Dieselgipfel Ergebnisse sind ein mickriger Erste-Hilfe-Kasten

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Unternehmen müssen Reset-Knopf drücken

Außerdem haben sich die Beteiligten auf eine Kaufprämie für moderne Euro6-Diesel und Elektroautos geeinigt. Die bekommen all jene Autofahrer, die noch mit einer Dreckschleuder mit Euro-4-Motoren und älter herum fahren. Die Prämie zahlt ausschließlich die Industrie. Für die Unternehmen sei das „der Löwenanteil“ des Beitrages, den sie leisten, lobt VW-Chef Matthias Müller. BMW etwa zahlt 2000 Euro pro Kauf eines modernen Autos. Doch in Wahrheit dürfte das kaum mehr sein als der Rabatt beim Autokauf, den jeder kluge Verbraucher auch heute schon heraus handeln kann.

Fast alle deutsche Autohersteller haben das Vertrauen der Verbraucher und der Politik missbraucht. Unter dem Vorwand des Motorenschutzes haben sie die Abgasreinigung in vielen Fahrzeugen einfach abgeschaltet. Sie haben sich einer laxen Gesetzgebung in Europa bedient. In Wahrheit ging es den Unternehmen aber darum, den Harnstoff AdBlue für die Abgasnachbehandlung zu sparen und die Motoren leistungsfähiger zu machen. Mit Motorenschutz hatte das nichts zu tun. Angesichts dieser Vertrauenskrise, die die Industrie selber einräumt, wirken die Ergebnisse des Dieselgipfels allenfalls als mickriger Erste-Hilfe-Kasten.

Die Autobranche ist die wichtigste Industrie in Deutschland. Mehr als eine halbe Million Menschen sind dort beschäftigt. Doch das rechtfertigt nicht, dass die Politik nur milde mit den Unternehmen umgeht. Angenommen, die Tabakindustrie, die Kohleproduzenten oder die Schweinezüchterbranche hätte die Anwendung der Gesetze über das moralische Maß hinaus strapaziert, die Politik hätte sich wohl kaum mit einem Softwareupdate zufrieden gegeben.

Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) plädiert in einer offiziellen Stellungnahme für „eine Versachlichung der Debatte“. Denn neben „berechtigten Fragen und Kritikpunkten“ würden zunehmend „pauschale Vorwürfe gegenüber der Dieseltechnologie und der Industrie formuliert“. Lieber VDA: Es sind immer noch Hersteller wie Audi, VW, Porsche, Daimler und Opel, die noch nicht reinen Tisch gemacht haben. Man darf gespannt sein, was in den nächsten Wochen und Monaten noch so alles ans Tageslicht kommt. Und ob die Ergebnisse des Dieselgipfels Fahrverbote verhindern, bleibt auch noch abzuwarten.

Es ist Zeit, dass die Unternehmen den Reset-Knopf drücken. Die Zukunft fährt wahrscheinlich elektrisch und autonom. In der E-Mobilität setzt US-Hersteller Tesla Maßstäbe und deutsche Professoren-Startups treiben die behäbige Autoindustrie mit leichten E-Autos vor sich her. Noch immer hängt die deutsche Autoindustrie an Modellvarianten und Geschwindigkeit. Doch die Zukunft ist digital. Ein Bordsystem mit Netflix, Google Maps und WhatsApp im Auto dürfte vielleicht bald wichtiger sein als PS unter der Haube. Hier haben deutsche Unternehmen nichts zu bieten. Der Kauf des Kartenbetreibers Nokia Here ist da eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Der Dieselgipfel hätte noch schärfere Kontrollen und ehrgeizigere Grenzwerte (möglicherweise auch als Selbstverpflichtung) beschließen können. Und auch den Aufbruch in eine neue digitale Welt signalisieren können. Stattdessen hat er die Galgenfrist für die Dieseltechnologie verlängert. Richtig geholfen ist der Autoindustrie damit nicht.

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