Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass die Stimmung auf dem „Nationalen Forum Diesel“ vergiftet war. Als Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zusammen mit den Länderchefs aus Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen im Bundesverkehrsministerium in Berlin vor die Presse traten, waren die Spannungen zwischen Politik und Wirtschaft weder zu überhören noch zu übersehen. Zuerst stellte die Politik ihre Sicht der Dinge dar. Danach kamen die Chefs der drei Konzerne Volkswagen, Daimler und BMW an die Reihe. Harmonie sieht anders aus.
Vor allem Hendricks brachte die Dissonanzen zwischen Autoindustrie und Politik auf den Punkt. Eine Erklärung des Automobilverbands sei „zu wenig von Demut geprägt“ gewesen, sagte sie. Die Gipfelergebnisse könnten „nur ein erster Aufschlag sein“. Es sei auch nicht „die Art der Selbstkritik“ gewesen, die sich Hendricks von der Vorzeigeindustrie in Deutschland vorstelle. Schließlich befände sich die gesamte Branche in einer Vertrauenskrise. Es bedürfe einer „neuen Verantwortungskultur“.
Hendricks Klartext-Worte zeigen, dass ein großer Wurf nicht heraus kommen konnte. Trotz der jahrelangen Tricksereien und Täuschungen vieler deutscher Autokonzerne schaltet die Wirtschaft auf Defensive und Verteidigung. Die Politik erreicht nur einen Minimalkonsens – sehr zum Nutzen der Industrie. Unterm Strich ist das sogar ein Arbeitssieg für die deutschen Autokonzerne.
Die Ergebnisse des Dieselgipfels in Kürze
Insgesamt sollen rund 5,3 Millionen Euro-5- und Euro-6-Diesel durch Updates der Motor-Software sauberer werden: 3,8 Millionen von Volkswagen, über 900.000 von Daimler, über 300.000 von BMW und weitere von Opel. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kritisierte aber, dass sich von ausländischen Herstellern nur wenige beteiligten. Bei VW sind knapp 2,5 Millionen Diesel, die schon im Pflicht-Rückruf sind, eingerechnet.
Der Stickoxid-Ausstoß der Fahrzeuge soll so im Schnitt um 25 bis 30 Prozent sinken, sagen die Hersteller - 30 Prozent müssen es sein, sagt Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD).
Die Autobauer versprechen, dass für die Autobesitzer keine Kosten entstehen und die Nachrüstung keinen Einfluss auf Motorleistung, Verbrauch und Lebensdauer haben wird.
Die Hersteller wollen Besitzer älterer Diesel - Euro-4 oder weniger - mit Prämien motivieren, neue Diesel oder E-Autos zu kaufen.
Ein Fonds „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“ im Umfang von 500 Millionen Euro soll den Stadtverkehr moderner und sauberer machen und individuelle Pläne für die 28 am stärksten betroffenen Regionen in Deutschland finanzieren. Bund und Hersteller zahlen in gleichen Teilen ein.
Förderprogramme werden aufgestockt, um den Umstieg auf E-Mobilität zum Beispiel bei Nutzfahrzeugen und Bussen zu beschleunigen und Rad- und Schienenverkehr voranzubringen - dafür kommt der Bund auf.
Expertenrunden sollen sich weiterhin mit dem Thema Nachrüstungen an den Motor-Bauteilen selbst, der Hardware, befassen.
So sollen die Unternehmen die Software updaten und in die Motorensteuerung einbauen. Das kostet pro Auto rund 60 Euro, in der Summe rund 500 Millionen Euro für alle deutschen Autobauer. Es sind vergleichsweise Peanuts für die Konzerne, die auch zu einer Nachrüstung von Hardware hätten verdonnert werden können. Der Einbau von AdBlue-Systemen für die Abgasnachbehandlung hätte sie pro Fahrzeug bis zu 1500 Euro gekostet. Umweltministerin Hendricks hatte zu so einer Lösung gedrängt.
Doch es bleibt beim Software-Update für Dieselautos mit Euro-6- und Euro-5-Motoren auf Kosten der Hersteller. Insgesamt werden mehr als fünf Millionen Diesel-Fahrzeuge umgerüstet, heißt es. Doch Moment: 2,5 Millionen Autos von VW sind da schon mit eingerechnet.
Auch die Ziele, auf die sich der Gipfel geeinigt hat, sind keine Daumenschrauben für die Hersteller, sondern eher Selbstverständlichkeiten. Ursprünglich war mal die Rede davon, dass die Unternehmen dafür sorgen müssten, dass die Autos 50 Prozent der Stickoxide (NOx) einsparen. Doch nun hat man sich auf eine Stickoxidreduzierung von „30 Prozent“ geeinigt. Doch das gilt nur für Euro5- und Euro6-Dieselmortoren.
Natürlich werden die Hersteller das als anspruchsvoll beklagen, aber in Wahrheit kommen sie vergleichsweise glimpflich davon. Denn wenn über ein Software-Update die Abgasreinigung verbessert werden kann, dann hätten die Hersteller das eigentlich von sich aus anbieten müssen - und nicht erst auf Druck der Politik. Der saubere Diesel ist doch angeblich eine deutsche Erfolgsgeschichte, heißt es.
Selbst der von Dobrindt ins Leben gerufene Fonds „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“ kommt den Autounternehmen zu Gute. 500 Millionen Euro schwer soll er sein. Die Hälfte zahlt der Bund, den Rest die Industrie. Der Fonds soll Projekte in Städten fördern, die etwa zum Ziel haben, Ampeln besser zu vernetzen und für grüne Wellen zu sorgen. Das senkt den Stickoxidverbrauch in der City und steigert die Attraktivität des Autos in der Innenstadt. Dass sich die Autoindustrie zur Hälfte daran beteiligt, ist keine Niederlage für die Branche, sondern erhöht sogar noch die Attraktivität von Autofahren bis in die Innenstadt.
Unternehmen müssen Reset-Knopf drücken
Außerdem haben sich die Beteiligten auf eine Kaufprämie für moderne Euro6-Diesel und Elektroautos geeinigt. Die bekommen all jene Autofahrer, die noch mit einer Dreckschleuder mit Euro-4-Motoren und älter herum fahren. Die Prämie zahlt ausschließlich die Industrie. Für die Unternehmen sei das „der Löwenanteil“ des Beitrages, den sie leisten, lobt VW-Chef Matthias Müller. BMW etwa zahlt 2000 Euro pro Kauf eines modernen Autos. Doch in Wahrheit dürfte das kaum mehr sein als der Rabatt beim Autokauf, den jeder kluge Verbraucher auch heute schon heraus handeln kann.
Fast alle deutsche Autohersteller haben das Vertrauen der Verbraucher und der Politik missbraucht. Unter dem Vorwand des Motorenschutzes haben sie die Abgasreinigung in vielen Fahrzeugen einfach abgeschaltet. Sie haben sich einer laxen Gesetzgebung in Europa bedient. In Wahrheit ging es den Unternehmen aber darum, den Harnstoff AdBlue für die Abgasnachbehandlung zu sparen und die Motoren leistungsfähiger zu machen. Mit Motorenschutz hatte das nichts zu tun. Angesichts dieser Vertrauenskrise, die die Industrie selber einräumt, wirken die Ergebnisse des Dieselgipfels allenfalls als mickriger Erste-Hilfe-Kasten.
Die Autobranche ist die wichtigste Industrie in Deutschland. Mehr als eine halbe Million Menschen sind dort beschäftigt. Doch das rechtfertigt nicht, dass die Politik nur milde mit den Unternehmen umgeht. Angenommen, die Tabakindustrie, die Kohleproduzenten oder die Schweinezüchterbranche hätte die Anwendung der Gesetze über das moralische Maß hinaus strapaziert, die Politik hätte sich wohl kaum mit einem Softwareupdate zufrieden gegeben.
Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) plädiert in einer offiziellen Stellungnahme für „eine Versachlichung der Debatte“. Denn neben „berechtigten Fragen und Kritikpunkten“ würden zunehmend „pauschale Vorwürfe gegenüber der Dieseltechnologie und der Industrie formuliert“. Lieber VDA: Es sind immer noch Hersteller wie Audi, VW, Porsche, Daimler und Opel, die noch nicht reinen Tisch gemacht haben. Man darf gespannt sein, was in den nächsten Wochen und Monaten noch so alles ans Tageslicht kommt. Und ob die Ergebnisse des Dieselgipfels Fahrverbote verhindern, bleibt auch noch abzuwarten.
Es ist Zeit, dass die Unternehmen den Reset-Knopf drücken. Die Zukunft fährt wahrscheinlich elektrisch und autonom. In der E-Mobilität setzt US-Hersteller Tesla Maßstäbe und deutsche Professoren-Startups treiben die behäbige Autoindustrie mit leichten E-Autos vor sich her. Noch immer hängt die deutsche Autoindustrie an Modellvarianten und Geschwindigkeit. Doch die Zukunft ist digital. Ein Bordsystem mit Netflix, Google Maps und WhatsApp im Auto dürfte vielleicht bald wichtiger sein als PS unter der Haube. Hier haben deutsche Unternehmen nichts zu bieten. Der Kauf des Kartenbetreibers Nokia Here ist da eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Der Dieselgipfel hätte noch schärfere Kontrollen und ehrgeizigere Grenzwerte (möglicherweise auch als Selbstverpflichtung) beschließen können. Und auch den Aufbruch in eine neue digitale Welt signalisieren können. Stattdessen hat er die Galgenfrist für die Dieseltechnologie verlängert. Richtig geholfen ist der Autoindustrie damit nicht.