Auch die deutsche Politik und die Behörden geben keine glanzvolle Figur ab. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist unter Druck geraten. Kritiker werfen ihm zu große Nähe zur Autoindustrie vor. Das dem Verkehrsministerium unterstellte Kraftfahrbundesamt soll einen Untersuchungsbericht mit den Autoherstellern abgestimmt haben.
Zusätzlich macht die zunehmende Verschmutzung der Innenstädte dem Diesel Druck. Aufspringend auf die Anti-Diesel-Stimmung in der Bundesrepublik hat die Deutsche Umwelthilfe in den vergangenen Monaten Fahrt aufgenommen, reihenweise deutsche Städte verklagt. Viele überschreiten die Grenzwerte für Stickoxide teilweise deutlich und so droht nun ausgerechnet in der Autostadt Stuttgart ein Fahrverbot für Diesel.
Keine andere Volkswirtschaft hängt so an seiner Autoindustrie wie Deutschland. Nicht nur emotional sondern vor allem ökonomisch. Zwischen Bayern und Schleswig-Holstein hängen 1,8 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Wohl der Autobranche ab. Geht es ihr schlecht, könnte das einen Dominoeffekt auslösen, der insbesondere die hochspezialisierten mittelständischen Zulieferer treffen würde.
So wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland
Erst der Skandal um manipulierte Abgaswerte, dann der Kartellverdacht gegen BMW, Daimler, Volkswagen und Co. Es drohen Strafzahlungen und Schadenersatz - und das in einer Zeit, in der die deutschen Autobauer durch neue Konkurrenten wie den Elektroauto-Hersteller Tesla oder Trends wie dem autonomen Fahren ohnehin vor großen Herausforderungen steht. Ein Überblick, wie wichtig die Autobranche für Deutschland ist.
Quelle: Reuters
Gemessen am Umsatz ist die Autobranche der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland: Die Unternehmen erwirtschafteten 2016 einen Umsatz von mehr als 405 Milliarden Euro. Das entspricht rund 23 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mittelständisch geprägte Zulieferer sind für den Großteil der Wertschöpfung - etwa 70 Prozent - verantwortlich. Insgesamt werden mehr als 1300 Unternehmen der Branche zugerechnet.
Die Autounternehmen zählen in Deutschland direkt mehr als 800.000 Mitarbeiter. Indirekt sind es viel mehr, da für die Fahrzeugfertigung viele Teile, Komponenten und Rohstoffe zugekauft werden - etwa in der chemischen Industrie, der Textilindustrie, bei Maschinenbauern sowie in der Elektro-, Stahl- und Aluminiumindustrie. Auch Autohändler, Werkstätten und Tankstellen sowie weitere Dienstleister - etwa Versicherer - sind von der Autokonjunktur abhängig.
Fahrzeuge sind der größte deutsche Exportschlager. Mehr als drei Viertel der in Deutschland hergestellten Pkw werden exportiert: 2016 waren es gut 4,4 Millionen. Die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen summierten sich 2016 auf mehr als 228 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel der gesamten deutschen Exporten. Ein Großteil des Auslandsumsatzes wird in den EU-Ländern erwirtschaftet.
Weltweit investierte die deutsche Autoindustrie zuletzt fast 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE). Im Deutschland sind es knapp 22 Milliarden Euro, was mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben der heimischen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung entspricht. Mehr als 110.000 Mitarbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen beschäftigt. Von den weltweit 3000 Patenten zum autonomen Fahren entfallen etwa 58 Prozent auf deutsche Firmen.
Wegen dieser Gefahren ist die Aufgabe für den am Mittwoch stattfindenden Dieselgipfel klar: Das Vertrauen in die deutsche Autoindustrie muss wiederhergestellt werden. Eine Priorität der Teilnehmer wird es deshalb sein, Fahrverbote in den Innenstädten zu verhindern.
Gastgeber sind Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Unter den Gästen sind mehrere Ministerpräsidenten von Ländern mit starker Automobilindustrie. Dazu kommen die Vorstandsvorsitzenden von VW, Daimler, BMW, Opel und Ford sowie Vertreter des Verbands der Automobilindustrie und der Gewerkschaften. Ihnen allen ist die Brisanz des Themas bewusst.
Die Politik gibt sich deshalb im Voraus bestimmt: Den Vorschlag der Autoindustrie, die Diesel mit Softwareupdates zu versorgen und so die Abgasreinigung effizienter zu gestalten, lehnt Umweltministerin Hendricks ab. Selbst Verkehrsminister Dobrindt, der sich während des gesamten Skandals nicht gerade als riesiger Kritiker hervorgetan hat, erklärte die Autoindustrie habe „jetzt die verdammte Verantwortung“. Beide wollen stattdessen offiziell echte Nachrüstungen der Motoren. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, sollen sich Politik und Industrie jedoch bereits auf die Softwarelösung geeinigt haben. Stattdessen soll die Industrie 250 Millionen Euro in einen Fonds für Stickoxid geplagte Kommunen einzahlen. Genauso viel wie der Bund. Eine Nachrüstung der Dieselmotoren würde Kosten in Milliardenhöhe verursachen.
Vielleicht auch deshalb ist die Zeit für den eigentlichen Gipfel recht knapp bemessen. Nur zwei Stunden sind angesetzt, bis die Öffentlichkeit mit einer Pressekonferenz über die Ergebnisse informiert werden soll. Der 2. August 2017 mag den bisherigen Höhepunkt des Dieselskandals markieren, ob er auch die Wende bringen kann ist zumindest fraglich.