Die Airbags des japanischen Zulieferers Takata haben bei Autounfällen weltweit Zehntausenden von Menschen das Leben gerettet. Die beiden Amerikanerinnen Ashley Parham und Gurjit Rathore gehörten nicht dazu.
Als die 18-jährige Parham im Mai 2009 auf einem Parkplatz in Oklahoma auf ein anderes Auto prallte, zerfetzte ihr ein Metallstück aus ihrem explodierenden Airbag die Halsschlagader. Nur ein halbes Jahr später erlitt die 33-jährige Rathore das gleiche Schicksal. Sie war am Weihnachtsabend mit ihren drei Kindern in Virginia unterwegs. Ihr Airbag flog bei der Kollision mit einem Paketwagen in die Luft. Vor den Augen ihrer Kinder verblutete die Mutter aus stichförmigen Wunden an Brust und Hals.
Beide Frauen fuhren einen acht Jahre alten Honda Accord mit einem Luftsack von Takata. Beiden Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, dass die Gasgeneratoren mancher Airbags bersten und tödliche Schrotsplitter in den Innenraum schießen konnten, denn Honda hatte schon zwei kleinere Rückrufe gestartet. Doch bis zu den ersten Millionenrückrufen im Frühjahr 2013 sollten noch mehr als drei Jahre vergehen. Inzwischen werden fünf Todesfälle und mindestens 139 Verletzte mit den mangelhaften Lebensrettern von Hersteller Takata in Verbindung gebracht. Zwölf Autobauer mit Honda an der Spitze haben 24 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten gerufen, obwohl Takata bisher noch nicht alle Vorfälle aufklären konnte.
Das Management von Takata ist abgetaucht
Der Fall wirft ein bezeichnendes Licht auf eines der letzten japanischen Unternehmen, dessen Eigentümer sich als unnahbare Insulaner geben. Und er zeigt, wie gefährlich es für die Autokonzerne werden kann, wenn sie sich zu sehr von einem bestimmten Zulieferer abhängig machen.
Rückrufe der deutschen Autobauer
Gemessen an den Neuzulassungen belegt der Volkswagen Konzern mit nur 61 Prozent die beste deutsche Platzierung. Im ersten Halbjahr 2014 rief VW rund 177.000 Einheiten der Marke Volkswagen und sowie 209 Porsche (911 GT3) in die Werkstätten zurück.
Mit rund 89 Prozent im Vergleich zu 334 im Vorjahr konnte sich vor allem BMW als Premiumanbieter wieder stabilisieren.
Daimler konnte seine sehr gute Position aus dem Vorjahr nicht halten. Der Konzern beorderte rund 253.000 Fahrzeuge der C-Klasse aufgrund von Fehlfunktionen der Rücklichter zurück zum Servicepartner und erreicht damit eine Rückrufquote von 151 Prozent (Vorjahr: 0,2%).
Takata ist eines jener japanischen Familienunternehmen, die sich bisher wenig in die Karten schauen ließen. Das Management des Konzerns mit Sitz in Tokio ist abgetaucht, offenbar um Medien und klagenden Anwälten in den USA kein Futter zu liefern. „Takata kapiert es nicht“, schrieb das US-Branchenblatt „Automotive News“.
Der Vorwurf gilt vor allem dem introvertierten Chairman Shigehisa Takada, dessen Familie 57 Prozent der Aktien besitzt und der sich der Öffentlichkeit fast komplett verweigert. Auch der 60-jährige Präsident Stefan Stocker, ein Schweizer und Ex-Japan-Chef des Stuttgarter Autozulieferers Bosch, blieb bis zu seinem Rücktritt in der Weihnachtswoche unsichtbar. Das einzige Interview gab Takada einer japanischen Zeitung. In den USA und Deutschland beließ es der 48-jährige Enkel des Takata-Gründers, der die Firma seit 2007 führt, bei einem offenen Brief in einigen Zeitungen. Den in den USA geforderten landesweiten Rückruf lehnte der Konzern ab. Denn dafür müsste er die Airbags als defekt einstufen, wofür das Unternehmen haften müsste.
Probleme wurden lange ignoriert
Wegen der hohen Reparaturkosten für die defekten Airbags und der vielen starken Wettbewerber ist der Konzern trotz eines Jahresumsatzes von vier Milliarden Euro und hoher Rückstellungen in seiner Existenz bedroht. „Takata gehört keinem Firmenverbund in Japan an und steht im Moment völlig allein“, sagt Autoindustrie-Experte Markus Schädlich von der Unternehmensberatung CBI Partners in Tokio.
Dass der Konzern in diese prekäre Situation geriet, liegt an der zweifelhaften Allianz, die Honda und Takata in den vergangenen Jahren eingegangen sind und deren Sprengstoff sich nun zeigt – im traurigen Sinn des Wortes. So war der erste Airbag von Takata schon im Mai 2004 in einem Honda Accord in Alabama explodiert, allerdings überlebte der Fahrer damals. Statt den Fall gründlich zu analysieren, taten Honda und Takata ihn als „Anomalie“ ab. 2007 barsten drei weitere Takata-Airbags, was Honda erst Ende 2008 zu einem ersten, aber sehr begrenzten Rückruf animierte.
Takata versuchte, das Problem lange unter der Decke zu halten, indem der Konzern zusammen mit Honda die Opfer mit hohen Summen entschädigte und sie zum Schweigen verpflichtete. Erst nach weiteren Verletzten und Toten meldete der japanische Autohersteller Ende 2011 die Gesamtzahl der Toten und Verletzten durch die fehlerhaften Airbags.
Autobauer lange getäuscht
Andere Autobauer blieben durch die Geheimniskrämerei lange im Dunkeln. So hatte BMW schon im März 2010 bei Takata schriftlich nach der Gefährdung gefragt. Takata beteuerte, die BMW-Luftsäcke seien nicht betroffen. Das war, wie sich jetzt zeigt, falsch. BMW muss deshalb nun 1,8 Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt holen.
Takata, 1933 gegründet, ist vier Jahre älter als Toyota Motor und hat seine Wurzeln ebenfalls in der japanischen Textilindustrie. In den Sechzigerjahren wurde es mit der Herstellung von Sicherheitsgurten groß. Den allerersten Airbag entwickelte die Europa-Sparte nach eigenen Angaben einst mit Daimler. In den Neunzigerjahren gelang es den Takata-Ingenieuren, den Airbag zu verkleinern und zu verbessern.
Statt giftiger Azide setzt Takata seitdem als einziger Hersteller einen Chemikaliencocktail auf Basis von Ammoniumnitrat ein, einem Hauptbestandteil von Düngemitteln und Sprengstoffen. Im Falle eines Aufpralls löst ein Sensor die explosionsartige Erhitzung der Stoffe aus, wobei die erforderliche Menge an Gas entsteht, die den Luftsack in Millisekunden aufbläht.
Mangelnde Qualitätskontrolle
Doch die Technik ist anfällig, und die Vorgaben der Autohersteller für Airbags sind hoch. Maximal einer von einer Million Luftsäcke darf nicht funktionieren. Tatsächlich lässt sich die Quote aber nicht unter drei Fehler pro Million drücken.
Daher werden Airbags in Reinraum-Fabriken gefertigt, wo Arbeiter Schuhe gegen Funkenbildung tragen. Der Explosivstoff wird bei Takata zu Stapeln aus mehreren Plättchen verarbeitet und hinter dicken Mauern ferngesteuert abgefüllt. Einige Fehlerquellen hat das Unternehmen identifiziert: In einer Fabrik in Mexiko wurden Plättchen feucht und andere zu schwach zusammengedrückt. Und in einer US-Anlage sortierte eine Maschine mangelhafte Teile nicht automatisch aus.
Qualitätskontrolle wurde offenbar nicht groß genug geschrieben, als der Hersteller die Produktion rasch nach oben fuhr. „Solche Probleme lassen sich durch mehr Qualitätsmanagement schon während der Entwicklung verhindern“, meint Philipp Radtke, Partner von McKinsey in München.
Inzwischen hat Takata nach eigenen Angaben die Explosivmischung und die Verarbeitung zwar geändert. Aber die Gasgeneratoren älterer Airbags bleiben tickende Zeitbomben. So erwischte es im September 2013 die amerikanische Autofahrerin Stephanie Erdman in einem Honda Civic von 2002: Ein langer Metallsplitter aus ihrem Takata-Airbag bohrte sich zwischen Nase und rechtem Auge in ihr Gesicht. Ihr Fall beschäftigte Ende November einen Ausschuss des US-Senats, vor dem sich auch Hiroshi Shimizu, Chef der Qualitätssicherung bei Takata, erklären musste.
Ersatz ist Mangelware
Der Austausch des Gasgenerators im Airbag dauert nur 40 bis 60 Minuten. Aber es fehlt Ersatz. Von Januar an kann Takata monatlich nicht mehr als 450.000 Teile liefern. Der Austausch würde sich also über mehrere Jahre hinziehen. Daher sollen andere Hersteller in die Bresche springen, darunter der schwedische Branchenführer Autoliv mit 25 Prozent Weltmarktanteil, die neue US-Tochter des Getriebespezialisten ZF Friedrichshafen, TRW Automotive, sowie das japanische Unternehmen Daicel.
Auch deren Kapazitäten sind begrenzt. Neue Fertigungslinien wollen sie nur bauen, wenn sie danach im Geschäft bleiben. Bei Toyota würde ein Zulieferwechsel nach eigenen Angaben ein Jahr dauern. BMW, General Motors und Mazda halten einen Wechsel für schwierig, da die Airbags sehr früh an die Fahrzeuge angepasst werden. „Unsere Airbags sind von Takata speziell auf BMW zugeschnitten“, sagt BMW-Sicherheitsingenieur Sam Campbell.
Großkunden von Takata gehen trotzdem auf Distanz. Honda und Toyota organisieren „präventive“ Rückrufe. Neun Autobauer lassen die Airbags demnächst unabhängig untersuchen. Honda-Chairman Fumihiko Ike brachte eine Art Haltbarkeitsdatum für das Treibmittel ins Gespräch.
Das würde den Rivalen von Takata noch mehr helfen. Damit könnte der 2011 verstorbene Gründersohn Juichiro Takada im Nachhinein recht behalten. Er wehrte sich lange gegen die Airbag-Entwicklung für Honda: „Wenn damit etwas passiert, gehen wir pleite“, orakelte er. „Lasst uns diese gefährliche Brücke nicht überqueren!“