„Doppelt so lang schwätzen, halb so viel verdienen“ Warum VW-Händler keine E-Autos verkaufen wollen

Der erste rein elektrische Volkswagen, der ID.3, soll VW helfen, seine hohen CO2 Emissionen zu senken. Doch bislang läuft der Verkauf schleppend. Quelle: imago images

VW-Chef Herbert Diess hat einen klaren Kurs zu mehr Elektroautos ausgegeben. Doch die Händler ziehen nicht mit – und raten Kunden sogar meist von E-Autos ab. Woran das liegt und was Volkswagen dazu sagt.

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Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2020 bei der WirtschaftsWoche. Einen aktuellen Bericht zu Volkswagens Elektro-Strategie lesen Sie hier.

VW ist nicht irgendein Autokonzern. Vorstandschef Herbert Diess hat sich öffentlich zum Vorkämpfer der Branche im Klimaschutz gemacht. Er ließ ausrechnen, dass allein VW für 436 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) weltweit pro Jahr verantwortlich ist – ein Prozent dessen, was die Menschheit insgesamt pro Jahr in die Atmosphäre bläst. Diess will den weltweit größten Autobauer nun radikal umbauen: vom Verursacher eines der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegszeit, des Dieselskandals, zum Umweltprimus. 2050 soll Volkswagen ganz klimaneutral sein. 

Für Diess ist klar: Das geht nur mit Elektroautos – sehr vielen Elektroautos. Wie kein anderer traditioneller Massenhersteller forciert er die Antriebswende. Und nimmt viel Geld in die Hand: Allein bis 2024 will Volkswagen rund  35 Milliarden Euro in Elektroautos investieren. Dafür legt sich Diess auch mit dem eigenen Verband der Automobilwirtschaft (VDA) an. Mit den neuen, strengeren CO2-Zielen und Abgasnormen der Europäischen Union (EU) hadern manche Konkurrenten und Zulieferer dort, sprechen von einem „Angriff“ Brüssels auf die deutsche Herzensindustrie.  Nicht so der VW-Boss. Er fordert einen höheren CO2-Preis, noch strengere Abgasregeln und ein Ende des Dieselprivilegs.

Greenpeace-Report erhebt heikle Vorwürfe

Einigen im VW-Konzern geht Diess' Elektrowende zu schnell. Eine Untersuchung der Umweltschutzorganisation Greenpeace, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, zeigt nun: Der Einfluss der Bremser dürfte viel weiter gehen, als es dem VW-Chef lieb ist. VW, so der Vorwurf, könnte viel mehr tun, den Absatz seiner neuen E-Autos zu fördern. Teilweise unterminiere VW den Verkauf der eigenen Elektroautos sogar. 

Tatsächlich hatte der erste als reines Elektroauto konzipierte Volkswagen, der ID.3, im Herbst einen verhaltenen Start. Das Auto, das in der unteren Mittelklasse mit günstigeren Preisen als etwa die Modelle des Elektropioniers Tesla die „Elektromobilität für alle“, wie Diess das nennt, bringen soll, ist noch kein Kassenschlager. 37.000 Bestellungen meldete VW Ende Oktober 2020 für den ID.3. Zum Vergleich: Tesla hatte im Frühjahr 2016 für sein Model 3 binnen weniger Wochen mehr als 400.000 Vorbestellungen in den Büchern.

Seit September wird der Elektro-VW, der einmal den millionenfach verkauften Golf ablösen soll, ausgeliefert. 7349 ID.3 wurden bis einschließlich Ende November in Deutschland zugelassen. Davon sind nach Schätzungen von Branchenkennern aber gut 3000 Eigen- und Händlerzulassungen. Vom Evergreen Golf verkaufte der Wolfsburger Konzern allein im November 10.515 Stück, davon hatten nur 1941 einen Elektroantrieb.

CO2-Flottenziele wohl knapp verfehlt

Dabei könnte VW,  behauptet Greenpeace, viel mehr E-Autos verkaufen, wenn es wollte. Unbestritten ist, dass der Verkaufsstart des ID.3 im Sommer durch Softwareprobleme gebremst wurde – einen Umstand, den sich das VW Management sicher nicht gewünscht hat. Doch Greenpeace sagt, der tiefere Grund für die schwachen ID.3-Verkäufe sei ein anderer: die CO2-Flottenziele der EU. Die wolle VW – wie übrigens auch fast alle anderen Hersteller – nur so eben erfüllen, nicht aber unterschreiten. Denn das Geld, so Benjamin Gehrs, Mobilitätsexperte bei Greenpeace und der Hauptautor des Reports, werde nach wie vor mit Autos mit Verbrennungsmotor verdient.

Für 2020 liegt der durchschnittliche Flottengrenzwert aller Hersteller für in der EU verkaufte Neuwagen bei 95 Gramm CO2 je Kilometer (km). Je nach Gewicht ihrer Modelle ist der individuelle EU-Grenzwert für einige Hersteller höher, für andere niedriger. VW darf 2020 im Schnitt konkret 97 Gramm CO2 je km und verkauftes Auto ausstoßen. Verfehlen die Hersteller ihren Zielwert, werden für 2020 erstmals empfindliche Strafzahlungen fällig, nachdem die EU 2017 bis 2019 noch ein Auge zugedrückt hatte, wird es ab nun teuer: 95 Euro pro Gramm je km und verkauftem Auto.

VW liegt nach Branchen-Schätzungen derzeit bei 102 Gramm, dürfte aber durch mehr Plugin-Hybride, die mit 50 Gramm CO2 je km angerechnet werden dürfen, bis Ende Jahr noch auf 98 Gramm kommen. Das deckt sich mit jüngsten Äußerungen von Diess, der zuletzt von einer knappen Verfehlung um etwa ein Gramm sprach. Konkret würde das VW rund 250 Millionen Euro Strafe für 2020 kosten.  Obwohl also durchaus schmerzhafte Bußen drohten, wolle VW ­nicht mehr Elektroautos verkaufen als unbedingt nötig, so die Greenpeace-Autoren. Denn mit Verbrennern lasse sich noch immer mehr Geld verdienen als mit reinen E-Autos. Schuld seien die derzeit noch höheren Produktions- und Rohstoffkosten für die Stromer.

VW bestätigt auf Nachfrage der WirtschaftsWoche, dass die eigenen Elektroautos derzeit noch weniger Gewinn abwerfen als die Verbrenner: "Die Profitabilität von E-Autos wird in der Anfangsphase unter der von Verbrennern liegen.“ Genaue Zahlen könne man aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Volkswagen habe seine Elektro-Offensive deshalb auf hohe Volumen, Skalenerträge und Effizienz ausgelegt, um die Profitabilität zu steigern. „Spätestens 2025“ wolle das Unternehmen „Weltmarktführer in der E-Mobilität werden“.

Herbert Diess selbst gab sich Anfang Dezember im Gespräch mit der WirtschaftsWoche selbstkritisch: „Auch VW hat relativ spät begonnen, seine Flotte umzustellen – obwohl die gesamte Branche wusste, dass die Flottenziele kommen würden.“ Bis 2025 seien für die Autohersteller aber keine „großen Sprünge bei Emissionseinsparungen drin“, so Diess, weil nicht genügend neue Batteriefabriken gebaut werden könnten. „Zwischen 2025 und 2030 dagegen könnten wir noch zulegen.“

Auch unabhängige Experten sehen diesen Vorwurf skeptisch. Eine Punktlandung bei den Flottenzielen sei „nicht realistisch planbar, das weiß auch das VW-Management“, sagt Peter Mock, Büroleiter Berlin des multinationalen Thinktanks ICCT, dessen Washingtoner Zweig 2015 an der Aufdeckung des VW-Dieselskandals beteiligt war. Dagegen sprächen auch die hohen Investitionen in den Umbau zahlreicher VW-Werke und in die Batteriefertigung. „Da müssen auch die entsprechenden Stückzahlen an Elektroautos vom Band laufen, damit sich das rechnet. Und die sind sicherlich langfristig sechsstellig“, sagt Mock. Konkret wird VW allein bis 2024 mehr als 35 Milliarden Euro in die Elektrifizierung seiner Flotte investieren.

Greenpeace bleibt dennoch bei seinem Vorwurf.  Und liefert weitere Argumente: Für 2020, das erste Jahr, in dem das 95-Gramm-Ziel gilt, haben Autolobbyisten in Brüssel eine weiche Übergangsregel ausgehandelt. In der Berechnung des Flottenverbrauchs dürfen sie die spritdurstigsten fünf Prozent ihrer Neuwagen pauschal streichen. Von 2021 an geht das nicht mehr, weshalb es dann schwerer wird, das Ziel zu erreichen. Jedes Elektroauto, das nicht mehr 2020, sondern erst 2021 verkauft werde, leiste so einen „besonders wertvollen Beitrag, das schwer erreichbare Ziel 2021 zu meistern“, sagt Gehrs. Außerdem werde von 2021 an erstmals durchgehend nach dem strengeren Prüfzyklus WLTP statt NEFZ gerechnet.

Händler ziehen nicht mit

Wie viele E-Autos man verkaufe, hänge zudem nicht nur von der Konzernplanung, sondern auch von den weitgehend eigenständigen Händlern und nicht zuletzt den Kunden ab, sagt Mock vom ICCT. Doch gerade die Händler scheinen ein ernstes Problem für Diess' Umbaupläne zu sein. Greenpeace hat diesen November 56 Testkäufer in insgesamt 50 VW-Autohäuser in 38 Städten quer durch Deutschland geschickt. Sie haben sich in den Verkaufsgesprächen als ideale Käufer des rein elektrischen ID.3 ausgegeben. Trotzdem sei der Kompaktwagen nur in einem von 25 Fällen empfohlen worden, wenn die Interessenten zu Beginn keine Präferenz äußerten. Auch wenn die Testpersonen den ID.3 schon explizit in Erwägung zogen und „zwischen dem Elektro ID.3 und einem herkömmlichen Golf“ schwankten, wurde der Stromer nur in 7 von 25 Fällen empfohlen. Meist rieten die Verkäufer sogar explizit nicht nur vom Kauf des ID.3 ab; sie äußerten „grundsätzliche Zweifel an der Elektromobilität“, so Gehrs.

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