sich nicht unterordnen, weniger Phantom Shares bekamen, soll nicht stimmen. „Nein“, sagt Daimler auf die Frage, ob das richtig sei. 

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