DriveNow vs. Car2Go BMW hat bei Carsharing die Nase vorne

Bisher unbekannte Zahlen beweisen: Carsharing-Angebote wie Car2Go und DriveNow werden für die Autokonzerne langsam zum Geschäft - und derzeit ist BMW auf der Pole Position.

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Carsharing hat sich in vielen deutschen Städten etabliert. Nun denken die Unternehmen an Expansion. Quelle: Fotolia

Thomas Beermann hat den Kleinsten – und sieht darin riesige Chancen. Der 47-Jährige ist Europa-Chef von Car2Go, der Carsharing-Tochter des Stuttgarter Autokonzerns Daimler und des Mietwagenriesen Europcar. Das Gemeinschaftsunternehmen aus der Nähe von Stuttgart hat 11.000 Smarts auf der Straße. Noch haben die Zweisitzer einen Wendekreis von neun Metern, das neue Modell, das ab 2015 zum Einsatz kommt, braucht zwei Meter weniger. „Dieser Wendekreis ist grandios“, sagt Beermann. „Das macht die Nutzung in der Stadt noch besser.“

Vor rund einem halben Jahrzehnt von den Autobauern entdeckt, steht der Wettbewerb im Carsharing vor einer neuen Runde. Ob Car2Go, Multicity – die Elektroautoflotte der französischen Automarke Citroën – oder DriveNow, der Carsharing-Ableger von BMW und dem Autovermieter Sixt: Die Idee, sich ein Auto zu teilen, ist endgültig aus der Ökoecke heraus. Dort war das Konzept jahrelang wie festgenagelt, weil das geliehene Auto an der Ursprungsstation zurückgegeben werden musste.

Doch ist das neue Carsharing, bei dem das Auto überall abgestellt werden kann, überhaupt ein Geschäft oder eher ein Marketinginstrument, um wenig autoaffine Städter für sich zu gewinnen? Lässt sich damit Geld verdienen? Und wie geht es weiter?

Break-Even überschritten

Die Antwort gibt eine bisher unveröffentlichte Studie der auf Mobilität spezialisierten Hamburger Strategieberatung Civity. Danach hat Carsharing seine Nische im städtischen Nahverkehr gefunden. Beim Kampf um die Marktführerschaft stehen sich Daimler und BMW gegenüber. Für die Konzerne ist Carsharing nicht nur Marketing, sondern auch Geschäft.

„Nach 24 bis 36 Monaten erreichen wir den Break-Even“, sagt Car2Go-Manager Beermann. Je länger ein Carsharing-System das Stadtbild präge, desto besser seien die Zahlen. Konkurrent BMW, der zwei Jahre nach Daimler einstieg, behauptet Ähnliches. „Wir haben mit DriveNow die operative Gewinnschwelle auf Monatsbasis überschritten“, sagt Geschäftsführer Nico Gabriel. „Unseren Mutterkonzernen haben wir gezeigt, dass wir mit dem Thema Geld verdienen können.“

Der Markt steht erst am Anfang. „Den Unternehmen ist es gelungen, ein neues Mobilitätsprodukt zu schaffen und zusätzliche Erlösströme zu generieren“, sagt Civity-Partner und Studienautor Stefan Weigele, die Alternative zum Taxi oder zum eigenen Auto wird zum globalen Massenmarkt. Für 2020 errechnen die Berater weltweit ein Umsatzpotenzial von bis zu 1,4 Milliarden Euro. Die Anzahl der Systeme müsste sich dazu von heute 30 auf rund 140 nahezu verfünffachen. Aktuell hat Daimler mit Car2Go die Nase klar vorn. Die Schwaben sind in 26 Städten rund um den Globus unterwegs. BMW beschränkt sich mit DriveNow auf sechs Städte. Die vorsichtige Gangart zahlt sich aus: Laut Civity liegt BMW bei den Erlösen vorn.

Effektive tägliche Nutzung eines Carsharing-Fahrzeugs

Die Experten haben ein Jahr lang die öffentlich zugänglichen Daten über die Standorte der Autos auf den Carsharing-Internet-Seiten gescannt und daraus Ausleihzeiten und Fahrtwege errechnet. Das Ergebnis: „DriveNow ist das erfolgreichere Angebot“, sagt Civity-Berater Weigele.

Wie viel Freude die Konzerne am Carsharing haben, zeigt sich in Berlin, wo laut Civity weltweit jeder vierte Umsatz-Euro erwirtschaftet wird. Mehr als 2000 Fahrzeuge werden hier zur Kurzzeitmiete angeboten. Die Hauptstädter nutzen sie vor allem für Kiez-Touren und Fahrten zwischen den Trendvierteln Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg.

Geheime Rabatte

Dabei gelingt es BMW offenbar besser als Daimler, die 650 Fahrzeuge auszulasten. DriveNow-Fahrzeuge rollen im Schnitt 78 Minuten pro Tag durch die Stadt, die Stuttgarter kommen auf 62 Minuten. Weit abgeschlagen ist Multicity mit nur 26 Minuten. Mögliche Gründe für den Rückstand: Die Franzosen, die mit der Deutschen Bahn kooperieren, haben mit 370 Elektroautos eine kleinere Flotte als DriveNow und Car2Go, viele Kunden verzichten auf die dritte Option.

Das Erstaunliche an der Civity-Analyse: Obwohl die Autos rund 23 Stunden am Tag ungenutzt herumstehen, reicht das offenbar annähernd zur Kostendeckung – behaupten zumindest Daimler und BMW. Beide sehen sich in Berlin auf gutem Weg ins operative Plus, obwohl DriveNow bei einem Minutenpreis von 31 Cent im Schnitt nur 24 Euro pro Tag und Fahrzeug erlöst, Car2Go sogar nur 18 Euro. Auch in anderen Städten erlösen die Bayern mehr als Car2Go, wenngleich alle Unternehmen dort von den Berliner Spitzenwerten weit entfernt sind.

Im Zweikampf mit Car2Go sehen die Experten von Civity das DriveNow-System aus drei Gründen vorn:

Kleineres Einzugsgebiet: Nicht nur in Berlin, auch in den anderen Städten ziehen die Bayern einen engen Kreis um die Innenstadt, in dem die Fahrzeuge abgeholt und abgestellt werden können. Im Schnitt 88 Quadratkilometer groß ist das Einzugsgebiet von DriveNow, rund ein Drittel weniger als bei Car2Go. „DriveNow konzentriert sich auf dicht besiedelte Milieu-Stadtteile und erschließt so relevante Zielgruppen besser“, sagt Weigele. „Das spiegelt sich automatisch in der höheren Auslastung wider.“

Geräumigere Autos: In die Autos von DriveNow passen vier, in die von Car2Go nur zwei Leute. „Die Bayern profitieren aber offensichtlich auch davon, dass sie hochwertigere und attraktivere Modelle anbieten“, vermutet Weigele. BMW und Sixt schicken zu 60 Prozent Mini auf die Straße, der Rest entfällt auf 1er-BMW. Zwischen April und Oktober wird auch das Mini Cabrio angeboten, für 34 statt 31 Cent pro Minute. Das motiviert die Kundschaft offenbar zusätzlich.

Jüngere Modelle: Die Smart von Car2Go haben oft schon einige Betriebsjahre auf dem Kühler, das Navigationssystem ist veraltet. „Wir optimieren das zwar ständig“, sagt Car2Go-Manager Beermann, aber „wir werden auch über kürzere Haltedauern nachdenken“. Ursprünglich wollte die Daimler-Tochter die Smart vier Jahre in der Flotte halten, inzwischen gelten drei Jahre als Maximum. DriveNow gibt die Autos nach zehn bis zwölf Monaten zurück.

Durchschnittlicher Erlös pro Carsharing-Fahrzeug

Unklar bleibt, zu welchen Konditionen die Unternehmen die Autos finanzieren – eine wichtige Stellschraube im Kampf um Profitabilität. Während die Stuttgarter ihren Vorteil darin sehen, den Wertverlust der Autos im ersten Jahr durch eine möglichst lange Haltedauer zu kompensieren, minimieren die Münchner finanzielle Risiken: „Wir haben eine Leasingrate, mit der wir klar kalkulieren können“, sagt Gabriel.

Geplante Erweiterungen

Für die Autohersteller sind die Carsharing-Töchter ein wichtiges Marketinginstrument: Wer mal einen Smart, Mini oder 1er-BMW geliehen hat, kauft sich womöglich irgendwann auch so ein Modell. Und sie bringen Umsatz: Zum Listenpreis von 10.000 Euro pro Fahrzeug würden die 11.000 Car2Go-Smart 110 Millionen Euro bringen. Abzüglich der beträchtlichen Rabatte, deren genaue Höhe aber geheim ist.

Dafür ist Wachstum garantiert: „Bis 2020 werden wir weltweit in 40 bis 50 weiteren Städten an den Start gehen“, sagt Car2Go-Europa-Chef Beermann, drei Mal so viele wie heute. Sein Umsatzziel: eine Milliarde Euro. Auch BMW setzt auf Expansion, aber langsamer. „Unser Ziel in den kommenden Jahren: bis zu 15 europäische und 10 amerikanische Metropolen“, kündigt Gabriel an. Dicke Gewinne wird Carsharing auf Dauer aber nur abwerfen, wenn die Betreiber nicht nur expandieren, sondern gleichzeitig Nutzerzahl und Auslastung erhöhen sowie zusätzliche Erlöse durch Extra-Angebote erzielen. Car2Go und DriveNow steigerten den Umsatz, indem sie ihren Kunden in einigen Städten erlaubten, die Autos auch außerhalb des City-Bereichs, etwa am Flughafen, abzustellen.

Freier Eintritt in die Therme

Car2Go bietet in Berlin und Hamburg neben Smart auch die Mercedes B-Klasse an. Die 100 schwarzen Limousinen kosten zehn Euro pro Stunde und 49 Euro pro Tag – inklusive Benzin. Bei der Offerte „Car2Go Black“ werden dann ab Kilometer 51 zusätzlich 29 Cent pro Kilometer fällig. Der Vorteil: Die Autos können auf festen Parkspots abgestellt werden, die Parkplatzsuche entfällt. Auch einfache Fahrten zwischen Hamburg und Berlin sind möglich. Car2Go attackiert damit die Autovermieter.

Die erfolgreichsten Städte im Carsharing

Das nächste Schmankerl der Carsharing-Anbieter könnten Fahrten ins Umland werden. Die Möglichkeit, für acht Euro extra zwischen Köln und Düsseldorf zu pendeln, hat laut DriveNow auch Kunden über 45 Jahre überzeugt. Jetzt wollen die Bayern die Auslastung weiter erhöhen, indem sie ihre Kunden zu Tagesausflügen animieren: in Köln oder Düsseldorf zum Wasserski, in Hamburg zum Outlet-Center oder in München in die Therme – jeweils mit Gutschein für Eintritt oder Einkauf.

Die Ausflugsidee ist nur eine von vielen, an denen die Konzerne arbeiten. Wer mit DriveNow zum Beispiel zum Shopping zu Rewe fährt, erhält bis zu zehn freie Parkminuten sowie fünf Prozent Rabatt auf den Einkauf. „Solche Pakete sind noch kein riesiger Hebel“, sagt BMW-Manager Gabriel, „aber da ist noch viel Zukunftsmusik drin.“

Bleibt die Frage, wie die Städte auf die neuen Autoflotten reagieren. Denn von deren Verwaltungen hängt der langfristige Erfolg des Carsharings ab, bei dem der Kunde sein Auto nach Belieben in der City abstellen kann. Nicht überall treffen die Unternehmen damit auf Gegenliebe. In London erlebte Car2Go ein Debakel, nach nur 18 Monaten zog sich die Daimler-Tochter in diesem Jahr aus der britischen Hauptstadt zurück – wegen „administrativer Hürden“, wie Beermann formuliert. Alle 32 Stadtbezirke haben einen eigenen Bürgermeister, was beim Aufbau eines einheitlichen Parkraums zu Problemen geführt habe. „Wir mussten mit jedem einzelnen Stadtteil verhandeln – und wir hatten Ende 2013 nicht genügend Innenstadt-Bezirke beisammen.“ Auch in Deutschland gibt es Bremser in den Städten. München etwa deckelt die Zahl der Fahrzeuge pro Anbieter auf 500 und limitiert das Freiparken in Anwohnergebieten.

Ist die Nachhaltigkeit ein Thema?

Ohne das Wohlwollen der Behörden geht aber nichts. „Wir haben bewiesen, dass wir nachhaltig arbeiten und erste Entlastungseffekte bringen können“, sagt DriveNow-Chef Gabriel, „nun sollten die Städte entscheiden, ob und inwieweit sie das Carsharing weiter fördern und ausbauen wollen.“ Sinnvoll wäre es etwa, die Parkgebühren zu senken oder Park-Einschränkungen aufzuheben, sagt Gabriel.

Zweifel an Nachhaltigkeit

Streit ist auch aus einem anderen Grund programmiert. Denn die Civity-Studie weckt Zweifel am ökologischen Nutzen. Carsharing mit der Möglichkeit, Fahrzeuge nach Belieben abzustellen, sei „größtenteils motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich“, sagt Autor Weigele. „50 Prozent der Fahrten sind kürzer als fünf Kilometer.“ Die Autos entzögen damit dem Taxigewerbe und den Bus- und Bahnbetrieben teilweise Kundschaft. Radfahrer steigen plötzlich wieder ins Auto.

Doch der Markt ist noch jung, niemand weiß, ob Großstädter womöglich bereit wären, den Zweit- oder sogar den Erstwagen abzuschaffen oder wenigstens stehen zu lassen. „Was machen wir, wenn bei 1000 zur Verfügung gestellten Carsharing-Fahrzeugen 3000 oder 6000 Stellplätze frei werden, weil Haushalte das tun, was sie bei unseren Untersuchungen bislang angeben, nämlich zu einem nicht geringen Teil ihr Privatfahrzeug verkaufen?“, fragt Münchens Verkehrsstrategie-Chef Schreiner. Zusätzliche Radwege könnten Kritiker des flexiblen Carsharings überzeugen.

Was staatliche Regulierung beim Carsharing vermag, zeigt das Beispiel Mailand, wo die Stadtverwaltung eine Innenstadt-Maut erhebt. Nirgendwo konnte die Daimler-Tochter innerhalb eines Jahres mehr Kunden gewinnen als in der norditalienischen Finanzmetropole. Ein „gigantisches Wachstum“, freut sich Manager Beermann. „Die Kunden haben Car2Go zu einem Modeartikel erklärt.“

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