Bei Daimler in Shanghai dürfte die Aufregung groß gewesen sein. Am Montagmorgen standen neun chinesische Beamte vor der Tür. Sie wollten die Büroräume durchsuchen und mit einigen Mitarbeitern Gespräche führen. Der Autobauer stehe im Verdacht, "monopolistisch gehandelt zu haben". Ein Kommentar dazu wollte Senol Bayrak, Pressesprecher für Daimler in China, erst einmal nicht abgeben.
Dafür sagte Li Pumin, Sprecher der National Development and Reform Commission (NDRC), auch Audi, Chrysler und zwölf japanische Hersteller von Autoteilen werden untersucht. Die beiden Premium-Autohersteller werden ebenfalls beschuldigt, ihre Produkte zu teuer an chinesische Konsumenten verkauft zu haben.
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen
China ist der nach Frankreich und den Niederlanden der größte Handelspartner Deutschlands. 2013 wurden Waren im Wert von mehr als 140 Milliarden Euro ausgetauscht. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht davon aus, dass China in etwa zehn Jahren zum Handelspartner Nummer eins aufsteigen wird.
Die Exporte nach China summierten sich 2013 auf rund 67 Milliarden Euro. Exportschlager sind Maschinen, Fahrzeuge und chemische Produkte. Für Unternehmen wie Audi ist China bereits der wichtigste Absatzmarkt.
Die Chinesen schickten 2013 Waren im Wert von gut 73 Milliarden Euro hierher und damit etwa viermal so viel wie 2000. Vor allem Computer, Handys und Elektronik liefert der Exportweltmeister nach Deutschland. Weitere Verkaufsschlager sind Bekleidung und elektrische Ausrüstungen.
Mehr als 26,5 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen bislang in China investiert. Etwa 4000 Firmen sind dort aktiv. Allein 2012 stiegen die deutschen Investitionen in der Volksrepublik um 28,5 Prozent auf 1,45 Milliarden Dollar. Umgekehrt zieht es immer mehr Chinesen nach Deutschland. 98 Unternehmen siedelten sich 2012 hierzulande neu an - China ist damit Auslandsinvestor Nummer drei, nach den USA und der Schweiz. 2000 Unternehmen sind inzwischen hier ansässig.
Die Vorwürfe beziehen sich vor allem auf den Ersatzteilmarkt. Hier würden von den Autoherstellern kontrollierte Händler Teile weit über dem Marktpreis an Kunden verkaufen.
Aus der Luft gegriffen sind die Vorwürfe nicht. "Tatsächlich sind die Preise monopolistisch erhöht", sagt Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC in Shanghai. "Allerdings hat die Regierung diese Situation selbst herbeigeführt."
Hohe Importzölle und Steuern
2005 verpflichtete Peking die internationalen Autohersteller, Ersatzteile nur von vorher lizensierten Händlern verkaufen zu lassen. So wollte man Qualitätsstandards in diesem Markt sichern. Damals wurden aber noch rund 80 Prozent aller Fahrzeuge an Regierungsbehörden verkauft - ein professioneller Ersatzteilmarkt war nicht notwendig. Daraus ergab sich eine quasi-monopolistische Situation. "Bei Teilen, die auch in freien Werkstätten verkauft werden dürfen, ergab sich ein Preisunterschied von 100 Prozent", sagt Experte Siebert. "und das bei identischen Teilen." Gleichzeitig entwickelte sich ein Schwarzmarkt für gefälschte Ersatzteile.
Ähnlich ist die Situation auf dem Neuwagen-Markt für Importfahrzeuge. Die Autohersteller argumentieren zwar, hohe Importzölle und Steuern machten sich eben im Preis bemerkbar. "Doch während Händler in Europa und den USA eigenständig reagieren können und ihre Preise weitgehend selbst festlegen, setzen in China Autohersteller den Endverkaufspreis fest", sagt Christoph Angerbauer von der Handelskammer in Shanghai.
"Die goldenen Zeiten sind damit vorbei"
Wenn sich das ändert, dürften auch die Margen mancher Hersteller auf dem mittlerweile größten Automarkt der Welt sinken. Audi verkauft beispielsweise ein Drittel seiner Wagen mittlerweile in China. "Die ganz goldenen Zeiten sind damit vorbei", sagt Angerbauer.
Vergangene Woche nun hat die chinesische Regierung bekannt gegeben, dass ab dem 1. Oktober Händler nicht mehr von den OEMs autorisiert werden müssen. Zudem sind bestehende Händler nicht mehr an bestimmte Marken gebunden, was zu mehr Wettbewerb und damit auch zu einem Preisrückgang bei Neuwagen führen dürfte. Grundsätzlich sei die Gesetzesänderung sinnvoll. Eine Arbeitsgruppe der Europäischen Handelskammer bestehend aus Automobilzulieferern drängt seit langem auf eine Abschaffung des Gesetzes. So wird auch der Schwarzmarkt für gefälschte Autoteile ausgetrocknet. Problematisch ist eher die für China typische Hauruck-Einführung. "Die Regelung wird viel zu drastisch umgesetzt", sagt Siebert.
Nicht nur Autobauer im Visier
Die Gesetzesänderung war also schon beschlossen, die Autohersteller reagierten bereits mit der Ankündigung, die Preise zu senken. Warum also noch eine Untersuchung? Die medienwirksame Kampagne dürfte noch einen anderen Hintergrund haben:
Daimler ist nicht der erste ausländische Konzern, der solchen Vorwürfen ausgesetzt ist. Seit 2008 gilt in China ein "Anti-Monopol-Gesetz", das auch darauf abzielt, ausländische Konzerne daran zu hindern, ihre Produkte auf dem chinesischen Markt teurer anzubieten als auf anderen Märkten. Immer wieder stehen ausländische Unternehmen in den chinesischen Staatsmedien in der Kritik. Verschärft hat sich die Lage mit dem Amtsantritt von Xi Jinping.
Prozesse treiben bizarre Blüten
Auch Microsoft und der amerikanische Chip-Hersteller Qualcomm gerieten vergangene Woche in die Kritik. Am drastischsten traf es bisher den britischen Pharma-Riesen GlaxoSmithKline im vergangenen Sommer. Dessen Top-Management ist angeklagt, über ein gigantisches Bestechungsnetzwerk geherrscht zu haben. Gegen Geldgeschenke sollen chinesische Ärzte dazu gebracht worden sein, Medikamente von GSK zu verschreiben.
Größte ausländische Autohersteller in China
BMW - 326.000 verkaufte Fahrzeuge
China gehört für die Münchener zu den wichtigsten Märkten der Welt. Und BMW dringt in die Top Ten vor: Im Vorjahresvergleich legt der Absatz um beachtliche 40 Prozent zu. Auf den Plätzen folgen Suzuki, Daimler und Mazda.
Ford - 427.000 verkaufte Fahrzeuge
Die Amerikaner machen Boden gut, was sie ebenfalls dem Inselstreit zu verdanken haben. Im Vorjahresvergleich bleibt ein sattes Plus von 31 Prozent.
(Anm. d. Red.: Erfasst wurden nur Pkw-Verkäufe)
Peugeot-Citroën - 442.000 verkaufte Fahrzeuge
Während der Heimatmarkt schwächelt, können die Franzosen in Fernost ihre Verkäufe ausbauen. Der Absatz legt um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Kia - 512.000 verkaufte Fahrzeuge
Die Koreaner können auch im Nachbarland ihren Erfolgskurs fortsetzen. Mit einem Wachstum von 18 Prozent gehören sie mittlerweile zu den erfolgreichen Volumenherstellern in China.
Honda - 603.000 verkaufte Fahrzeuge
Honda muss ebenfalls Einbußen hinnehmen - wie die anderen japanischen Hersteller in China ebenfalls. Im Vorjahresvergleich steht ein Minus von drei Prozent.
Toyota - 841.000 verkaufte Fahrzeuge
Die Japaner müssen sich mit Rang fünf begnügen, vor allem im September hatte es einen herben Rückschlag der Verkaufszahlen auf gerade einmal 50.000 Stück gegeben. Im Gesamtjahr bleibt ein Absatzminus von fünf Prozent.
(Anm. d. Red.: Angabe laut Reuters)
Hyundai - 847.000 verkaufte Fahrzeuge
Die Koreaner verdrängen Toyota auf Rang fünf und sind indirekter Nutznießer des Inselstreits. Die Hyundai-Verkäufe legten 2012 um zwölf Prozent zu.
Nissan - 1,18 Millionen verkaufte Fahrzeuge
Der Streit um eine Inselgruppe zwischen China und Japan hat die Absatzzahlen der Japaner deutlich in die Knie gedrückt. Im Gesamtjahr gab es für Nissan ein Minus von fünf Prozent.
Volkswagen - 2,81 Millionen verkaufte Fahrzeuge
Die Wolfsburger können das größte Wachstum der Massenhersteller in der Volksrepublik vorweisen. Gegenüber dem Vorjahr haben die Volkswagen-Verkäufe um 24 Prozent zugelegt.
General Motors - 2,84 Millionen verkaufte Fahrzeuge
Die Amerikaner verteidigen hauchdünn die Spitzenposition in China. Im Jahresvergleich hat GM um elf Prozent zugelegt.
Einmal pro Quartal erstellen die Wirtschaftsprüfer von Ernst&Young ein Ranking der größten Autokonzerne nach Absatz. Wie die Autohersteller in China abgeschnitten haben. (Daten: Gesamtjahr 2012)
Oft, aber nicht immer, sind die Vorwürfe berechtigt. Doch stets wird die Verurteilung medienwirksam inszeniert. Das Staatsfernsehen CCTV berichtet darüber zur besten Sendezeit. Dem Volk soll so erklärt werden: Seht her, wir tun etwas gegen ausländische Konzerne!
Mitunter treibt der mediale Pranger aber auch bizarre Blüten. So wurde die Kaffeehaus-Kette Starbucks in den Staatsmedien beschuldigt, ihren Kaffee teurer zu verkaufen als in anderen Ländern. Davon, dass die höheren Preise an Importzöllen und höheren Transportkosten liegen könnten, war nicht die Rede.
Nicht selten dienen die Kampagnen dazu, vom Versagen inländischer Unternehmen abzulenken. Erst Ende Juli kam in China ein gewaltiger Gammelfleisch-Skandal ans Licht. Shanghai Husi hatte abgelaufenes Fleisch jahrelang an Fastfood-Ketten wie McDonalds und KFC geliefert. Auch, dass die chinesische Regierung auf zahlreiche ausländische Produkte eine "Luxussteuer" von bis zu 30 Prozent erhebt, und so ihre eigenen Bürger kräftig zur Kasse bittet, wird im Staatsfernsehen eher selten erwähnt.
Bisher aber trüben diese Anschuldigungen den Appetit chinesischer Konsumenten auf westliche Produkte kaum: Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 14 Prozent mehr Autos verkauft als im Vorjahreszeitraum - die meisten davon sind ausländische Marken.