Autonome Autos Wenn das Auto zum rollenden Büro wird

Wer über die Zukunft des Autofahrens spricht, kommt am Thema autonomes Fahren nicht vorbei. Doch was bedeutet das eigentlich für den täglichen Umgang mit dem eigenen Auto und was wird sich alles verändern?

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Mehr Zeit zum Arbeiten Dank autonomem Fahren Quelle: Presse

Stellen Sie sich vor, es ist Freitagnachmittag, die letzten Akten sind sortiert, die letzte Mail geschrieben. Ein letzter Klick auf die heißgelaufene Maus und es ist Wochenende. Denkste! Denn quasi in der fünften Minute der Nachspielzeit heißt es von ganz oben: „Können Sie das noch kurz fertig machen? Muss unbedingt vorm Wochenende noch raus.“ Heutzutage bedeutet das: Nachsitzen.

Daran wird sich in naher oder ferner Zukunft natürlich nichts ändern. Mit dem großen Unterschied, dass irgendwann dieses Nachsitzen ganz bequem auf dem Nachhauseweg im eigenen Fahrzeug praktiziert werden könnte. Das soll nicht heißen, dass jeder einen eigenen Chauffeur zur Hand bekommt. Das Stichwort lautet: Autonomes Fahren.

Wenn es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel geht „werden wir in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“ Angesichts der Hindernisse sowohl auf praktischer als auch theoretischer Ebene wird dieser Kanzlerinnen-Satz aber sehr wahrscheinlich in derselben Rhetorik-Schublade landen, wie der des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

Wie sich die Autobauer den Innenraum der Zukunft vorstellen
Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion Quelle: Daimler
Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion Quelle: Daimler
Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion Quelle: Daimler
Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion Quelle: Daimler
Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion Quelle: Daimler
Toyota Concept-i Quelle: Toyota
Toyota Concept-i Quelle: Toyota

Doch wie genau darf sich solch eine Fahrt in einem autonom fahrenden Fahrzeug vorgestellt werden und warum werden auch zwei Jahrzehnte nicht für eine komplette Automatisierung ausreichen? Wird das Auto in absehbarer Zukunft zum rollenden Büro oder gar Wohnzimmer auf Rädern?

Wie der Stand der Technik ist

Bislang reicht die Technik der großen Automobilhersteller für eine sichere Fahrt auf der Autobahn. Der Fahrer nimmt die bekannte Position hinter dem Lenkrad ein, startet den Motor und pilotiert das Fahrzeug gen Autobahn. Bereits auf dem Weg dorthin erfährt er spürbar oder auch weniger spürbar Unterstützung von adaptiven Abstandsregeltempomaten, aktiven Spurhalteassistenten und sogar restlichtverstärkenden Kameras für eine sichere Fahrt bei Nacht.

Hinzu kommen City-Notbrems-Assistenten, die einen Auffahrunfall bei städtischem Tempo verhindern und Verkehrsschilderkennungen, die den Städten, welche auf ihre täglichen Blitzereinnahmen angewiesen sind, ein wahrer Graus sind. Anhand der Echtzeit-Verkehrsanzeige wird zudem stets der stauärmste, sprich schnellste Weg errechnet. Die Lieben daheim können die Fahrt an ihren Smartphones sekundengenau mitverfolgen und derweil schon mal mit dem Tischdecken beginnen.

Die fünf Stufen des automatisierten Fahrens

Auf der Autobahn angekommen, kann in aktuellen Neuwagen im Premiumsegment nun das Fahrzeug für mehrere Sekunden am Stück die Komplettkontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Wir befinden uns somit in der dritten von fünf Stufen innerhalb des autonomen Fahrens. Fährt der Vorausfahrende zu langsam, wird in einigen Fällen sogar schon automatisch zum Überholen angesetzt.

Selbst einen staugeschuldeten Stillstand inklusive das darauffolgende Wiederanfahren haben heute Audi, BMW, Mercedes, VW und einige weitere Hersteller im Angebot. Blickt der Fahrer in solch tempoberuhigter Situation vermehrt auf den Bildschirm in der Mittelkonsole, soll bei Honda ab 2020 das Fahrzeug die Komplettkontrolle inklusive Spurhalten und Abstandeinhalten übernehmen können.

Die nächste Stufe kommt bald

Ganz neu im Straßenverkehr ist folgende Technik: Sollte in modernsten Fahrzeugen wie dem aktuellen VW Arteon der Fahrer aus etwaigen Gründen der mehrmaligen Aufforderung zum Ergreifen des Lenkrades nicht nachkommen, fährt das Fahrzeug selbstständig mit aktivierter Warnblinkanlage an den rechten Fahrbahnrand, hält dort und setzt einen Notruf ab.

Was viele bereits für die vierte Stufe des autonomen Fahrens halten, ist jedoch eher als einer der letzten Schritte innerhalb der dritten Stufe zu sehen. Denn die vierte Stufe beschreibt die Möglichkeit sich auf der Autobahn hinter das Steuer zu setzen, dem Fahrzeug ein Ziel zu nennen und sich dann durch sämtliche Staus und Baustellen dorthin pilotieren zu lassen. Ein Eingreifen des Menschen ist in dieser Stufe nicht mehr notwendig. Eine hintergründige Ab- und Zu-Überwachung aber schon.

Ethische Grundregeln für autonome Autos

Und genau an dieser Stelle werden die Automobilhersteller und ihre Technikzulieferer noch einige Jahre zu knacken haben. Denn Straßenmarkierungen sind zum Beispiel trotz GPS und HD-Kartenmaterial für die Orientierung im Straßenverkehr nicht wegzudenken. Wenn sie sich, wie in Baustellen überschneiden oder auf frisch geteerten Straßenabschnitten überhaupt nicht mehr vorhanden sind, ist der Mensch wieder in der Pflicht. Zumal das öffentlich genutzte GPS-System nur eine Genauigkeit von maximal einem bis drei Metern erreichen kann. Und das auch nur, wenn zugleich mehrere Korrektursignale empfangen werden können. Hinzu kommen Szenarien mit auf die Straße laufenden Tieren, liegengebliebenen Fahrzeugen und vielem mehr, die ein ständiges Abbremsen eines automatisierten Fahrzeugs zur Folge hätten.

Da kann sich jeder selbst ausmalen, dass es auch innerhalb der kommenden Jahre und Jahrzehnte nahezu keine autonom fahrenden Fahrzeuge im wuseligen Großstadtverkehr geben wird. Ohne Störfaktoren sähe das natürlich ein wenig anders aus. Kein Wunder also, dass die Bürgermeister zahlloser Städte bei den großen Autobauern Schlange stehen, um sich für eine Teststrecke zu bewerben. Was jedoch unter Laborbedingungen funktioniert, ist selbst im strikt reglementierten und im Vergleich zu nahezu allen anderen Nationen perfekt strukturierten deutschen Straßenverkehr bislang undenkbar.

Der Fachbegriff, so einfach er auch klingt, lautet in diesem Falle Dilemma-Szenario. Denn wie schaut es mit Situationen aus, in denen der Autofahrer zwar im Recht, der ungeschützte, über Rot gehende Fußgänger aber mit wesentlich schwereren Verletzungen, wenn nicht gar mit dem Tod zu rechnen hat? Sollte das Auto lieber, drastisch formuliert, draufhalten, um weitere Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern oder auch die eigenen Zerstörung zu vermeiden – oder nicht?

Die Designer bekommen neue Freiheiten

Wenn schon sowohl die Praxis als auch die Theorie des autonomen Fahrens das ganze Projekt schier endlos in die Länge ziehen und die Ingenieure und Anwälte an ihre Schmerzgrenze treiben, so gibt es dennoch Abteilungen innerhalb der Automobilindustrie, die sich aktuell so richtig austoben können. Die Rede ist von den Designern – vor allem den Interieurdesignern.

Eine Zukunft, in der die konservative Platzverteilung (Fahrer und Beifahrer vorn, zwei oder mehr Personen im Fond auf eine oder zwei Reihen verteilt) aufgebrochen werden darf, wirkt wie ein paradiesischer Nährboden für Freigeister und kreative Köpfe. Die Marketingfloskel „Wir haben auf einem weißen Blatt Papier begonnen“ trifft hier zum ersten Mal tatsächlich den Nagel auf den Kopf.

In diesen Situationen möchten die Deutschen autonom fahren

Das autonome Fahren sorgt für ein völlig neues Fahr- und damit auch Komfortgefühl. Ein Gefühl, das durch einen neuen Umgang komplett neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet. „Die Wahl der Farben und Materialien im Innenraum eines autonom fahrenden Autos wird immer wichtiger“, weiß nicht nur Serife Celebi, zuständig bei Ford für Farben und Materialdesign. Denn das Auto wird zu einem rollenden Wohn- und natürlich auch Arbeitszimmer.

Und auch bei Mercedes-Benz ist klar: „Wer nur an die Technik denkt, hat noch nicht erkannt, wie das autonome Fahren unsere Gesellschaft verändern wird“, betont Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars. „Das Auto wächst über seine Rolle als Transportmittel hinaus und wird endgültig zum mobilen Lebensraum.“

Wie weit fortgeschritten dieser Gedanke eines rollenden Arbeitsplatzes schon heute ist, zeigen nicht nur Fahrzeugstudien, sondern auch schon auf den Straßen fahrende Premiumfahrzeuge. Vom gewaltigen Flachbildschirm für eine gelungene Präsentation während der Fahrt, über Schnitt- und Ladestellen für Laptop, Smartphone und auch Spielekonsolen bis hin zum W-Lan-Hotspot für mehrere mobile Endgeräte ist schon heute alles an Bord.

Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos

Studienfahrzeuge wie der F 015 Luxury in Motion von Mercedes-Benz reizen die Möglichkeiten, die sich in einem fahrerlosen Innenraum ergeben, aber erst richtig aus. So ist die zentrale Idee dieses Forschungsfahrzeugs ein kontinuierlicher Informationsaustausch zwischen Fahrzeug, Passagieren und Außenwelt. Hierzu dienen sechs rundum installierte, harmonisch in die Armaturentafel sowie die Rück- und Seitenwände integrierte Displays, die das Interieur zu einem digitalen Erlebnisraum. Die Passagiere können über Gesten oder Berührung der hochauflösenden Bildschirme intuitiv mit dem vernetzten Fahrzeug interagieren.

In wieweit die phantastischen, rollenden, automobilen Phantasiewelten dann tatsächlich irgendwann einmal Realität werden, bleibt natürlich abzuwarten. Die Nachspielzeiten in der Arbeitswelt könnten aber auf jeden Fall angenehmer werden.

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