„Doppelt so lang schwätzen, halb so viel verdienen“ Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen

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E-Auto: „VW hat versäumt, seine Händler und Verkäufer mitzunehmen“

Die Schuld sieht Greenpeace aber nicht bei den Händlern allein. Der Konzern gebe ihnen unzureichende Anreize, um mehr ID.3 oder andere E-Modelle zu verkaufen. Tatsächlich hat VW für den ID.3 ein neues Vertriebssystem eingeführt: Volkswagen ist direkter Vertragspartner der Kunden, die Händler fungieren nur noch als Agenten. Sie beraten, führen Probefahrten durch und wickeln die Auslieferung ab. Die selbstständigen Händler müssen die Fahrzeuge nicht mehr vorfinanzieren, sie tragen also weniger finanzielle Risiken als im traditionellen Vertrieb. VW sagt auf Nachfrage der WirtschaftsWoche: „Das (Agenturmodell) bietet uns die Möglichkeit, eine besonders hohe Preisstabilität (...) beim ID.3 sicherzustellen. Das ist wiederum die Grundlage für eine gesicherte und angemessene Provision für unsere Handelspartner.“

Was fair klinge, habe aber Nachteile für die Händler, so Greenpeace. Denn während die Grundmarge bei Verbrenner-Modellen nach Informationen aus Händlerkreisen bei 16 bis 18 Prozent liegt, beträgt sie bei den ID-Modellen nur 6 Prozent. VW wollte diese konkrete Zahl weder bestätigen noch dementieren. Die Händler können also – anders als bei einem Auto mit Diesel-, Benzinmotor oder auch einem Plugin-Hybrid –  kaum eigene Rabatte gewähren, wollen sie mit dem Verkauf der Autos noch Geld verdienen. „Das ist ein klares Ungleichgewicht, das Unentschlossene oft zum ‚Schnäppchen“ Verbrenner treibt“, sagt Gehrs.

Händler und Verkäufer bestätigen dies gegenüber der WirtschaftsWoche. Sie stellen zudem fest, dass bei den E-Autos der Beratungsaufwand viel höher sei als bei einem klassischen Auto. Die meisten beziffern ihn auf rund das Doppelte, was den Anreiz für viele Verkäufer weiter schmälert. „Wir wären bei der Elektromobilität schon viel weiter, wenn es ein System gäbe, das Händler und Verkäufer belohnt, die E-Autos verkaufen. Stattdessen ist es umgekehrt: doppelt so viel reden, halb so viel verdienen“, sagt Wolf Warncke, Geschäftsführer des Autohauses Warncke in der Nähe von Bremen.



Neben der Grundmarge sind die Händler vor allem auf das Servicegeschäft sowie auf Bonuszahlungen aus Wolfsburg angewiesen. Boni gibt es etwa, wenn eine bestimmte Menge an Autos oder auch spezielle Ausstattungen verkauft wurden oder Vorführwagen abgenommen wurden. Nach Informationen aus Händlerkreisen gibt es bei VW jedoch weder eine zu erfüllende E-Auto-Quote, noch einen Bonus, der speziell auf den Verkauf von E-Autos oder auch nur den Verkauf von Autos mit niedrigem CO2-Ausstoß abzielt. VW bestätigte das der WirtschaftsWoche indirekt: „E-Fahrzeuge oder Verbrenner haben keinen speziellen Bestandteil in der Bonusregelung, sondern werden gleichwertig behandelt." 

Für die meisten Verkäufer sei zudem die Bruttoertragsprovision der wichtigste Bestandteil ihrer Vergütung, so Greenpeace, also ein Teil der Differenz zwischen Verkaufserlös und Anschaffungskosten. Schätzungen von Händlern gehen davon aus, dass rund drei Viertel der VW-Betriebe mit Bruttoertragsprovisionen arbeiten. Sie würden durch das Agenturmodell bei den E-Autos benachteiligt, so der Report: Während sie bei Verbrennern mit Verhandlungsgeschick eine hohe Vergütung erreichen können, entfällt diese Möglichkeit bei den ID-Modellen - es fehlt die Aussicht auf einen besonders guten Abschluss.

Rabatte auf Diesel

VW hat viele Möglichkeiten, um den Verkauf einzelner Modelle zu befördern. Werbekostenzuschüsse, Boni für den Verkauf einer bestimmten Anzahl Autos eines Modells, Anpassung der Leasingfaktoren. „Doch trotz mäßiger Vertriebserfolge hat der Hersteller beim ID.3 davon bislang kaum Gebrauch gemacht“, sagt Greenpeace-Mobilitätsexperte Gehrs. Stattdessen förderte VW noch gezielt den Verkauf von Diesel und Benzinern, den von Plugins sowieso. Vom 22. Juni bis zum 30. September etwa erließ VW bei seiner Initiative „Deutschland startet durch“ privaten  Kunden beim Neuwagenkauf von VW-Dieseln und Benziner die gesamten 16 Prozent Mehrwertsteuer. 

Ausgenommen von der Aktion waren nur die E-Autos e-Up und ID.3. Zum Bestellstart der Plug-in-Hybrid-Varianten des Golf (GTE und eHybrid) im Sommer legte VW dann eine Sonderleasing-Aktion auf. Leasing-Angebote starteten bereits bei unter 100 Euro im Monat. Ähnlich günstige Angebote gibt es für den ID.3 nicht, er ist nicht unter 199 Euro im Monat zu leasen. „Tausende Leasingnehmer, die eines der zahlreichen Schnäppchen-Angebote annahmen, sind für den Leasingzeitraum von meist drei Jahren als ID.3-Kunden nun verloren“, sagt Gehrs.

VW sieht das naturgemäß anders: „Die von Ihnen genannte Aktion im Handel hatte das Ziel, auch (für) hocheffiziente Hybride und Verbrenner zusätzliche Käufer zu gewinnen (...) - neben denen, die sich für ein BEV-Fahrzeug interessieren. Die Aktion wurde vor der Markteinführung des ID3 durchgeführt.“ Man glaube nicht, dass Interessenten eines ID.3 dadurch vom Kauf abgehalten wurden.

Ahnungsloses Personal

Das wichtigste Instrument für eine Beschleunigung der ID-Verkäufe käme VW nicht teuer: Eine umfangreiche Schulung der Vertriebspartner, damit diese zur Elektromobilität beraten können, würde genügen. Doch Händler und Verkäufer berichten, dass bisherige Schulungen oberflächlich waren und zu wenig auf die Vorteile von Elektromobilität gegenüber Verbrennern und Plug-in-Hybriden sowie auf kritische Kundenfragen eingingen.

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Ein Verkäufer in dem von Greenpeace durchgeführten Test erklärte, er könne den ID.3 nur bis zu einer Jahresfahrleistung von 15.000 Kilometern „mit gutem Gewissen empfehlen“, länger mache das der Akku wohl nicht mit. Ein anderer erklärte dem potenziellen Kunden, er halte den Verkauf von E-Autos generell für verfrüht. Erst in fünf Jahren sei die Infrastruktur gut genug ausgebaut. Außerdem brauche man beim ID.3 „sehr viel Vertrauen in die Elektronik“. Ein weiterer Verkäufer zählte lieber die Nachteile des ID.3 auf: hohes Gewicht, zu teuer, Ressourcenaufwand. Zudem erklärte er, dass bei der Rohstoffgewinnung auch “Kinderarbeit im Spiel“ sei.

Als die Testkäufer nach diesem und anderen Elektroauto-Mythen fragten, etwa dem angeblich kollabierenden Stromnetz bei zu vielen E-Autos oder einer vermeintlich großen Brandgefahr, wurde im Schnitt jede zweite Frage falsch beantwortet. Nur jeder zehnte Verkäufer wusste, wie viele öffentlich zugängliche Ladestationen es in Deutschland ungefähr gibt. Etwa die Hälfte wusste, ob man mit dem ID.3 100 Kilometer weit fahren kann, wenn man ihn zuvor zwölf Stunden an der Haushaltssteckdose hatte.

VW Händler Warncke wundern solche Aussagen nicht, er hat sie auf Regionaltreffen mit anderen norddeutschen VW-Händlern schließlich selber oft „beim Hotelfrückstück gehört“, sagt er. „Als Verkäufer kann man nur glaubhaft empfehlen, wovon man überzeugt ist. Leider hat VW bisher versäumt, seine Händler und Verkäufer mitzunehmen. Einige haben sich vermutlich auch nicht mitnehmen lassen wollen.“ 

Mehr zum Thema: Klimabilanz von Elektroautos? Vorsicht, Fake-News! Elektroautos sind besser fürs Klima als Benziner und Diesel? Alles nur ein Rechenfehler, behaupten 170 Wissenschaftler aus aller Welt. An dieser Meldung stimmt allerdings nicht viel.

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