„Die größten Herausforderungen in der Geschichte“ Wie hart trifft die Krise die Autobranche wirklich?

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So könnte der Exit aussehen

Um die Zukunft der Autoindustrie zu sichern, ist es laut CAM-Chef Bratzel wichtig, die systemrelevanten Akteure zu schützen. Dazu zählten neben den Herstellern auch Zulieferer und Händler. Den Absatzmarkt zu sichern, hält Bratzel für noch relevanter: „Die Stimulierung der Automobilnachfrage wird in den kommenden Wochen das Kernproblem sein.“

Auch er beobachtet durch die verschärften ökonomischen Rahmenbedingungen eine große Unsicherheit, die zu Zurückhaltung bei teuren Anschaffungen wie Autos führe. Um die Wertschöpfungskette zu stabilisieren, seien starke Kaufanreize notwendig.

Ein effektiver Anreiz dürfte wohl die Rückkehr zur Normalität sein. Wann und wie ein Exit möglich ist, hat Alexander Türpitz analysiert, der europäische Leiter der Praxisgruppe „Public Sector“ bei BCG. Sein Modell, das unter anderem auf vorherigen Erfahrungen mit dem Ausbruch der Krankheiten MERS und Ebola basiert, legt nahe, dass die derzeitigen Maßnahmen noch einige Wochen fortbestehen sollten.

„Um die Maßnahmen zu lockern müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt werden“, warnt Türpitz. Dazu zählten ein vorsichtiges Verhalten der Bevölkerung, die statistische Erhebung wichtiger Parameter wie der Immunisierungsquote, eine Tracing-App sowie der langfristige Schutz von Risikogruppen. Außerdem müssten die Test- und Intensivbehandlungskapazitäten ausgebaut werden. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, könne der Exit angegangen werden. „Die Schließung geschah unter Zeitdruck und Bundesweit synchron. Die Rückkehr zur Normalität wird hingegen regional differenziert ablaufen“, erklärt Türpitz. Er rechnet in Deutschland mit einer schrittweisen Öffnung, die sich nach Risikogruppen und Region unterscheiden wird.

von Sven Böll, Camilla Flocke, Henryk Hielscher, Rüdiger Kiani-Kreß, Dieter Schnaas, Martin Seiwert, Cordula Tutt

So könnten beispielsweise zunächst Schulen, Kindergärten und das produzierende Gewerbe unter Sicherstellung minimaler Kontakte geöffnet werden. Darauf könnten etwa Handel und Gastronomie folgen – unter Distanzwahrung. Dann könnten Freizeit- und Kultureinrichtungen wieder öffnen.

Allerdings dürften laut Türpitz nach jeder schrittweisen Öffnung die Infektionsraten aufs Neue temporär ansteigen. Dieser Anstieg müsse bewältigt werden, bevor der nächste Schritt erfolgt. Türpitz empfiehlt deshalb eine bestimmte Ansteckungsrate einzuhalten. In Nordrhein-Westfalen liege die handhabbare Obergrenze beispielsweise bei 50 bis 200 Neuinfektionen pro Tag – aktuell stecken sich täglich mehr als 1000 Menschen an (Stand: 07.04.). Die genaue akzeptable Anzahl hänge jedoch davon ab, wie konsequent die vorausgesetzten Maßnahmen umgesetzt werden, sagt Türpitz: „Mit dieser Rate ist sichergestellt, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird.“ Eine Herdenimmunität sei damit jedoch nicht erreichbar, das sei nur durch die Entwicklung eines Impfstoffs möglich: „Wir werden sukzessive öffnen, müssen aber diese Bedingungen einhalten, bis der Impfstoff dann da ist“, sagt Türpitz.

Wie genau es mit der Autoindustrie in Deutschland weitergeht, ist wegen der dynamischen Lage und den aktuellen Unwägbarkeiten schwer vorherzugsagen. Seriöse Prognosen, die konkreter sind, als Szenarien, dürften noch einige Zeit auf sich warten lassen. Für CAM-Direktor Stefan Bratzel ist eines aber gewiss: „Eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau erwarten wir für die deutschen Autobauer nicht vor 2022.“

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