Dieselgipfel Wie aus einer Affäre eine Staatskrise wird

Der Dieselskandal bedroht nicht mehr nur allein Autobauer VW oder die Branche. Mittlerweile ist er ein gesamtdeutsches Problem. Der bevorstehende Dieselgipfel soll nun das Schlimmste verhindern.

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Längst geht es in Abgasaffäre nicht mehr nur um den Diesel. Quelle: dpa

Es ist das Ende eines Hoffnungsträgers: Der Dieselmotor, wegen der geringeren CO2-Emmissionen im Vergleich zum Benziner einst als Mittel der deutschen Autobauer gegen strengere Umweltauflagen und Brückentechnologie zur Elektromobilität gefeiert, hat die wichtigste deutsche Industrie in eine nie dagewesene Krise gestürzt – und droht dabei das ganze Land mitzuziehen.

Den Anfang vom Ende markiert der 18. September 2015. Ein Schicksalstag in der Geschichte der deutschen Automobilindustrie: Die amerikanische Umweltbehörde EPA macht ein Geständnis des VW-Konzerns öffentlich, das seitdem zu einem Dauerproblem der deutschen Autobauer geworden ist. Das Unternehmen habe eine Software entwickelt, mit der Grenzwerte für den Schadstoffausstoß der Dieselautos nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Auf der Straße werden sie um ein Vielfaches überschritten. Zunächst wirkt es nur wie ein Betrug des Volkswagenkonzerns. Schließlich wollten die Wolfsburger in den USA trotz strenger Schadstoff-Grenzwerte als in der EU flächendeckend einen Diesel anbieten. Tatsächlich haben die zwei darauf folgenden Jahre noch viel mehr zu Tage gefördert.

Die bisherige VW-Bilanz des Skandals: Konzernchef Müller musste seinen Posten räumen, Behörden mehrerer Länder ermitteln gegen das Unternehmen und die Kosten für Rückrufe und Strafen insbesondere in den USA schlagen mit mehreren Milliarden Euro zu Buche.

Doch dies ist längst nur noch die Spitze des Eisbergs. Die Affäre ist schon lange kein reines VW-Problem mehr. Auch andere Hersteller und Marken sind inzwischen betroffen: Insbesondere die Konzerntochter Audi rückt immer mehr in den Fokus. Ihre Ingenieure sollen schon zwei Jahre vor Bekanntwerden des Skandals vor der Manipulation gewarnt haben. Mit Porsche muss eine andere Konzerntochter 22.000 Wagen wegen der darin verbauten Audi-Motoren zurückrufen. Daimler schickt im Rahmen einer „freiwillige Serviceaktion“ europaweit über drei Millionen Mercedes-Benz-Pkw in die Werkstätten.

Fragen und Antworten zum Diesel-Gipfel

Einzig BMW konnte sich unter den deutschen Herstellern bisher weitestgehend ein Saubermann-Image bewahren, gerät aber durch die Berichte über ein mögliches Kartell der deutschen Autobauer ebenfalls unter Druck. Der Konzern soll hier eine führende Rolle bei der Abstimmung über die Größen der AdBlue-Tanks eingenommen haben. Jener Harnstofflösung, die die Abgase von Dieselmotoren reinigen kann, von der die Wagen aber viel zu wenig mitführen, um das im normalen Betrieb auch wirklich effektiv zu tun.

Der Skandal ist eine Gefahr für ganz Deutschland

Auch die deutsche Politik und die Behörden geben keine glanzvolle Figur ab. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist unter Druck geraten. Kritiker werfen ihm zu große Nähe zur Autoindustrie vor. Das dem Verkehrsministerium unterstellte Kraftfahrbundesamt soll einen Untersuchungsbericht mit den Autoherstellern abgestimmt haben.

Zusätzlich macht die zunehmende Verschmutzung der Innenstädte dem Diesel Druck. Aufspringend auf die Anti-Diesel-Stimmung in der Bundesrepublik hat die Deutsche Umwelthilfe in den vergangenen Monaten Fahrt aufgenommen, reihenweise deutsche Städte verklagt. Viele überschreiten die Grenzwerte für Stickoxide teilweise deutlich und so droht nun ausgerechnet in der Autostadt Stuttgart ein Fahrverbot für Diesel.

Keine andere Volkswirtschaft hängt so an seiner Autoindustrie wie Deutschland. Nicht nur emotional sondern vor allem ökonomisch. Zwischen Bayern und Schleswig-Holstein hängen 1,8 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Wohl der Autobranche ab. Geht es ihr schlecht, könnte das einen Dominoeffekt auslösen, der insbesondere die hochspezialisierten mittelständischen Zulieferer treffen würde.

So wichtig ist die Autoindustrie für Deutschland

Wegen dieser Gefahren ist die Aufgabe für den am Mittwoch stattfindenden Dieselgipfel klar: Das Vertrauen in die deutsche Autoindustrie muss wiederhergestellt werden. Eine Priorität der Teilnehmer wird es deshalb sein, Fahrverbote in den Innenstädten zu verhindern.

Gastgeber sind Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Unter den Gästen sind mehrere Ministerpräsidenten von Ländern mit starker Automobilindustrie. Dazu kommen die Vorstandsvorsitzenden von VW, Daimler, BMW, Opel und Ford sowie Vertreter des Verbands der Automobilindustrie und der Gewerkschaften. Ihnen allen ist die Brisanz des Themas bewusst.

Die Politik gibt sich deshalb im Voraus bestimmt: Den Vorschlag der Autoindustrie, die Diesel mit Softwareupdates zu versorgen und so die Abgasreinigung effizienter zu gestalten, lehnt Umweltministerin Hendricks ab. Selbst Verkehrsminister Dobrindt, der sich während des gesamten Skandals nicht gerade als riesiger Kritiker hervorgetan hat, erklärte die Autoindustrie habe „jetzt die verdammte Verantwortung“.  Beide wollen stattdessen offiziell echte Nachrüstungen der Motoren. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, sollen sich Politik und Industrie jedoch bereits auf die Softwarelösung geeinigt haben. Stattdessen soll die Industrie 250 Millionen Euro in einen Fonds für Stickoxid geplagte Kommunen einzahlen. Genauso viel wie der Bund. Eine Nachrüstung der Dieselmotoren würde Kosten in Milliardenhöhe verursachen.

Vielleicht auch deshalb ist die Zeit für den eigentlichen Gipfel recht knapp bemessen. Nur zwei Stunden sind angesetzt, bis die Öffentlichkeit mit einer Pressekonferenz über die Ergebnisse informiert werden soll. Der 2. August 2017 mag den bisherigen Höhepunkt des Dieselskandals markieren, ob er auch die Wende bringen kann ist zumindest fraglich.

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