Defekte Takata-Airbags Lebensretter als tödliche Gefahr

Airbags von Takata haben Zehntausende Leben gerettet – doch auch einige wegen Produktionsfehlern gekostet. Jetzt steht das Unternehmen in der Kritik – nicht nur wegen der großen Nähe zwischen Autobauern und Zulieferern.

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Am Pranger: Takata-Qualitätschef Hioroshi Shimizu bei einer Anhörung des US-Senats Quelle: Reuters

Die Airbags des japanischen Zulieferers Takata haben bei Autounfällen weltweit Zehntausenden von Menschen das Leben gerettet. Die beiden Amerikanerinnen Ashley Parham und Gurjit Rathore gehörten nicht dazu.

Als die 18-jährige Parham im Mai 2009 auf einem Parkplatz in Oklahoma auf ein anderes Auto prallte, zerfetzte ihr ein Metallstück aus ihrem explodierenden Airbag die Halsschlagader. Nur ein halbes Jahr später erlitt die 33-jährige Rathore das gleiche Schicksal. Sie war am Weihnachtsabend mit ihren drei Kindern in Virginia unterwegs. Ihr Airbag flog bei der Kollision mit einem Paketwagen in die Luft. Vor den Augen ihrer Kinder verblutete die Mutter aus stichförmigen Wunden an Brust und Hals.

US-Behörde untersucht Dodge wegen Wegrollgefahr
Behörde untersucht weitere Fiat-Chrysler-Wagen Quelle: AP
BMW ruft Autos zurück Quelle: dpa
Toyota - Millionen fehlerhafter AirbagsToyota ruft weltweit weitere 5,8 Millionen Fahrzeuge wegen möglicher Probleme mit Airbags des Zulieferers Takata zurück. In Europa müssten 1,47 Millionen Autos zurück in die Werkstätten, teilte der japanische Konzern am Mittwoch mit. Allein in Deutschland seien knapp 118.000 Fahrzeuge betroffen. Dabei geht es unter anderem um die Modelle Corolla und Yaris, vorwiegend älterer Baujahre, sagte ein Sprecher. In Japan sollen die Besitzer von rund 1,15 Millionen Fahrzeugen in Werkstätten vorstellig werden. Weltweit haben Autohersteller bereits mehr als 100 Millionen Autos zurückgerufen, um die fehlerhaften Airbags auszutauschen. Quelle: dpa
VW und Audi rufen wegen Feuergefahr 281.000 Autos in USA zurück Volkswagen ruft 281.500 Fahrzeuge in den USA wegen möglicher Brandgefahr zurück. Es geht Fahrzeuge der Marken VW und Audi, wie aus einer Mitteilung des Unternehmens an die Börsenaufsicht vom 7. Oktober hervorgeht. Bei den Fahrzeugen könne in Folge von Lecks Benzin austreten und Feuer ausbrechen. Allerdings seien entsprechende Vorfälle noch nicht berichtet worden. Auch habe es keine Verletzten gegeben. Quelle: dpa
Fiat Chrysler ruft fast zwei Millionen Fahrzeuge zurück Quelle: dpa
General Motors ruft über 4 Millionen Fahrzeuge zurückGeneral Motors ruft wegen eines Defekts an der Airbag-Software weltweit mehr als vier Millionen Fahrzeuge zurück. In seltenen Fällen könne der Bordcomputer in den Testmodus umschalten, erklärte der US-Autobauer am Freitag in Detroit. Die vorderen Airbags würden dann im Fall eines Unfalls nicht auslösen. Auch die Sitzgurte funktionierten möglicherweise nicht. Der Fehler werde mit mindestens einem Todesfall und drei Verletzten in Verbindung gebracht. GM werde die betroffenen Kunden informieren und die Software kostenfrei aktualisieren, teilte das Unternehmen mit. Der Rückruf der 4,28 Millionen betrifft unter anderem bestimmte Modelle von Buick, Chevrolet und Cadillac der Modelljahre 2014-2017, allein 3,6 Millionen davon in den USA. Quelle: dpa
Mazda ruft 2,2 Millionen Fahrzeuge zurück Mazda ruft wegen Problemen mit der Heckklappe weltweit 2,2 Millionen Fahrzeuge zurück. Die Rostschutzlackierung der Heckklappenaufhängung sei nicht ausreichend, erklärte der japanische Autohersteller am Donnerstag. Im Laufe der Zeit könne daher mit Streusalz vermischtes Wasser dazu führen, dass die Aufhängung bricht und die Heckklappe abfällt. Berichte über Unfälle oder Verletzte lägen jedoch nicht vor. Der Rückruf betrifft bestimmte Modelle des Kompaktwagens Mazda 3 der Jahrgänge 2010 bis 2013 sowie Vans des Typs Mazda 5 von 2012 bis 2015. Ebenfalls betroffen sind bestimmte Modelle des CX-5 von 2013 bis 2016 und des SUVs CX-3 von 2016. Händler tauschten beide Aufhängungen aus, erklärte Mazda. Kunden erhielten noch im September oder im Oktober nähere Informationen. Quelle: dapd

Beide Frauen fuhren einen acht Jahre alten Honda Accord mit einem Luftsack von Takata. Beiden Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, dass die Gasgeneratoren mancher Airbags bersten und tödliche Schrotsplitter in den Innenraum schießen konnten, denn Honda hatte schon zwei kleinere Rückrufe gestartet. Doch bis zu den ersten Millionenrückrufen im Frühjahr 2013 sollten noch mehr als drei Jahre vergehen. Inzwischen werden fünf Todesfälle und mindestens 139 Verletzte mit den mangelhaften Lebensrettern von Hersteller Takata in Verbindung gebracht. Zwölf Autobauer mit Honda an der Spitze haben 24 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten gerufen, obwohl Takata bisher noch nicht alle Vorfälle aufklären konnte.

Das Management von Takata ist abgetaucht

Der Fall wirft ein bezeichnendes Licht auf eines der letzten japanischen Unternehmen, dessen Eigentümer sich als unnahbare Insulaner geben. Und er zeigt, wie gefährlich es für die Autokonzerne werden kann, wenn sie sich zu sehr von einem bestimmten Zulieferer abhängig machen.

Rückrufe der deutschen Autobauer

Takata ist eines jener japanischen Familienunternehmen, die sich bisher wenig in die Karten schauen ließen. Das Management des Konzerns mit Sitz in Tokio ist abgetaucht, offenbar um Medien und klagenden Anwälten in den USA kein Futter zu liefern. „Takata kapiert es nicht“, schrieb das US-Branchenblatt „Automotive News“.

Der Vorwurf gilt vor allem dem introvertierten Chairman Shigehisa Takada, dessen Familie 57 Prozent der Aktien besitzt und der sich der Öffentlichkeit fast komplett verweigert. Auch der 60-jährige Präsident Stefan Stocker, ein Schweizer und Ex-Japan-Chef des Stuttgarter Autozulieferers Bosch, blieb bis zu seinem Rücktritt in der Weihnachtswoche unsichtbar. Das einzige Interview gab Takada einer japanischen Zeitung. In den USA und Deutschland beließ es der 48-jährige Enkel des Takata-Gründers, der die Firma seit 2007 führt, bei einem offenen Brief in einigen Zeitungen. Den in den USA geforderten landesweiten Rückruf lehnte der Konzern ab. Denn dafür müsste er die Airbags als defekt einstufen, wofür das Unternehmen haften müsste.

Probleme wurden lange ignoriert

Wegen der hohen Reparaturkosten für die defekten Airbags und der vielen starken Wettbewerber ist der Konzern trotz eines Jahresumsatzes von vier Milliarden Euro und hoher Rückstellungen in seiner Existenz bedroht. „Takata gehört keinem Firmenverbund in Japan an und steht im Moment völlig allein“, sagt Autoindustrie-Experte Markus Schädlich von der Unternehmensberatung CBI Partners in Tokio.

Dass der Konzern in diese prekäre Situation geriet, liegt an der zweifelhaften Allianz, die Honda und Takata in den vergangenen Jahren eingegangen sind und deren Sprengstoff sich nun zeigt – im traurigen Sinn des Wortes. So war der erste Airbag von Takata schon im Mai 2004 in einem Honda Accord in Alabama explodiert, allerdings überlebte der Fahrer damals. Statt den Fall gründlich zu analysieren, taten Honda und Takata ihn als „Anomalie“ ab. 2007 barsten drei weitere Takata-Airbags, was Honda erst Ende 2008 zu einem ersten, aber sehr begrenzten Rückruf animierte.

Takata versuchte, das Problem lange unter der Decke zu halten, indem der Konzern zusammen mit Honda die Opfer mit hohen Summen entschädigte und sie zum Schweigen verpflichtete. Erst nach weiteren Verletzten und Toten meldete der japanische Autohersteller Ende 2011 die Gesamtzahl der Toten und Verletzten durch die fehlerhaften Airbags.

Autobauer lange getäuscht

Andere Autobauer blieben durch die Geheimniskrämerei lange im Dunkeln. So hatte BMW schon im März 2010 bei Takata schriftlich nach der Gefährdung gefragt. Takata beteuerte, die BMW-Luftsäcke seien nicht betroffen. Das war, wie sich jetzt zeigt, falsch. BMW muss deshalb nun 1,8 Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt holen.

Takata, 1933 gegründet, ist vier Jahre älter als Toyota Motor und hat seine Wurzeln ebenfalls in der japanischen Textilindustrie. In den Sechzigerjahren wurde es mit der Herstellung von Sicherheitsgurten groß. Den allerersten Airbag entwickelte die Europa-Sparte nach eigenen Angaben einst mit Daimler. In den Neunzigerjahren gelang es den Takata-Ingenieuren, den Airbag zu verkleinern und zu verbessern.

In Lebensgefahr. Amerikanerin Erdman wurde von einem Metallsplitter eines Takata-Airbags schwer verletzt Quelle: AP

Statt giftiger Azide setzt Takata seitdem als einziger Hersteller einen Chemikaliencocktail auf Basis von Ammoniumnitrat ein, einem Hauptbestandteil von Düngemitteln und Sprengstoffen. Im Falle eines Aufpralls löst ein Sensor die explosionsartige Erhitzung der Stoffe aus, wobei die erforderliche Menge an Gas entsteht, die den Luftsack in Millisekunden aufbläht.

Mangelnde Qualitätskontrolle

Doch die Technik ist anfällig, und die Vorgaben der Autohersteller für Airbags sind hoch. Maximal einer von einer Million Luftsäcke darf nicht funktionieren. Tatsächlich lässt sich die Quote aber nicht unter drei Fehler pro Million drücken.

Daher werden Airbags in Reinraum-Fabriken gefertigt, wo Arbeiter Schuhe gegen Funkenbildung tragen. Der Explosivstoff wird bei Takata zu Stapeln aus mehreren Plättchen verarbeitet und hinter dicken Mauern ferngesteuert abgefüllt. Einige Fehlerquellen hat das Unternehmen identifiziert: In einer Fabrik in Mexiko wurden Plättchen feucht und andere zu schwach zusammengedrückt. Und in einer US-Anlage sortierte eine Maschine mangelhafte Teile nicht automatisch aus.

Qualitätskontrolle wurde offenbar nicht groß genug geschrieben, als der Hersteller die Produktion rasch nach oben fuhr. „Solche Probleme lassen sich durch mehr Qualitätsmanagement schon während der Entwicklung verhindern“, meint Philipp Radtke, Partner von McKinsey in München.

Inzwischen hat Takata nach eigenen Angaben die Explosivmischung und die Verarbeitung zwar geändert. Aber die Gasgeneratoren älterer Airbags bleiben tickende Zeitbomben. So erwischte es im September 2013 die amerikanische Autofahrerin Stephanie Erdman in einem Honda Civic von 2002: Ein langer Metallsplitter aus ihrem Takata-Airbag bohrte sich zwischen Nase und rechtem Auge in ihr Gesicht. Ihr Fall beschäftigte Ende November einen Ausschuss des US-Senats, vor dem sich auch Hiroshi Shimizu, Chef der Qualitätssicherung bei Takata, erklären musste.

Ersatz ist Mangelware

Der Austausch des Gasgenerators im Airbag dauert nur 40 bis 60 Minuten. Aber es fehlt Ersatz. Von Januar an kann Takata monatlich nicht mehr als 450.000 Teile liefern. Der Austausch würde sich also über mehrere Jahre hinziehen. Daher sollen andere Hersteller in die Bresche springen, darunter der schwedische Branchenführer Autoliv mit 25 Prozent Weltmarktanteil, die neue US-Tochter des Getriebespezialisten ZF Friedrichshafen, TRW Automotive, sowie das japanische Unternehmen Daicel.

Auch deren Kapazitäten sind begrenzt. Neue Fertigungslinien wollen sie nur bauen, wenn sie danach im Geschäft bleiben. Bei Toyota würde ein Zulieferwechsel nach eigenen Angaben ein Jahr dauern. BMW, General Motors und Mazda halten einen Wechsel für schwierig, da die Airbags sehr früh an die Fahrzeuge angepasst werden. „Unsere Airbags sind von Takata speziell auf BMW zugeschnitten“, sagt BMW-Sicherheitsingenieur Sam Campbell.

Großkunden von Takata gehen trotzdem auf Distanz. Honda und Toyota organisieren „präventive“ Rückrufe. Neun Autobauer lassen die Airbags demnächst unabhängig untersuchen. Honda-Chairman Fumihiko Ike brachte eine Art Haltbarkeitsdatum für das Treibmittel ins Gespräch.

Das würde den Rivalen von Takata noch mehr helfen. Damit könnte der 2011 verstorbene Gründersohn Juichiro Takada im Nachhinein recht behalten. Er wehrte sich lange gegen die Airbag-Entwicklung für Honda: „Wenn damit etwas passiert, gehen wir pleite“, orakelte er. „Lasst uns diese gefährliche Brücke nicht überqueren!“

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