Globalen Konzernen, so monieren kapitalismuskritische Geister, seien die Gesellschaft, die Umwelt, ja selbst ihre Kunden oft schnurzpiepegal – Hauptsache die Kasse stimmt. Das ist glücklicherweise so pauschal nicht richtig.
Die PS-Branche allerdings hat zuletzt alles getan, um dem Feindbild der Kapitalismuskritiker zu entsprechen. 14 Jahre lang sprachen europäische Lkw-Hersteller die Verkaufspreise ihrer Lastwagen ab und prellten Speditionen, Industrie und Handel um gut 100 Milliarden Euro.
Und dann Dieselgate: Die Mehrzahl der europäischen Hersteller von Diesel-Pkw tricksten so heftig bei den Stickoxidemissionen, dass landauf, landab, in Büros, Parks und Kindergärten, Überschreitungen der Stickoxidgrenzwerte heute Alltag sind. Nach offiziellen EU-Berechnungen kosten die automobilen Stickoxid-Schwaden Jahr für Jahr rund 10.000 Menschenleben in Deutschland, 75.000 in Europa.
Die höchsten Kartellstrafen der EU-Kommission
Die EU-Kommission bestraft 2013 mehrere Finanzinstitute wegen der Manipulation von Zinssätzen wie dem Libor.
Die EU-Kommission bittet 2007 das „Fahrstuhl-Kartell“ zur Kasse. Führende Konzerne hatten sich zwischen 1995 und 2004 den Markt in Deutschland, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden aufgeteilt und vereinbart, wer einen Auftrag bekommen soll.
Sechs Autozulieferer haben jahrelang die Preise für Wälzlager künstlich hochgehalten. Die Strafe wird 2014 verhängt.
Europäische Autobauer haben jahrelang zu viel für Windschutzscheiben und andere Teile aus Glas gezahlt. 2008 bestraft die EU-Kommission vier internationale Autoglas-Hersteller wegen illegaler Preisabsprachen.
Die EU-Kommission verhängt die bisher höchste Strafe 2012 gegen führende Hersteller von Fernseh- und Computerbildschirmen. Die Unternehmen hatten ein Bildröhren-Kartell gebildet.
Kartell und Dieselgate, zwei traurige Einzelfälle? Leider nein. Ein System, und zwar eines mit nur einem Ziel: die Kasse musste stimmen. Ende der 90er-Jahre wurde die Abgasreinigung in Lkw wegen strengerer Umweltgesetze immer teurer. Die Lastwagenbauer wollten die Kosten nicht selbst schultern, bildeten ein Kartell und wälzten die Kosten für den Gesundheitsschutz so auf ihre Kunden ab.
Für ein Auto-Kartell ist die Branche schlicht zu groß
Als später klar wurde, dass Diesel-Pkw das gleiche Schadstoffproblem haben wie zuvor die Lkw, stellte sich wieder die Frage: Wer soll für die Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte bezahlen? Für ein Kartell war die Zahl der Autobauer zu groß, selbst wollten die Konzerne die Kosten nicht tragen, also ersannen sie unzählige legale und illegale Wege, den Gesetzgeber auszutricksen. Umwelt? Menschleben? Schnurzpiepegal.
Die ergaunerten Milliarden der Lkw-Kunden hatten aber auch etwas Gutes: Es wurden damit die Stichoxidprobleme der Lastwagen wirklich gelöst. Ein 40-Tonner von Mercedes hat heute nur halb so hohe Stickoxidemissionen wie eine C-Klasse mit Dieselmotor. Die funktionierende Lkw-Abgastechnik führten die Hersteller freilich erst ein, nachdem das Umweltbundesamt sie 2004 bei Manipulationen mittels Betrugssoftware überführt hatte. Das klingt nicht nur nach Dieselgate, das war Deutschlands erster und leider oft übersehener Dieselskandal.
Nach Dieselgate 2.0 stellt sich die Frage, von wem die Unternehmen künftig angehalten werden wollen, Gesetze einzuhalten. Sehr empfehlenswert: Eine eigene moralische Richtschnur und eine mächtige Compliance-Abteilung. Für die Gesellschaft und die Unternehmen ist das die verträglichste und kostengünstigste Variante.
Die nur zweitbeste Option sind Gesetzgeber und Behörden, die so streng regulieren und kontrollieren, dass erst gar kein Skandal entsteht. Wenn aber, wie bei Dieselgate 2.0, die moralische Richtschnur verloren geht, die Politik wegsieht und die Behörden versagen, bleibt nur die harte Tour: US-Behörden, Staatsanwaltschaften und Sammelkläger, die sich Milliarden greifen, und damit ganze Konzerne ins Wanken bringen. Eins, zwei oder drei? Die Firmen haben – das ist das Schöne am Kapitalismus – die freie Wahl.