Es sind noch 100, vielleicht 120 Meter bis zur Ampel, als Torsten Kolander das Gaspedal – oder besser Strompedal? – seines Elektroautos durchdrückt.
Der Wagen schießt nach vorne, schafft es noch über die Kreuzung, bevor das gelbe Licht der Ampel auf Rot wechselt. „Nicht, dass ich das oft machen würde“, sagt Kolander. „Normalerweise“ fahre er gemächlich. Die krasse Beschleunigungsleistung seines 610-PS-Tesla nutze er nur, wenn es nicht anders gehe. Das liegt nicht unbedingt daran, dass Kolander nicht gerne mal etwas rasanter fahren würde. Sondern schlicht daran, dass ständige Zwischenspurts mit seinem Akku schlecht zu machen sind. Rasen kostet Energie, und die Angst vorm leeren Akku fährt immer mit in den Elektroautos des Jahres 2016.
Ihr begrenzter Aktionsradius ist nur eine der Unbilden, mit denen E-Auto-Fahrer noch kämpfen. Wer heute schon ausschließlich elektrisch Auto fahren möchte – ohne Hybridmotor und ohne den Diesel oder Benziner als Zweitwagen für alle Fälle –, kann das zwar tun. Er braucht aber entweder gut 100.000 Euro für eine E-Luxuslimousine, oder er fährt durch die Mühen der Ebene, wie alle Pioniere eben.
E-Mobilisten müssen ihre Strecken viel genauer planen als Benzin- und Dieselfahrer, weil Ladesäulen dünn gesät sind. Sie sollten sich zu Hause spezielle Ladeboxen installieren, weil sonst das Vollladen bis zu 40 Stunden dauert. Und sie müssen sich, wollen sie die Stromer als Dienstwagen nutzen, mit einer Besteuerung herumplagen, die recht komplexes Neuland ist. Das bei Verbrennern beliebte Leasing etwa ist noch weitgehend unerforschtes Terrain.
Was aber passiert, wenn man sich, wie derzeit etwa 25.000 Damen und Herren in Deutschland, doch auf das Abenteuer Elektroauto einlässt und versucht, das Gefährt in den Job- und Unternehmeralltag zu integrieren?
„Der Beginn einer neuen Ära“
Videoproduzent Kolander besitzt kein anderes Auto, fährt mit dem Elektroauto in den Urlaub, zu Kunden und erledigt private Besorgungen. Für ihn war der 120.000 Euro teure Tesla ein „lange gehegter Wunsch. Als ich 2010 eine erste Designstudie sah, begann ich eisern darauf zu sparen“, sagt er. Er habe zwar immer „gerne auch andere Sportwagen gefahren“, aber neben dem Spaß an der neuen Technik liege ihm eben auch „der Nachhaltigkeitsgedanke am Herzen“.
Mit welchen Hindernissen Elektroautos kämpfen
Noch sind die reinen E-Autos deutlich teurer als ihre Benzin-Pendants. Ein Beispiel: Der E-Golf von Volkswagen ist ab 35 000 Euro zu haben. Ein Golf mit vergleichbarer Ausstattung kostet nur 24 150 Euro. Doch das könnte sich ändern. Laut Berechnungen des Ingenieurbüros P3 sind Elektrofahrzeuge ab dem Jahr 2018 beim Preis wettbewerbsfähig, wenn nicht sogar im Vorteil. Dabei werden neue Batterien zu Grunde gelegt, die einen höheren Nickelanteil vorweisen.
Die Batterietechnologie, die für den Preis verantwortlich ist, ist auch der Grund für einen weiteren Knackpunkt: Für den E-Golf gibt Volkswagen eine Reichweite zwischen 130 und 190 Kilometern an. Für eine Fahrt in den Urlaub dürfte das kaum reichen, zumal die Zahl der Ladepunkte in Deutschland im Vergleich zu den herkömmlichen Tankstellen noch klein ist. Auch das dürfte sich aber mit der Weiterentwicklung der Batterietechnologie ändern.
Vor allem auf dem Land kann die geringe Reichweite zum Problem werden. Deutschland liegt laut der Nationalen Plattform Elektromobilität mit 4800 Ladepunkten an 2400 Standorten im internationalen Mittelfeld. Nach dem Willen der EU Kommission sollen bis 2020 in Deutschland 150 000 öffentlich zugängliche Ladestationen entstehen. Zum Vergleich: Laut ADAC lag die Zahl der herkömmlichen Tankstellen 2013 bei 14 328.
Smart-Chefin Annette Winkler spricht sich schon lange offen für eine Förderung von E-Autos aus. Das müssen nicht unbedingt finanzielle Anreize sein: Der Bundestag erlaubte jüngst Städten und Gemeinden, kostenlose Parkplätze für E-Autos zu reservieren und ihnen die Nutzung von Busspuren zu erlauben. Ob das ausreicht, zweifelt unter anderem VDA-Präsident Matthias Wissmann an. Er fordert finanzielle Impulse - wie zum Beispiel Sonderabschreibungsregeln für Firmenwagen. In anderen Ländern wie den USA, China oder Frankreich bekommen Käufer Cash vom Staat beim Kauf eines E-Autos.
Nach Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) rollten Ende 2014 knapp 19 000 reine E-Autos auf deutschen Straßen. Die Zahl der sogenannten Plug-In-Hybride, die die Bundesregierung zu den E-Autos zählt und die sowohl an der klassischen Tankstelle als auch an der Steckdose betankt werden, lag bei 108 000. Insgesamt waren 44,4 Millionen Pkw in Deutschland unterwegs. Das Ziel der Bundesregierung von einer Million elektrisch betriebenen E-Autos bis 2020 liegt damit noch in weiter Ferne. An der Auswahl kann es nicht liegen: Im vergangenen Jahr kamen laut Verband der Automobilindustrie (VDA) 17 neue Serienmodelle mit Elektroantrieb auf den Markt. 2015 sollen noch einmal zwölf weitere hinzukommen. Selbst der elektroskeptische Porsche-Chef plant offenbar mit einem E-Auto: Zuletzt schloss Müller nicht mehr aus, dass das bis Ende des Jahrzehnts geplante nächste Porsche-Modell rein elektrisch betrieben wird.
Lange bewegten sich Leute wie Kolander in einer engen Nische. Jahrelang redeten die Hersteller sehr häufig von der Elektromobilität als Technik der Zukunft – und änderten sehr selten etwas an der Dominanz von Diesel- und Benzinmotoren. Nun vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Politiker irgendwo auf der Welt neue Steuervergünstigungen oder Kaufprämien ankündigt. Deutschland bietet E-Auto-Käufern seit Anfang Juli bis zu 4000 Euro Zuschuss. Norwegen will den Anteil an Verbrennungsmotoren reduzieren.
Flut neuer E-Modelle
Die Autokonzerne kündigen nun eine regelrechte Flut neuer E-Modelle an. Im März präsentierte Tesla-Chef Elon Musk einen „Volkstesla“, das Model 3, versprach 350 Kilometer Reichweite zu einem Preis von 35.000 Dollar. 400.000 Vorbestellungen dafür sind ein Überraschungserfolg – und setzen die anderen Hersteller unter Druck. GM will seine Massenmarkt-E-Modelle Chevrolet Bolt und Opel Ampera-e sogar noch vor Teslas Model 3 auf den Markt bringen. Und gerade versprach VW-Markenchef Herbert Diess, bis 2020 eine Million VW-E-Autos zu bauen. Diese Flut neuer Modelle könnte geeignet sein, das Elektroauto aus seiner elitären Marktnische in die Masse zu bringen. denn noch klafft im Alltag eine ziemliche Lücke zwischen Teslas Luxus-E-Autos und dem Rest des Marktes.