Daimlers S-Klasse Der Mythos einer Luxusmarke

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Mit Tränengas und Satellitenverbindung

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt sich ebenfalls in einem Mercedes S600 kutschieren – allerdings mit allerlei Sonderausstattung für seine Sicherheit. So sollen die Türen mit 13 Zentimeter dickem Stahl und die Reifen mit Stahlseilen verstärkt sein. Nahe der Scheinwerfer soll Tränengas ausströmen können, das Fahrzeug ist direkt mit dem Satelliten Göktürk-1 des türkischen Verteidigungsministeriums verbunden. Bei einem Deutschlandbesuch vor zwei Jahren wurde er ebenfalls in einer S-Klasse vom Flughafen abgeholt und zum Hotel Adlon gebracht.

Fototermin in Stuttgart 2014: Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekommt seinen neuen Dienstwagen. Quelle: imago images

Aus dem Fenster des Luxus-Wagens hinaus zeigte er den Gruß der Muslimbrüder, was für Aufregung sorgte. Außerdem stand Daimler zeitweise auf einer ominösen Terrorliste der Türkei, von Unternehmen, die in Kontakt mit der Gülen-Bewegung stehen sollten. Diese zog die Türkei zwar im Nachhinein formell zurück. Kurios ist es aber trotzdem. Auch zu diesem Zeitpunkt fuhr Erdogan munter in seiner S-Klasse.

„Ich hocke da wie eine Sardine in der Büchse.“
Auch bei deutschen Politikern ist die S-Klasse beliebt. Die S-Klasse biete Winfried Kretschmann „wichtige Arbeitsplatz- und Langestreckenqualität“, antwortet das baden-württembergische Staatsministerium auf die Frage, wie es vereinbar sei, als grüner Ministerpräsident eine verbrauchsstarke S-Klasse zu fahren. 2018 sagte Kretschmann noch selbst über sein Fahrzeug: „Ich hocke da wie eine Sardine in der Büchse.“

Berlin 2017: Der Dienstwagen des regierenden Bürgermeisters von Berlin Michael Müller. Quelle: imago images

Die gepanzerte S-Klasse nutze er für Strecken, die die Reichweite seines vollelektrischen Audis überschreiten, so das Staatsministerium weiter. Immerhin hat sie einen Hybridantrieb – alles andere wäre für einen grünen Ministerpräsidenten wohl auch schwer vermittelbar. „Bei allen Fahrten wird darauf geachtet, möglichst den elektrischen Antrieb einzusetzen“, heißt es aus der Landesregierung. Der prozentuale Anteil der elektrischen Nutzung des Plug-in-Hybrids würde aber nicht erfasst.

Die Antwort auf die „Klimanotlage“: 12 Liter und 530 PS
Michael Müllers S-Guard 600 Limousine ist laut der Deutschen Umwelthilfe der am wenigsten umweltfreundliche Dienstagwagen deutscher Politiker. 408 Gramm CO2 pro Kilometer stoße der Wagen unter realen Bedingungen aus, auf 100 Kilometer verbraucht der 530 PS starke Luxuswagen 11,6 Liter. Der regierende Bürgermeister von Berlin, der erst im Dezember letzten Jahres die „Klimanotlage“ ausrief, hatte deshalb eigentlich vor, sich einen umweltfreundlicheren Wagen zuzulegen – das war wohl nichts. Die Schadstoffwerte des bestellten Audi A8 mit Sicherheitsausrüstung seien im Endeffekt wohl noch höher gewesen als die der S-Klasse, weshalb Müller weiter im Mercedes durch Berlin kutschiert wird.

Auf Anfrage erklärte die Senatskanzlei Berlin dazu nur: „Im vergangenen Jahr wurde dem Regierenden Bürgermeister ein neu konzipierter Wagen angeboten, der 2020 fertiggestellt wurde. Technische Veränderungen haben den Regierenden Bürgermeister inzwischen aber dazu bewogen, den bisherigen Dienstwagen weiterzufahren. Da es sich um ein Sicherheitsfahrzeug und nicht um ein Serienfahrzeug handelt, ist es nicht möglich, zeitnah einen neuen Dienstwagen zu erhalten.“

Sicherheit für’s Establishment
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke fährt S-Klasse. Von 2004 bis 2009 war er Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz in Brandenburg, in seinem Bundesland wird Teslas Gigafactory gebaut. Dass gerade er eine S-Klasse fährt, begründet sein Regierungssprecher mit dem „wichtigen Aspekt der Sicherheit für hervorgehobene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“. Hinzu kämen Leasingkosten, Reichweite und Tankfüllung, die die Auswahl eines Fahrzeugs weiter beschränken würden. „Speziell für einen hochgewachsenen Mann“ biete die S-Klasse bei langen Fahrten gute Arbeitsmöglichkeiten. Dass Mercedes einen Produktionsstandort in Brandenburg hat, mag auch eine Rolle spielen.

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