Irgendeine Messehalle oder ein Pavillon in der Autostadt Wolfsburg hätte es sicher auch getan. Aber nein: Es musste schon die Neue Nationalgalerie in Berlin sein. Der Stahlskelettbau aus den 60er Jahren, entworfen von niemand geringerem als Mies van der Rohe und gewidmet der modernen Kunst , ist in der immer chaotischer werdenden Hauptstadt bis heute eine Inseln der Ordnung und Klarheit.
Für die kunstsinnigen VW-Strategen der perfekte Ort also, um 800 geladenen Gästen aus aller Welt den neuen VW Golf zu präsentieren, als "Stilikone", "Innovationstreiber", ein "über Epochen wirkendes Spiegelbild des technischen Fortschritts", als "Motor des Volkswagen-Konzerns", ja nicht weniger als den "perfekten" Kompaktwagen: "Der Golf", formulierte es Konzernchef Martin Winterkorn mit unverhohlenem Stolz, "gibt immer die Richtung vor", nicht nur für Volkswagen, sondern auch für den Automobilstandort Europa und eine ganze Generation von Autofahrern.
Starke Worte getragen von großem Selbstbewusstsein: 29,13 Millionen Menschen, die seit 1974 einen neuen Golf gekauft haben, können nicht irren. Und weil es seit bald 50 Jahren und in sechs Modellgenerationen so gut läuft mit der ursprünglich von dem Italiener Giorgio Giugiaro entworfenen deutschen Auto-Skulptur, lautete die Devise an die Entwickler des Golf 7: Keine Experimente. 1957 warb die CDU in Deutschland mit dem Slogan für die Wiederwahl des greisen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und die Bewahrung des Erreichten. Die VW-Führung um Winterkorn setzt auf die gleiche Strategie: Alles muss besser werden, lautete der Auftrag an Ingenieure und Designer, aber nicht anders.
Der neue Golf 7
Fast ein Viertel weniger Sprit sollen die umweltfreundlichsten Antriebe des Golf 7 verbrauchen. In der günstigsten Variante kommt der Wagen mit Benzinmotor auf 4,8, als Diesel-Version auf 3,3 Liter. Im Schnitt soll der Golf 7 laut VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg um 13,9 Prozent weniger verbrauchen. Der Umweltschutz- Organisation Greenpeace gehen diese Werte indes nicht weit genug.
(Quelle: dpa)
Mit nur 1153 Kilogramm hat der Golf 7 stark abgespeckt, er wiegt damit sogar weniger als der Golf 4. „Beim Golf 7 haben wir es erstmals geschafft, die Gewichtsspirale zu durchbrechen“, sagte der zuständige Manager Markus Kleimann bereits Ende August bei einer Vorabvorstellung für Medienvertreter in Wolfsburg.
Mit der jüngsten Auflage des „Brot-und-Butter-Modells“ verbindet der nach General Motors und Toyota drittgrößte Autokonzern der Welt enorme Erwartungen. Der Golf 7 soll an die Erfolgsserie seiner Vorläufer anknüpfen - seit dem Start des Golf 1 im Jahr 1974 wurden nach VW-Angaben insgesamt mehr als 29 Millionen Modelle verkauft.
Das Auto soll die Niedersachsen zudem in der Fertigungstechnik voranbringen: Der Golf 7 gilt als Nagelprobe für den Modularen Querbaukasten MQB. Dieses Verfahren wurde zuvor nur beim Audi A3 eingesetzt. Es soll die Entwicklung und Produktion der VW-Marken einfacher und billiger machen.
Der Golf ruht in sich selbst
Weniger Gewicht, weniger Verbrauch, mehr Komfort und Sicherheit, aber um Gottes Willen nicht grundlegend anders: Ein neuer Golf stellt seinen Vorgänger nie in Frage. Während andere Hersteller wie Opel beinahe jeden Modellwechsel nutzen, um durch stilistische Bocksprünge vielleicht doch noch am Platzhirsch vorbei zu ziehen, ruht der VW Golf quasi in sich selbst: "Kontinuität ist ein Schlüssel zum Erfolg", doziert in Berlin VW-Designchef Klaus Bischoff. Einfach, stark, verständlich, zuverlässig und sicher habe das Auto zu wirken – modische Spielereien überlasse man dem Wettbewerb.
Keine leichte Aufgabe für einen Designer, aber keine, die Marc Lichte schlaflose Nächte bereitete. "Ich wusste sofort, wie das Auto aussehen müsste". Schwieriger war es, die Ideen in Linien umzusetzen – und die Vorstände von seinen Ideen zu begeistern. Die erste Skizze des neuen Golf warf der leitende Exterieur-Designer vor fast drei Jahren aufs Papier, wie immer mit einem blauen Buntstift. Für Lichte, aufgewachsen in Arnsberg am Möhnesee als Sohn eines Auto-Freaks und Golf-Fahrers, ist der Golf VII so etwas wie sein "Meisterstück". Schon bei den vorangegangenen zwei Modellreihen wirkte er mit, diesmal trug der 43-jährige die Verantwortung für die Gestaltung der Außenhaut. Manche mögen den neuen Golf langweilig, zu konventionell finden. "Läuft sich das Thema nicht langsam tot?", fragte am Abend der Weltpremiere ein junger Journalist aus Bayern, der wohl die mutigen Sprünge im BMW-Design vor Augen hatte.
Was sich äußerlich beim neuen Golf geändert hat
Lichte kann derartige Fragen nicht nachvollziehen: "Die klare Grundarchitektur ist die gleiche, aber die Proportionen haben sich dramatisch verändert." Lichte hält es nun nicht mehr am Platz. Zusammen mit dem Autor saust er quer durch die Nationalgalerie in einen Nebensaal, wo mehrere silberne Gölfe der verschiedenen Generationen gerade Schauspielern und in die Jahre gekommenen Rockmusikern als Staffage für Fotoaufnahmen dienen. Egal. "Wir haben beim neuen Golf Proportionen, wie man sie bislang nur von Mittelklasseautos kannte", erläutert er und fährt dabei mit der Hand die Dachlinie entlang. Tatsächlich verläuft diese flacher als bisher.
Der Grund: Die Vorderräder wanderten weiter nach vorne, der Radstand wurde größer, das Dach einen Tick niedriger. Zudem zieht sich eine scharfe Falz, Charakterlinie genannt, um das Fahrzeug herum, unterhalb der Türgriffe, durch den vorderen Kotflügel und Scheinwerfer über den Kühlergriff zur gegenüberliegenden Seite. Das bringt Spannung in die Fläche – aber auch eine große Herausforderung für die Fertigung: Sämtliche Teile müssen präzise zusammengefügt werden, sonst fällt es selbst Menschen mit Sehschwäche unangenehm auf.
Neben der Dachlinie ist die so genannte C-Säule das andere typische Golf-Element: Die hintere Stütze, die die Heckklappe trägt, ist als glatte Fläche geformt und soll an die gespannte Sehne eines Bogens erinnern. Fast ein Jahr lang hat Lichter allein dieses Element moduliert, bis auch der Konzernchef damit zufrieden war. Lichte: "Der neue ist damit eine Symbiose aus dem Golf 1 und dem Golf 4" – seinen bisherigen Lieblings-Gölfen.
Der Designer Lichte redet sich in Rage
Die trapezförmige Tankklappe auf der rechten Seite soll übrigens Winterkorns Idee gewesen sein. Das lassen wir mal so stehen. Für die filigrane Halterung der Außenspiegel erhebt allerdings Lichte das Urheberrecht. Sie ermöglicht es, die Fensterfläche um eine kleine Dreiecksöffnung zu vergrößern und die Übersichtlichkeit zu verbessern: Praktische Aspekte sollten bei allem Styling nicht zu kurz kommen.
Charakterlinie, Dachfallung, Lichtkanten – Lichte wirft mit Fachbegriffen um sich, redet sich in Rage. Obwohl das Projekt für ihn längst Vergangenheit ist und er im Studio längst anderen Autos Gestalt gibt (welchen, mag er allerdings partout nicht verraten), ist er Feuer und Flamme für den Golf 7. Er erzählt von den Details, an denen gefeilt wurde, um den Luftwiderstandsbei- oder cw-Wert von 0,30 auf 0,27 zu drücken: je windschlüpfriger die Karosserie, desto weniger Kraftstoff benötigt das Auto, um auf Geschwindigkeit zu kommen.
Wahrscheinlich könnte er über die neue Frontpartie eine Stunde reden, über die Platzierung des VW Logos und die Grafik der LED-Scheinwerfer, über die horizontalen Linien, die Breite schaffen, aber auch eine gewisse Aggressivität ausstrahlen. Beim sechsten Golf waren die Kotflügel höher als die Motorhaube, nun ist es umgekehrt.
Was ist der Effekt? Man fragt besser nicht, wenn man unter Zeitdruck ist. Auch über die Farbwahl könnte sich Lichte sicher noch eine ganze Weile auslassen: Schon in jungen Jahren "assistierte" er seinen Eltern bei der Frage, in welcher Lackierung der neue Golf zu ordern sein. Die Vorführautos bei der Weltpremiere waren allesamt Silber lackiert – "weil Silber die Konturen besser betont als jede andere Farbe."
Auch mit Silver Leaf Metallic – einem grauschimmernden Silberton könnte er sich anfreunden: "Da kann man die Muskeln des Autos sehr schön sehen". Seinen eigenen Wagen hat er allerdings in Schwarz geordert – die Farbe der Designer und Erfolgsmenschen.