Schadenersatz für Diesel-Kläger – dazu schien eigentlich so gut wie alles gesagt. Aber plötzlich ist wieder vieles offen. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) verfolgt eine wesentlich käuferfreundlichere Linie als der Bundesgerichtshof (BGH) bislang. Schwenken die Karlsruher Richter darauf ein? Und wer könnte profitieren? Erste Hinweise gab es bei einem mit Spannung erwarteten Verhandlungstermin am Montag.
Wie ist die Ausgangslage?
Der BGH hat Hunderttausenden Betroffenen des VW-Abgasskandals den Weg zu Schadenersatz geebnet. Aber seit seinem ersten und wichtigsten Urteil aus dem Mai 2020 gilt der Grundsatz: Ansprüche hat nur, wer vom Autobauer über den Schadstoffausstoß auf sittenwidrige Weise getäuscht wurde. Beim VW-Skandalmotor EA189 war das der Fall. Denn hier wurde eine Betrugssoftware so programmiert, dass die Autos in Behördentests in einen speziellen Modus wechselten – und dann weniger giftige Abgase freisetzten als tatsächlich im Straßenverkehr.
Welche Kläger haben es bisher schwer?
In vielen weiteren Diesel-Fahrzeugen auch anderer Autobauer arbeitet die Abgasreinigung ebenfalls nicht durchgängig gleich gut. Ein Beispiel ist die Drosselung je nach Außentemperatur. Kritiker werfen den Herstellern vor, die dafür verantwortlichen Funktionalitäten so ausgestaltet zu haben, dass die Autos die Grenzwerte vor allem unter den Bedingungen einhalten, die in der typischen Testsituation herrschen. Es handele sich also auch dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen. Der BGH sah bisher aber keine Grundlage für Schadenersatz, solange kein Schummel-Modus aktiviert wird – denn technisch läuft dann ja prinzipiell alles immer gleich ab.
Fünf Ideen für die Mobilitätswende
Das Aufreger-Thema „Tempolimit“ wird öffentlich fast ausschließlich mit Bezug auf Autobahnen diskutiert. Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts hingegen bleiben unter dem Radar, obwohl sie starke Fürsprecher haben, vor allem unter den Kommunen. Die im Juli 2021 von den sieben Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründete Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist inzwischen auf über 850 Mitglieder angewachsen. Neben kleineren und mittelgroßen Kommunen haben sich seit Gründung auch mehrere Großstädte wie Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Saarbrücken oder Freiburg der Initiative angeschlossen. Die Bürgermeister fordern den Bund auf, rechtliche Rahmenbedingungen für den großflächigen Einsatz von Tempo-30-Zonen zu schaffen. Nach Ansicht der Initiative würde die Leistungsfähigkeit des Verkehrs durch eine großflächige Einführung nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität der Bewohner hingegen spürbar gesteigert. Auf einigen Hauptverkehrsstraßen soll den Plänen zufolge weiterhin Tempo 50 möglich bleiben.
(Stand: Juli 2023)
In Städten könnten Fahrräder eine taugliche Alternative zu Auto und ÖPNV sein. Spaß macht das Radeln aber in den wenigsten Citys, allein schon wegen Ängsten um die eigene Sicherheit. Die Unfallforscher der Versicherung (UDV) haben vor diesem Hintergrund mehrere Vorschläge entwickelt, den Radverkehr weniger gefährlich zu machen. Darunter findet sich auch die Idee zur besseren Sicherung von Grundstückseinfahrten. Fast jeder fünfte Unfall zwischen einem Radler und einem Pkw spielt sich an den Zufahrten zu Firmengeländen, Tankstellen, Supermarkt-Parkplätzen und Parkhäusern ab. Fast jeder siebte Unfall mit schwerverletzten oder getöteten Radfahrern passiert an einer solchen Grundstückszufahrt. Je nach Frequenz und Lage könnten die Kommunen für die Zufahrten freie Sichtachsen, das Anbringen von Spiegeln oder sogar die Installation einer Ampel vorschreiben.
(Stand: August 2022)
E-Autoprämie und Dienstwagensteuer fördern vor allem elektrische SUV und Premiumlimousinen mit zwei und mehr Tonnen Gesamtgewicht. Kein Geld hingegen gibt es zumindest aus diesen Töpfen für elektrische Leichtfahrzeuge. Die großen Autohersteller ignorieren die Zulassungsklassen L1e bis L7e mit ihren leichten und langsamen, aber effizienten und ressourcensparenden Stromern fast komplett – mit wenigen Ausnahmen wie dem Opel e-Rocks und dem Renault Twizy. Stattdessen tummelt sich dort eine unüberschaubare Vielzahl kleiner Anbieter mit teils exotisch anmutenden Zwei-, Drei- und Vierrädern. Die Micromobile taugen zum Pendeln, zum Einkaufen, zum Sightseeing oder auch zum Warentransport. Der Bundesverband E-Mobilität (BEM) fordert schon seit langem von den unterschiedlichen Bundesregierungen eine finanzielle Förderung sowie die Erhöhung der meist auf 45 km/h begrenzten Geschwindigkeit auf innenstadttauglichere Werte. Bislang allerdings erfolglos.
(Stand: August 2022)
„Der Verkehr leidet in der Hauptsache daran, dass die Berufspendler zwei Mal am Tag alles verstopfen“, sagt Günter Schuh. Der E-Mobilitätspionier und Hochschul-Professor will das Problem mit seinem frisch gegründeten Shuttle-Dienst e.Volution lösen. Der Dienstleister stellt Unternehmen elektrische Mini-Vans mit sieben Sitzen zur Verfügung, die morgens die Belegschaft einsammeln und ihnen während der Fahrt ins Büro mobile Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Deswegen zahlt der Weg bereits aufs Zeitkonto ein, was die Akzeptanz des gemeinschaftlichen Transports erhöhen soll. Verhandlungen mit Großunternehmen laufen bereits, 2024 sollen die ersten Meta-Mobile auf der Straße sein.
(Stand: August 2022)
Neue U- und Straßenbahnen sind teuer und langwierig im Bau. In manchen Anwendungsfällen könnte die Seilbahn eine Alternative sein. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge schneiden sie bei Bau und Betrieb besser ab als die schienengebundenen ÖPNV-Lösungen. Die Kosten für Seilbahnsysteme pro Kilometer betragen den Experten zufolge etwa 10 bis 20 Millionen Euro – und liegen damit auf dem Niveau einer Straßenbahnstrecke. Da kein Betriebshof und keine Signal- und Verkehrsleittechnik erforderlich sind, sind die gesamten Investitionskosten im Verkehrsmittelvergleich gering. Zudem ist die Bauzeit von Seilbahnen mit 12 bis 18 Monaten relativ kurz. Dazu kommen der Studie zufolge wirtschaftliche Vorteile im Unterhalt, unter anderem ist der Energieverbrauch nur halb so hoch wie bei schienengebundenen Verkehrsmitteln. Ob Seilbahnen für eine konkrete Anwendung in einer Stadt geeignet sind, lässt sich laut PwC aber nur für den Einzelfall beantworten. Bei der Planung sei unter anderem mit Widerstand in der Bevölkerung zu rechnen, die eine Beeinträchtigung des Stadtbildes befürchten.
(Stand: August 2022)
Was hat der EuGH damit zu tun?
Die Luxemburger Richter haben die Hürden in einem Mercedes-Fall aus Deutschland kürzlich deutlich niedriger angesetzt. Schadenersatz-Ansprüche könnten demnach schon bei einfacher Fahrlässigkeit entstehen. Zur Begründung heißt es in dem Urteil vom 21. März: Der Hersteller sichere jedem einzelnen Kunden beim Kauf zu, dass sein neues Auto allen EU-Vorgaben entspricht. Bei einem Auto mit unzulässiger Abschalteinrichtung werde diese Zusage aber nicht eingelöst. Entsteht dem Käufer durch so eine Abschalteinrichtung ein Schaden, hat er daher laut EuGH Anspruch auf „angemessenen Ersatz“.
Was bedeutet das für Diesel-Fahrer?
Ihre Chancen auf Schadenersatz dürften erst einmal gestiegen sein – immer vorausgesetzt natürlich, in dem Auto steckt überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung. Ob es sich lohnt, vor Gericht zu ziehen, ist aber noch unklar. Die Vorgaben aus Luxemburg müssen in Deutschland zwar umgesetzt werden. Dabei hat der BGH aber einen gewissen Spielraum. Noch weiß niemand, wohin die Reise genau geht.
Welche Fragen dürften für ein Urteil eine Rolle Spielen?
Schadenersatz kommt schon nach dem EuGH-Urteil nur infrage, wenn es überhaupt einen Schaden gibt – eine zentrale Frage dürfte daher sein, worin dieser bestehen könnte. Bestimmte Funktionalitäten wurden nachträglich vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandet, für andere liegt bis heute eine behördliche Freigabe vor. Trifft die Hersteller unter diesen Umständen eine Schuld? Und wenn Kunden Schadenersatz zusteht: Wie ist dieser zu berechnen? Selbst sittenwidrig getäuschte VW-Diesel-Käufer müssen sich bei der Rückabwicklung auf den ursprünglichen Kaufpreis die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Wenn man Pech hat, bleibt am Ende also kaum etwas übrig.
Was ließ der Senat dazu erkennen?
Intensiv wurde darüber diskutiert, ob Klägern eine komplette Rückabwicklung des Vertrags zustehen könnte – ein sogenannter großer Schadenersatz – oder doch zumindest eine Art „kleiner Schadenersatz“. Dieser Haltung schien der „Dieselsenat“ zuzuneigen.
Käufer könnten den Kauf dann nicht einfach rückabwickeln. Sie könnten aber Anspruch auf den sogenannten Minderwert haben: Also die Differenz zwischen einem funktionsfähigen Auto ohne eine möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtung und dem unwissentlich tatsächlich erhaltenen Auto mit der Abschalteinrichtung.
Ließ sich überhaupt alles an einem Tag klären?
Die Anwälte der Kläger und der Autobauer diskutierten fast fünf Stunden über Schadensfragen, Schutzansprüche der Käufer und Auslegungen beziehungsweise Auswirkungen des EuGH-Urteils auf deutsches Recht.
Die Sache wird noch zusätzlich dadurch verkompliziert, dass es ja viele verschiedene Fahrzeugtypen und Ausstattungen gibt. Ein sogenanntes Thermofenster, bei dem die Abgasreinigung je nach Außentemperatur mal voll läuft, mal gedrosselt wird, ist beispielsweise bei Diesel-Motoren absolut gängig. Die Temperaturfenster sind je nach Hersteller und Auto aber unterschiedlich ausgestaltet – ein Thermofenster könnte also zulässig sein, das andere nicht. Dazu äußerte sich der BGH am Montag so gut wie gar nicht. Zur Verhandlung hat der BGH-„Dieselsenat“ einen VW-, einen Audi- und einen Mercedes-Fall ausgewählt. Ein Auto war von einem Rückruf des KBA betroffen, die anderen beiden nicht.
Wann kommt das Urteil?
Nach stundenlanger Verhandlung wurde ein Urteil in allen drei Fällen auf den 26. Juni terminiert. Kläger, die auf Schadenersatz hoffen, müssen sich also noch ein wenig gedulden.
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