Design Die Charakterlinien am neuen Golf

Für VW-Designer Marc Lichte ist das Design des neuen VW Golf alles andere als langweilig, sondern spannungsgeladen und dynamisch wie nie zuvor. Ein Designplausch am Rande der Weltpremiere.

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Die ersten Bilder des neuen Golf
Weltpremiere für das wichtigste VW- Modell: Europas größter Autobauer hat am Abend des 4. September die neueste Version seines Verkaufsschlagers Golf vorgestellt. Zur Präsentation der siebten Auflage kamen zahlreiche Gäste und Manager der VW-Spitze in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zusammen. Quelle: PR
Der Golf 7 ist für die Niedersachsen der entscheidende Modellanlauf des Jahres 2012. Er gilt außerdem als Nagelprobe für den Modularen Querbaukasten (MQB) - eine Produktionstechnik, die konzernweit bislang nur beim Audi A3 zum Einsatz kam, die Fertigung vereinheitlichen und die Kosten drücken soll. Die ersten Fahrzeuge werden bereits seit Anfang August gebaut. Quelle: PR
Das Cockpit mag auf die meisten kühl und klar gestaltet wirken, aber dahinter verbirgt sich soviel Technik, Sicherheit und elektronische Unterstützung, wie noch in keiner Golf-Generation zuvor. Auszüge: Parkpilot mit 360-Grad-Überwachung, Park-Assistent 2.0, der beim Rangieren nur einen Puffer von je 40 Zentimeter vorn und hinten zum nächsten Auto benötigt, dynamischer Lichtassistent, der ein Fahren mit Fernlicht ermöglicht, ohne den Gegenüber zu blenden ... Quelle: PR
... Verkehrszeichen-Assistent, Automatische Distanzregelung, Spurhalteassistent, Pre-Crash-Gurtstraffer, radargestützte City-Notbremsfunktion bis 30 km/h und die Multikollisionsbremse, die nach einem Aufprall das Unfallfahrzeug automatisch abbremst. VW-Vorstand Hackenberg nennt das zwar "Demokratisierung des Technologischen Fortschritts". Aber das meiste kostet extra. Quelle: PR
„Der Golf muss mit der Zeit gehen, er muss aber keine Revolution darstellen“, konstatiert VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg, der schon an der Entwicklung des Golf 5 mitgewirkt hatte. Schließlich dürften sich die alten Golf-Modelle „nicht verloren vorkommen“. Quelle: PR
Mit jetzt 1.150 Kilo wiegt der neue VW Golf 22 Kilo weniger als der leichteste Vertreter der Golfklasse bisher, der BMW 1er, und hat sich auf dem Niveau des Vierer-Golf eingependelt. 23 Kilo verlor der jüngste Spross allein an der Karosserie. Nicht durch die Verwendung eines (teuren) Aluminiumaufbaus, sondern durch "ultrahochfesten" Stahl, der in einem Spezialverfahren geschmiedet und mit einer Lasertechnik behandelt wird. Quelle: PR
Mit dem Leichtbau versuchen die Hersteller vor allem Kraftstoff zu sparen. Ein Viertel des Verbrauchs hängt vom Gewicht ab, so eine Faustregel. "3,x Liter" soll der Selbstzünder nun auf 100 km/h verbrennen, 4,8 Liter der Benziner, das sind im Normverbrauch 23 Prozent weniger als der Vorgänger. Quelle: PR

Irgendeine Messehalle oder ein Pavillon in der Autostadt Wolfsburg hätte es sicher auch getan. Aber nein: Es musste schon die Neue Nationalgalerie in Berlin sein. Der Stahlskelettbau aus den 60er Jahren, entworfen von niemand geringerem als Mies van der Rohe und gewidmet der modernen Kunst , ist in der immer chaotischer werdenden Hauptstadt bis heute eine Inseln der Ordnung und Klarheit.

Für die kunstsinnigen VW-Strategen der perfekte Ort also, um 800 geladenen Gästen aus aller Welt den neuen VW Golf zu präsentieren, als "Stilikone", "Innovationstreiber", ein "über Epochen wirkendes Spiegelbild des technischen Fortschritts", als "Motor des Volkswagen-Konzerns", ja nicht weniger als den "perfekten" Kompaktwagen: "Der Golf", formulierte es Konzernchef Martin Winterkorn mit unverhohlenem Stolz, "gibt immer die Richtung vor", nicht nur für Volkswagen, sondern auch für den Automobilstandort Europa und eine ganze Generation von Autofahrern.

Starke Worte getragen von großem Selbstbewusstsein: 29,13 Millionen Menschen, die seit 1974 einen neuen Golf gekauft haben, können nicht irren. Und weil es seit bald 50 Jahren und in sechs Modellgenerationen so gut läuft mit der ursprünglich von dem Italiener Giorgio Giugiaro entworfenen deutschen Auto-Skulptur, lautete die Devise an die Entwickler des Golf 7: Keine Experimente. 1957 warb die CDU in Deutschland mit dem Slogan für die Wiederwahl des greisen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und die Bewahrung des Erreichten. Die VW-Führung um Winterkorn setzt auf die gleiche Strategie: Alles muss besser werden, lautete der Auftrag an Ingenieure und Designer, aber nicht anders.

Der neue Golf 7

Der Golf ruht in sich selbst

Weniger Gewicht, weniger Verbrauch, mehr Komfort und Sicherheit, aber um Gottes Willen nicht grundlegend anders: Ein neuer Golf stellt seinen Vorgänger nie in Frage. Während andere Hersteller wie Opel beinahe jeden Modellwechsel nutzen, um durch stilistische Bocksprünge vielleicht doch noch am Platzhirsch vorbei zu ziehen, ruht der VW Golf quasi in sich selbst: "Kontinuität ist ein Schlüssel zum Erfolg", doziert in Berlin VW-Designchef Klaus Bischoff. Einfach, stark, verständlich, zuverlässig und sicher habe das Auto zu wirken – modische Spielereien überlasse man dem Wettbewerb.

Keine leichte Aufgabe für einen Designer, aber keine, die Marc Lichte schlaflose Nächte bereitete. "Ich wusste sofort, wie das Auto aussehen müsste". Schwieriger war es, die Ideen in Linien umzusetzen – und die Vorstände von seinen Ideen zu begeistern. Die erste Skizze des neuen Golf warf der leitende Exterieur-Designer vor fast drei Jahren aufs Papier, wie immer mit einem blauen Buntstift. Für Lichte, aufgewachsen in Arnsberg am Möhnesee als Sohn eines Auto-Freaks und Golf-Fahrers, ist der Golf VII so etwas wie sein "Meisterstück". Schon bei den vorangegangenen zwei Modellreihen wirkte er mit, diesmal trug der 43-jährige die Verantwortung für die Gestaltung der Außenhaut. Manche mögen den neuen Golf langweilig, zu konventionell finden. "Läuft sich das Thema nicht langsam tot?", fragte am Abend der Weltpremiere ein junger Journalist aus Bayern, der wohl die mutigen Sprünge im BMW-Design vor Augen hatte.

Was sich äußerlich beim neuen Golf geändert hat

Die Evolution des VW Golf
Er läuft und läuft und läuft. 29 Millionen Golfs hat Volkswagen inzwischen verkauft. Rekordverdächtige 1.150.000 Kilometer fuhr Hans-Dieter Gehlen seinen ersten VW Golf. Anlässlich seines 60. Geburtstages versteigerte der Duisburger Autoliebhaber das Fahrzeug 2003 bei Ebay. Wie viele Kilometer seither dazukamen ist nicht überliefert. Quelle: dpa/dpaweb
Begonnen hat alles im Frühjahr 1974. Von da an wurde der Golf I bis zum Sommer 1983 über 6,2 Millionen Mal hergestellt. Er brachte frischen Wind in das VW-Modellprogramm. Das Modell war der Nachfolger des VW Käfers, allerdings wurde letzterer weiterhin verkauft. Die typische Schrägheck-Karosserie hat der italienische Designer Giorgio Giugiaro entworfen, sie prägte auch alle Nachfolgemodelle... Quelle: Presse
1983 kam die zweite Version des Golf auf den Markt. Ein von Grund auf neu konstruiertes Auto. Der längere Radstand und die bauchigere Figur sorgten für deutlich mehr Platz im Innenraum. Ab 1986 war der Golf erstmals mit Allradantrieb zu kaufen. Mit über 6,3 Millionen Exemplaren wurden etwas mehr Fahrzeuge verkauft, als vom Vorgänger. Quelle: Presse
Der Golf III schreibt die Erfolgsgeschichte ab 1991 weiter. Die auffälligste Änderung waren die ovalen Scheinwerfer und die bündig verklebten Scheiben, die die Aerodynamik deutlich verbesserten. 4,8 Millionen Einheiten werden produziert. Der Golf II wird seit 1992 nicht mehr gebaut. Quelle: Presse
Ein großer Erfolg des Golf IV war die erheblich verbesserte Haptik und Optik, vor allem im Innenraum: Armaturentafel, Polsterstoffe, Lenkrad und Schalter zeigten eine in der Kompaktklasse bisher unbekannte Qualität. Quelle: Presse
Einen Dämpfer für das Erfolgsmodell gab es erstmals 2003: Der Golf V erfüllte bei seinem Start zunächst nicht die Erwartungen von VW, die Nachfrage war gering, und die heute nicht mehr wegzudenkende Klimaanlage wurde extra berechnet. Allerdings überzeugte er technisch wie qualitativ von Anfang an. 2005 folgte die alte GTI-Tradition, der neue Golf V GTI wurde vorgestellt. Quelle: Presse
Der VW Golf R32 wird auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) 2005 vorgestellt. Der 250-PS-Wagen gilt als stärkster Golf aller Zeiten. Quelle: AP

Lichte kann derartige Fragen nicht nachvollziehen: "Die klare Grundarchitektur ist die gleiche, aber die Proportionen haben sich dramatisch verändert." Lichte hält es nun nicht mehr am Platz. Zusammen mit dem Autor saust er quer durch die Nationalgalerie in einen Nebensaal, wo mehrere silberne Gölfe der verschiedenen Generationen gerade Schauspielern und in die Jahre gekommenen Rockmusikern als Staffage für Fotoaufnahmen dienen. Egal. "Wir haben beim neuen Golf Proportionen, wie man sie bislang nur von Mittelklasseautos kannte", erläutert er und fährt dabei mit der Hand die Dachlinie entlang. Tatsächlich verläuft diese flacher als bisher.

Der Grund: Die Vorderräder wanderten weiter nach vorne, der Radstand wurde größer, das Dach einen Tick niedriger. Zudem zieht sich eine scharfe Falz, Charakterlinie genannt, um das Fahrzeug herum, unterhalb der Türgriffe, durch den vorderen Kotflügel und Scheinwerfer über den Kühlergriff zur gegenüberliegenden Seite. Das bringt Spannung in die Fläche – aber auch eine große Herausforderung für die Fertigung: Sämtliche Teile müssen präzise zusammengefügt werden, sonst fällt es selbst Menschen mit Sehschwäche unangenehm auf.

Neben der Dachlinie ist die so genannte C-Säule das andere typische Golf-Element: Die hintere Stütze, die die Heckklappe trägt, ist als glatte Fläche geformt und soll an die gespannte Sehne eines Bogens erinnern. Fast ein Jahr lang hat Lichter allein dieses Element moduliert, bis auch der Konzernchef damit zufrieden war. Lichte: "Der neue ist damit eine Symbiose aus dem Golf 1 und dem Golf 4" – seinen bisherigen Lieblings-Gölfen.

Der Designer Lichte redet sich in Rage

Die trapezförmige Tankklappe auf der rechten Seite soll übrigens Winterkorns Idee gewesen sein. Das lassen wir mal so stehen. Für die filigrane Halterung der Außenspiegel erhebt allerdings Lichte das Urheberrecht. Sie ermöglicht es, die Fensterfläche um eine kleine Dreiecksöffnung zu vergrößern und die Übersichtlichkeit zu verbessern: Praktische Aspekte sollten bei allem Styling nicht zu kurz kommen.

Charakterlinie, Dachfallung, Lichtkanten – Lichte wirft mit Fachbegriffen um sich, redet sich in Rage. Obwohl das Projekt für ihn längst Vergangenheit ist und er im Studio längst anderen Autos Gestalt gibt (welchen, mag er allerdings partout nicht verraten), ist er Feuer und Flamme für den Golf 7. Er erzählt von den Details, an denen gefeilt wurde, um den Luftwiderstandsbei- oder cw-Wert von 0,30 auf 0,27 zu drücken: je windschlüpfriger die Karosserie, desto weniger Kraftstoff benötigt das Auto, um auf Geschwindigkeit zu kommen.

Wahrscheinlich könnte er über die neue Frontpartie eine Stunde reden, über die Platzierung des VW Logos und die Grafik der LED-Scheinwerfer, über die horizontalen Linien, die Breite schaffen, aber auch eine gewisse Aggressivität ausstrahlen. Beim sechsten Golf waren die Kotflügel höher als die Motorhaube, nun ist es umgekehrt.

Was ist der Effekt? Man fragt besser nicht, wenn man unter Zeitdruck ist. Auch über die Farbwahl könnte sich Lichte sicher noch eine ganze Weile auslassen: Schon in jungen Jahren "assistierte" er seinen Eltern bei der Frage, in welcher Lackierung der neue Golf zu ordern sein. Die Vorführautos bei der Weltpremiere waren allesamt Silber lackiert – "weil Silber die Konturen besser betont als jede andere Farbe."

Auch mit Silver Leaf Metallic – einem grauschimmernden Silberton könnte er sich anfreunden: "Da kann man die Muskeln des Autos sehr schön sehen". Seinen eigenen Wagen hat er allerdings in Schwarz geordert – die Farbe der Designer und Erfolgsmenschen.

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