Daimler und Renault-Nissan Macht Daimler wieder den Chrysler-Fehler?

Daimler und Renault-Nissan arbeiten heute enger zusammen denn je. Damit wachsen die Vorteile. Doch auch das Risiko steigt, wenn sich bei einem der Unternehmen etwas ändert – wie der Showdown bei den Franzosen zeigt.

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Mercedes-Benz A-Klasse und Nissan Infiniti im Profil. Quelle: PR

Der ältere Herr auf dem Bürgersteig schaut zweimal hin. Denn was da gerade an ihm vorbeigefahren ist, hat er noch nie gesehen. Nicht nur, dass er den Infiniti Q30 von dieser größtenteils unbekannten Marke nicht kennt. Es ist auch das ungewöhnliche Design mit wuchtigem Kühlergrill, doppelt gewellter Motorhaube und expressiv geschwungenen Linien. So ein Auto, von der in Europa beliebten Größe eines VW Golf, kennt er nicht im entferntesten.

Zum Teil aber schon. Den was der Herr nicht weiß und was auch optisch kaum zu erahnen ist: Der Q30 ist – rein technisch gesehen – eine umgebaute A-Klasse von Mercedes. Kaum zu erahnen deshalb, weil jedes sichtbare Blechteil verändert wurde. Daimler liefert die Basis für den Edel-Nissan. Neben drei der vier verfügbaren Motorvarianten unter anderem das Getriebe, den Grundaufbau des Fahrwerks und zahlreiche Teile im Innenraum – etwa das Lenkrad, die Instrumententafel oder das Bedienfeld für die Klimaanlage. Wer die A-Klasse kennt, wird sich im Q30 schnell zurechtfinden.

Der extravagante Asiate
Frontal gibt sich der Infiniti Q50 durchaus aggressiv. Auf dem ausgeprägten Kühlergrill prangt das Infiniti-Logo. Die leicht geschwungenen Scheinwerfer werfen einen bösen Blick voraus. So sieht niemand aus, der sich verstecken will. Quelle: Sebastian Schaal
Von der Seite ähnelt die Front einem Drachenkopf: Lang gezogene Schlitze, die frontal auf den markanten Grill zulaufen, darunter betonte Nebelscheinwerfer. Quelle: Sebastian Schaal
Zwei ovale Auspuffrohre, zwei Chromleisten und markante Rückleuchten. Auch von hinten zeigt der Infiniti Q50 seinen individuellen Charakter. Quelle: Sebastian Schaal
In ganzer Länge zeigt der Q50 seine asiatische Herkunft: Die Chromelemente fallen ein bisschen breit aus. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Quelle: Sebastian Schaal
In der Tiefgarage könnte man den getesteten Q50 für schwarz halten, in der Sonne zeigt er eine weitere Besonderheit: Dann schimmert er in metallic-violett. Malbec Black nennt der Hersteller den Farbton. Sehr schick. Quelle: Sebastian Schaal
Unter der Haube wummert ein 170-PS-starker Vierzylinder-Dieselmotor aus dem Hause Daimler, der allerdings nicht ganz so elegant daher kommt, wie der Rest des Q50. Quelle: Sebastian Schaal
Damit beschleunigt der Q50 problemlos in 8,5 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer. Und das bei einem relativ geringen Verbrauch von 6,0 Litern im Test. Das ist in Ordnung, liegt aber deutlich über dem angegebenen Verbrauch von 4,8 Litern. Quelle: Sebastian Schaal

Den Infiniti als reinen Klon zu bezeichnen, würde ihm aber auch nicht gerecht. Das Design ist innen wie außen eigenständig, im Cockpit verzichten die Japaner zum Beispiel auf das freistehende Tablet-Display von Mercedes. Doch viel entscheidender: Er fährt sich anders. Während die Daimler-Ingenieure offenbar dachten, die angepeilte junge Zielgruppe der A-Klasse mag es sportlich-straff und steht auf die flotten Gangwechsel der Automatik, macht es Infiniti auf die sanfte Tour. Der Q30 federt weicher, wechselt die Gänge ohne spürbaren Ruck und ist insgesamt das komfortablere Auto. Eine Basis, zwei unterschiedliche Autos – so kann aus Sicht von Stefan Bratzel eine Zusammenarbeit zwischen Autoherstellern gut funktionieren.

Daimler und Renault-Nissan kooperieren seit 2010

„Insbesondere im Kompaktsegment und darunter spielen die Kosten und Margen eine große Rolle“, sagt der Leiter des Center of Automotive Management der Hochschule Bergisch-Gladbach. „Daimler könnte mit den derzeitigen Gewinnen sicher einige margenschwache Projekte querfinanzieren, aber das ist nicht Sinn der Sache. Die Einsparungen aus der Zusammenarbeit sind aber doch so groß, dass eine Kooperation hier Sinn ergibt.“

Das Duo A-Klasse und Q30 ist bei weitem nicht der einzige Kontaktpunkt zwischen dem Daimler-Konzern und der Allianz Renault-Nissan, zu der Infiniti gehört. Seit 2010 arbeiten die Stuttgarter und das französisch-japanische Doppel inzwischen zusammen. Anfangs waren es drei Projekte in Europa, heute arbeiten die Konzerne an dreizehn gemeinsamen Programmen weltweit. Angestoßen wurde die Zusammenarbeit einst von den beiden Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche und Carlos Ghosn. Die Manager prägen die Allianz bis heute – etwa durch ihre oftmals kurzweiligen gemeinsamen Auftritte bei Automessen, zuletzt wieder auf der IAA im September. Nicht nur deshalb haben Fachkreisen der eigentlich namenlosen und meist umständlich umschriebenen Kooperation einen prägnanten Titel verpasst: die Carlos-Dieter-Show.

 

Vorher
Nachher
Quelle: PR (2)

Die „erfolgreichste Auto-Allianz der Welt“, wie sie Renault-Nissan-Chef Ghosn auf der IAA bezeichnete, hat trotz ihres kurzen Bestehens bereits einige wichtige Modelle hervorgebracht. So sind etwa der neue Smart Forfour und der Renault Twingo nahezu baugleich und laufen auch im selben Werk vom Band. Renault baut für Mercedes auf Basis des Kastenwagens Kangoo den Citan, zudem haben die Konzerne den für Europa wichtigen 1,5-Liter-Dieselmotor gemeinsam entwickelt. Der dritte Kooperationspartner Nissan profitiert bislang vor allem von dem angesprochenen Selbstzünder, wo er unter anderem in den Bestseller Qashqai eingebaut wird.

Bei den Japanern ist der größere Nutznießer des Mercedes-Knowhows vor allem die Edel-Tochter Infiniti: Für die Limousinen Q50 und Q70 – in etwa vergleichbar mit der Mercedes C- und E-Klasse – liefern die Stuttgarter ihren 2,1-Liter-Selbstzünder an Infiniti. Der intern OM651 genannte Motor ist bei den Limousinen besonders für Dienstwagen-Kunden wichtig. Außerhalb Europas, wo der Diesel weniger gefragt ist, lohnt sich eine eigene Entwicklung für Nissan kaum.

Infiniti macht Daimler kaum Konkurrenz

Einen guten und bei den eigenen Kunden beliebten Motor an ein Konkurrenzmodell zu vergeben, hält Bratzel im Fall Infiniti für unproblematisch. „Eine direkte Konkurrenz sieht Mercedes durch Infiniti nicht“, so der Professor. „Da ist man bei Daimler auch selbstbewusst genug, denn bei den Marktanteilen von Infiniti gibt es so gut wie keine Kannibalisierung. Es wertet eher die Marke Infiniti auf, als dass es Daimler in irgendeiner Form schadet.“ Zwar wächst die Nissan-Premiummarke stark – nach den ersten zehn Monaten liegt Infiniti mit 16 Prozent auf 173.000 Fahrzeuge kräftig im Plus –, die Verläufe in Europa bleiben aber weiterhin schwach. Zählt man die beiden wichtigsten Märkte USA mit 118.400 Infinitis (+13 Prozent) und China mir 32.200 Einheiten (+36 Prozent) zusammen, bleiben für den Rest der Welt noch 23.000 Autos übrig. Von diesen entfallen rund 900 Exemplare auf Deutschland.

 

Was Renault und Smart in die Kleinwagen-Kooperation einbringen

Einen Schub soll der A-Klasse-Ableger Q30 bringen und das Kompakt-SUV, das wenige Monate später folgen soll. „Die Kernpunkte für unsere Expansion in Europa sind die Kompakt-Modelle Q30 und QX30“, sagte Infiniti-Chef Roland Krüger noch auf dem Genfer Autosalon im März. „Der QX30 ist sehr wichtig, da er neue Kundengruppen erschließt, die Infiniti bisher nicht bedient hat. Sehr große Kundengruppen.“ Was die Zahlen aber nicht verbergen: Die Marke braucht in Europa die beiden Modelle. Dringend.

Infiniti-Expansion stockt

Wie viele Einheiten hierzulande nach der Premiere der beiden Kompaktautos im Jahr 2016 verkauft werden sollen, darüber hält sich Infiniti bedeckt. Einzelne Händler könnten ihr Volumen sicher verdoppeln, sagte Deutschland-Geschäftsführer Michael Briante am Rande der Q30-Präsentation. Wie viele es insgesamt werden, hänge vor allem davon ab, wie viele neue Händler im kommenden Jahr dazukämen. Bislang hat Infiniti in Deutschland sechs Händler, in Hamburg, Bremen, Berlin, Düsseldorf, Dresden und Frankfurt. „Wir sind in intensiven Gesprächen mit einigen Investoren“, sagt Briante. „Noch ist nichts unterschrieben, aber wir hoffen, dass wir in den nächsten Monaten einige neue Standorte ankündigen können.“

Dabei geht es nicht nur um Verkaufs-, sondern auch um Servicepunkte. Im Zweifelsfall sucht der Kunde den Händler nur einmal zum Autokauf auf. Danach ist für ihn entscheidender, wo er sein Auto warten lassen kann. Statt in einen eigenen, baulich getrennten Verkaufsraum für Infiniti zu investieren – der laut Geschäftsführer Briante Pflicht ist – könnte so ein Nissan-Händler mit speziell geschultem Personal Inspektion und Service übernehmen. „Um unsere Wachstumspläne zu halten, müssen sowohl die Produktion als auch der Vertrieb zulegen“, sagte Krüger. Dabei will der Manager, der 2014 von BMW als Leiter des Deutschland-Vertriebs zu Infiniti gewechselt war, keinen Ausbau mit aller Kraft. „Neue Händler müssen auch rentabel sein, denn nur profitable Händler sind auf Dauer starke Händler.“ Mit den aktuellen Vertriebspartnern ist man bei Infiniti Deutschland zufrieden – jeder Betrieb hat 2014 zwischen 150 und 170 Autos verkauft. Um zu wachsen, braucht es aber mehr Verkaufspunkte. Nach Jahren mit fünf Schauräumen kam 2015 Dresden hinzu. Zu der seit Jahren angekündigten Expansion, unter anderem nach Köln, München, Stuttgart oder Hannover, ist es bis jetzt nicht gekommen.

 

Riskante Sparmanöver der Edelmarken

Auch das Vertriebsnetz trägt dazu bei, dass Infiniti trotz eines ähnlichen Anspruchs als Premium-Marke in Europa auf absehbare Zeit Kooperationspartner Mercedes noch nicht lästig wird. Im Falle von Renault, Nissan und deren Edel-Ableger hat sich der Autobauer aus Stuttgart die Zusammenarbeit genau überlegt – schließlich hatte Daimler aus der krachend gescheiterten Ehe mit Chrysler gerade erst seine Lektion gelernt. Statt der Hochzeit im Himmel samt vollständiger Verschmelzung beider Unternehmen sollte es dieses Mal eine Kooperation auf Projektbasis werden – angefangen mit Teile-Lieferungen, über einen Modelltausch bis hin zu einem gemeinsamen Montagewerk in Mexiko, das gerade im Auftrag von Mercedes und Infiniti entsteht.

 

Machtkampf bei Renault hätte auch Daimler getroffen

„Kooperationen hat es in der Autobranche schon immer gegeben, aber es waren nicht sehr viele erfolgreich“, sagt Stefan Bratzel. „Für eine tiefe Zusammenarbeit muss man seinen Partner gut kennen. Das haben die Unternehmen im Fall Daimler und Renault-Nissan geschickt eingefädelt.“ Soll heißen: Das Portfolio den beiden Kernmarken überschneidet sich kaum mit dem der Stuttgarter, und der direkte Konkurrent Infiniti ist wegen seiner Stückzahlen nur ein vermeintlicher Wettbewerber. Dennoch können am Rande der Modellpalette, wie etwa beim Kleintransporter Citan, oder bei der Technik Synergien erzielt werden. Einen kleinen Diesel mit rund 110 PS brauchen beide Parteien – ob nun als Einstiegsmotor oder Top-Modell in einem Kleinwagen.

Man ergänzt sich, ohne sich gegenseitig zu behindern. In der unterschiedlichen Ausrichtung mit unterschiedlichen Kundengruppen der beiden Konzerne sieht CAM-Leiter Bratzel aber auch ein Risiko. „Wenn man sich an einen Partner bindet, der eine andere Dynamik erfährt, steigt das Risiko“, so Bratzel. Eine solche Dynamik zeichnete sich in den vergangenen Wochen bei Renault ab: Der französische Staat, mit 19,7 Prozent an Renault beteiligt, forderte eine Fusion des französischen Autobauers mit Nissan – und wollte das gegen den Willen der Allianz selbst mit einem doppelten Stimmrecht durchboxen. In dem sich anbahnenden Konflikt wurde verbal scharf geschossen. So rüffelte der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron Renault-Nissan-Chef Ghosn, er sei nur ein Angestellter und kein Anteilseigner.

Chefwechsel bei Renault würde auch Daimler treffen

Für Auto-Experte Bratzel hatte der Konflikt das Potenzial, bis zur Machtprobe zu eskalieren, an deren Ende die Frage nach dem Chef gestellt werden könnte. Für diesen Freitag war bereits eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung anberaumt. Doch Macron lenkte ein – Frankreich verzichtet auf seine Forderung, senkt seinen Anteil auf 15 Prozent und verliert somit das eigens eingeführte doppelte Stimmrecht. Die Frage nach dem Chef wurde letztlich nicht gestellt. Ein Abgang von Ghosn hätte auch für Daimler Folgen gehabt. „Die obersten Ebenen müssen sich verstehen, um Konflikte in der operativen Zusammenarbeit zu lösen“, sagt Bratzel. So gab es etwa bei dem Citan anfänglich Probleme mit einer schlechten Crashtest-Bewertung und auch beim Gemeinschaftsprojekt Smart-Twingo knirschte es – doch beides konnten die Spitzenmanager ausräumen. „Hätte Ghosn bei Renault-Nissan gehen müssen, wäre das für die Kooperation mit Daimler kritisch gewesen, aber nicht das garantierte Ende.“ Schließlich könnte sich Daimler-Chef Zetsche auch mit einem möglichen Nachfolger gut verstehen.

 

Doch soweit ist es im aktuellen Fall nicht gekommen. Stattdessen stehen bereits die nächsten Projekte an. Bis Ende des Jahrzehnts will Daimler für Südamerika sein erstes Pickup-Modell auf den Markt bringen – die Technik spendet hier der seit Jahren erfolgreiche Nissan Navara. Außerdem soll die kommende Generation des Elektro-Smart den Antrieb des Renault Zoë erhalten. Und schließlich soll die Produktion von Mercedes- und Infiniti-Kompaktwagen im mexikanischen Aguascalientes anlaufen. Die Carlos-Dieter-Show kann also weitergehen.

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