Der VW ID.3 im Test Das Auto überzeugt, die Software enttäuscht

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Beginnt hier die neue Epoche von Volkswagen, die elektrische?

3. Dominik Reintjes: Bewertung: 4 von 5 Sternen

Die Testfahrt im geräumigen ID.3 beginnt auf der zweiten Ebene der Tiefgarage. Auf manchen Carsharing-Fahrten etwa im i3 von BMW oder als Beifahrer bei Bekannten mit größeren E-Modellen wurden die Fahrten in engen Tiefgaragen oder Parkhäusern schnell mal zu nervenaufreibenden Abenteuern. Kein Vergleich zur Geschmeidigkeit meines deutlich leichterten, privaten Benziner-Kleinstwagens. Doch der ID.3 lenkt sich überraschend problemlos aus der Tiefgarage in den frühmorgendlichen Berufsverkehr im Düsseldorfer Norden. Oben angekommen macht die sehr direkte Fahrweise schnell Spaß – wenn die Straßen der Innenstadt denn frei sind. Und selbst bei Ansagen des Navigationssystems, die manch einen Großstadtfahrer im morgendlichen Berufsverkehr sonst angst und bange werden lassen, kann ich gelassen bleiben: „In 150 Metern wenden.“ 180 Grad, ein U-Turn, wenig Platz und auch noch Gegenverkehr. Dank des geringen Wendekreises und der guten Beschleunigung wird daraus ein souveräner Prozess von wenigen Sekunden.

Im Innenraum gleicht der ID.3 dieses unaufgeregt souveräne Fahrgefühl wieder aus – nicht unbedingt zu meiner Freude: Mal blinkt es auf dem Bildschirm, mal wechselt die LED-Leiste, die sich im Cockpit erstreckt, plötzlich ihre Farbe. Sie soll mit mir kommunizieren. Doch der unerprobte ID.3-Fahrer könnte hier zu Beginn gut einen Dolmetscher gebrauchen. Nach einem ersten prüfenden Blick auf den Touchscreen versuche ich während der Fahrt erst gar nicht, die Einstellungsmöglichkeiten für das Lichtschauspiel oder das Radio zu finden. Zu viel Ablenkung. Dann halt an das Blinken und Leuchten sowie die (akustische) Stille im Wagen gewöhnen. Das dauert.

Nach einem erbitterten Machtkampf zeigen sich Vorstand und Betriebsrat von Volkswagen einig wie nie. Das ist auch nötig. Denn der Start des Elektroautos ID.3 bleibt eine Zitterpartie.
von Martin Seiwert

Von den verschiedenen Spielereien im Infotainment-System begeistert mich dann aber doch ein Feature, das ich überhaupt erst bemerke, als der ID.3 aus der grellbeleuchteten Tiefgarage in die morgendliche Dunkelheit rollt: das Head-up-Display. Es zeigt die aktuelle und die maximal erlaubte Geschwindigkeit an, meckert schon bei der geringsten Überschreitung. Zurecht. Anweisungen des Navigationssystems – „in 150 Metern links“ – werden mit entsprechendem Pfeil hier dargestellt. Die Anzeige lenkt nicht ab, liegt angenehm knapp unterhalb meines normalen Sichtfelds. Bei der abendlichen Fahrt im privaten Kleinstwagen ärgere ich mich dann schon ein wenig, dass ich die Geschwindigkeit auf klassischem Wege viel weiter unten am Zeiger ablesen muss. Doch immerhin weiß ich, wie ich das Radio bediene. Und LED-Streifen werde ich wohl auch nicht an die Innenverkleidung kleben.

4. Martin Seiwert: Bewertung: 3,5 von 5 Sternen

Beginnt hier die neue Epoche von Volkswagen und Autovolk, die elektrische? Wahrscheinlich ist es so, aber ich spüre es nicht. Das Auto ist äußerlich in etwa so aufregend wie ein Golf. Sie wissen schon, dieses Auto, das seit 15 Jahren gleich aussieht. Das Innere des ID.3 ist schlicht und aufgeräumt – aber auch hier: Emotion bestenfalls in sehr kleinen Dosen. Ich ahne, warum Tesla-Gründer Elon Musk so wenig euphorisch wirkte, als VW-Chef Herbert Diess ihn unlängst zu einer Spritztour im ID.3 mitnahm.
Ich steuere den Wagen zunächst für eine kleine Marktforschung auf die Königsallee in Düsseldorf, wo Gäste der umliegenden Luxushotels gern ihre Bugattis und Ferraris ausführen. Mit dem ebenfalls elektrischen Porsche Taycan war mir hier etwas gelungen, was den meisten Bugatti- und Ferrari-Lenkern verwehrt bleibt: neidische Blicke ernten. Nun also der ID.3, der streng genommen für die Autonation das tausend Mal bedeutendere Auto ist als der Taycan. Doch es ist eine Schande – niemand erkennt die Größe des Augenblicks. Ich bin so gut wie unsichtbar. Angeben wird schwierig in diesem Auto.

9 günstige E-Autos, die schon zu haben sind
1. Renault ZOE Die Renault ZOE ist eine Besonderheit: erstens legt Renault auf die staatliche Kaufprämie freiwillig noch einen Tausender drauf, zieht also statt der vorgeschriebenen 3000 gleich 4000 Euro vom eigenen Listenpreis ab. Zweitens kann man bei Renault den Akku auch mieten, statt ihn mit dem Auto zu kaufen, im Markt ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Vom Bruttolistenpreis ab 19.900 (Miet-Akku) bzw. 29.900 (Kauf-Akku) gehen also 10.000 Euro Umweltprämie ab; man bekommt also eine neue ZOE für ziemlich genau 10.000 Euro. Das Auto hat einen Akku mit 41 Kilowattstunden (kWh) Stromspeicherkapazität. Damit kommt man realistisch rund 260 Kilometer weit. Die Lieferzeit liegt bei überschaubaren drei Monaten. Quelle: dpa
2. Opel Corsa e Den aus der Verbrennerwelt bestens bekannten Kleinwagen aus Rüsselsheim bekommt man in der günstigsten Version und um die Kaufprämie bereinigt schon für 19.800 Euro. Dafür gibt es knapp 300 Kilometer realistische Reichweite; das Auto kann auch Schnellladen. Die Lieferzeit beträgt inzwischen aber rund acht Monate. Quelle: Presse
3. Nissan Leaf Der Japaner war eines der ersten E-Autos auf dem Markt, ist technisch fast zehn Jahre alt. Bald soll er durch eine neue Plattform von Nissan abgelöst werden. Der Leaf ist schon kein Kleinwagen mehr, sondern Kompaktklasse; fünf Menschen haben einigermaßen Platz. Wer also die gute Förderung und die um drei Punkte gesenkte Mehrwertsteuer noch bis Ende des Jahres ausnutzen kann, bekommt ein E-Auto der Golf-Größe für ab 18.300 Euro. Der Akku ist dafür mit 40 kWh nicht allzu üppig. Der etwas reichweitenstärkere Leaf mit 62 kWh , die eine reale Reichweite von gut 330 Kilometern ermöglichen, kostet 8000 Euro mehr, läge also abzüglich Fördersumme bei rund 26.000 Euro. Quelle: Presse
4. Mini Cooper SE Trotz üppiger Prämien ist der Mini noch etwas teurer als die meisten Konkurrenzmodelle seiner Größe. Nach Abzug der Kaufprämie ist er ab etwa 21.000 Euro zu haben. Dafür bekommt man eine realistische Winterreichweite von knapp 200 Kilometern. Auch nicht gerade viel. Die Wartezeit beträgt zudem rund ein Jahr.  Quelle: Presse
5. smart EQ fortwo Mehr als ein Stadtauto war der Smart noch nie; seit 2020 gibt es ihn konsequenterweise nur noch als Elektroauto. Die äußerst mäßige Reichweite von rund 140 Kilometern lässt mehr aber auch nicht zu. Abzüglich des Umweltbonus ist der EQ fortwo dafür sehr erschwinglich : ab 10.170 Euro. Allerdings ist die Produktion von 2021 derzeit komplett ausverkauft. Der Smart ist über viele Händler aktuell nicht bestellbar. Per Internet schon, wann er geliefert wird, ist aber derzeit unklar.   Quelle: Presse
6. Peugeot e-208 Der Franzose ist technisch das gleiche Auto wie der Corsa-e von Opel. Karosserie und Motor sind baugleich. Wer die 9000 Euro Kaufprämie und den reduzierten Mehrwertsteuersatz mitnehmen kann, bekommt ihn derzeit für rund 20.000 Euro. Der Akku mit 50 kWh ermöglicht eine passable Reichweite von knapp 300 Kilometern. Die Lieferfrist liegt allerdings inzwischen auch schon bei einem dreiviertel Jahr. Quelle: Presse
7. Honda e Viele Analysten bemängelten bei der Vorstellung des ersten reinen Elektroautos des japanischen Konzerns dessen hohen Listenpreis (33.000 bis 39.000 Euro). Für äußerst überschaubare 150 Kilometer reale Reichweite ist das in der Tat ein ambitionierter Preis. Wer sich trotzdem in das ungewöhnliche Design des Autos verguckt hat, bekommt es abzüglich der Kaufprämie derzeit binnen fünf bis sechs Monaten geliefert – für knapp 24.000 Euro. Quelle: imago images

Ich fahre auf eine Parallelstraße, die Kasernenstraße. Für Dekaden war sie das Zuhause der Verlagsgruppe Handelsblatt, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört. Ich passiere das frühere Verlagsgebäude mit der Hausnummer 67 und denke an den Moment, als in der Redaktion der WirtschaftsWoche die Gewissheit reifte, dass Autos künftig elektrisch fahren werden. Sie verleitete die WirtschaftsWoche zu einem Titel, der ein Spielzeugauto mit Batterie zeigte, versehen mit der Zeile: „Ihr nächstes Auto.“ Das war 2008. Stimmt – wir waren damit wohl etwas voreilig. Es war keine technische Fehleinschätzung. Unterschätzt haben wir die Behäbigkeit der meisten Autobauer. So eine Art ID.3 hätte VW auch schon 2008 bauen können. Der heute immer noch gebaute Tesla Model S wurde Anfang 2009 vorgestellt. Doch warum technisch in die Ferne schweifen, dachten sich VW und Co., wenn das gute Verbrenner-Geschäft so nah liegt?

Immerhin, denke ich, hat die Stromepoche doch noch begonnen und sie scheint gar nicht so übel zu werden. Nach zwei Jahren Negativschlagzeilen war zu befürchten, dass der ID.3 bei der ersten Ausfahrt zusammenklappt. Tut er nicht. Je länger ich das Auto fahre, umso mehr Spaß macht es mir. Die Fahreigenschaften sind klasse, da kann kaum ein Verbrenner mithalten. Ob eindrucksvoller Sprint an der Ampel im Performance-Modus, Landstraßen-Gleiten mit Klassikradio aus wirklich guten Boxen oder Bleifuß auf der Autobahn mit schlicht nicht spürbaren 160 km/h – immer flott und wunderbar leise und herrlich leichtfüßig. Außerdem ein Platzangebot im Innenraum wie in einem Passat. Und das alles schon ab 21.000 Euro (bei 9000 Euro Förderung). Das ist sehr viel Auto fürs Geld.

Unter einer Voraussetzung, allerdings: Die Elektronikprobleme muss VW spätestens mit dem Softwareupdate, das für Anfang 2021 geplant ist, abstellen. Es ist ja nicht nur so, dass einige Funktionen noch fehlen, die VW dann nachliefert. Das ist die offizielle VW-Version der Geschichte. Tatsächlich läuft die Software einfach nicht rund.


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Bei meiner ersten Ausfahrt etwa war es nicht möglich, das Start-Menü auf dem Bildschirm aufzurufen. Ich konnte in den Unter-Menüs herumtippen, aber nicht das Start-Menü aufrufen. Auch zehn Mal Neustarten hat nicht geholfen. Noch schlimmer die Spracherkennung: Meinem iPhone könnte ich diesen Text vorlesen, es würde ihn fast fehlerfrei aufschreiben. Der ID.3 wollte partout den Namen Neuss, eine Nachbarstadt von Düsseldorf, nicht erkennen. Danach habe ich die Ziele nur noch eingetippt. Diese Mängelliste ließe sich fortsetzen.

Das ist eigentlich unverzeihlich für ein Unternehmen wie Volkswagen. Aber es sind ungewöhnliche Zeiten mit Abgasskandal, Corona und rasantem Wandel im IT- und Softwaregeschäft. Da sollte nachbessern erlaubt sein. Wirklich solide wurde auch der Golf erst mit den Jahren.

Mehr zum Thema: Elon Musk verspricht einen Tesla für 25.000 Dollar. Diese E-Autos sind heute schon günstiger.

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