E-Autos Die Elektro-Schnäppchen kommen

Um Milliardenstrafen zu entgehen müssen Autohersteller E-Autos zum Schleuderpreis anbieten. Quelle: imago images

Die Autohersteller haben ihre CO2-Emissionen nicht im Griff. Milliardenstrafen der EU können sie nur noch vermeiden, wenn sie E-Autos zum Schleuderpreis in den Markt drücken. Für Käufer dürften rosige Zeiten anbrechen.

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Eigentlich waren sich im Jahr 2013 Parlament und Kommission der EU einig: Ab 2020 sollten die in der EU verkauften Neuwagen nicht mehr als 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Hersteller, deren verkaufte Fahrzeugflotte über dieser Obergrenze liegt, sollten für jedes verkaufte Auto und für jedes zusätzliche Gramm eine Strafe entrichten.

Die Beschlüsse alarmierten die Autohersteller in Deutschland, weil sie mit ihren großen und leistungsstarken Modellen womöglich Schwierigkeiten bekommen würden, die Grenzwerte zu schaffen. Sie zettelten eine Lobby-Schlacht an, wie sie Brüssel zuvor noch nicht erlebt hatte. Es gelang ihnen schließlich, Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Sache zu gewinnen. Die Kanzlerin interveniert so vehement wie wohl nie zuvor in Brüssel – und hatte Erfolg: Die Obergrenzen wurden mit Ausnahmeregelungen aufgeweicht und den Autoherstellern mehr Zeit gegeben.

Warum es eine solch brachiale Einmischung der Kanzlerin brauchte, wurde der damalige Chef des Automobilhersteller-Verbands VDA, Matthias Wissmann, gefragt. Seine Antwort: „Weil in der EU-Kommission zu wenig Verständnis herrscht für die Balance zwischen Klima und Industriepolitik. Manchmal hilft dann nur ein deutliches Wort.“ Die „deutlichen Worte“ der Regierungschefin würden zu einem zusätzlichen Ausstoß von 50 Millionen Tonnen CO2 führen, sollte später die Umweltschutzorganisation Transport & Environment berechnen.

Nun, da 2021 nur noch ein knappes Jahr entfernt ist und gut prognostiziert werden kann, welche und wie viele Autos die Hersteller dann absetzen werden, wird klar: Trotz der massiven Einmischung der Kanzlerin zugunsten der deutschen Autohersteller und zulasten des Klimas werden etliche Autobauer wohl die Klima-Vorgaben verfehlen. Die 13 größten Autohersteller Europas müssen ab 2021 mit Strafen in Milliardenhöhe rechnen, weil ihre Neuwagen die CO2-Obergrenzen der EU nicht einhalten. 14,5 Milliarden Euro Strafe dürfte die EU nach einer Studie der Unternehmensberatung PA Consulting verhängen. 4,5 Milliarden Euro entfallen auf Volkswagen, eine Milliarde Euro auf Daimler und 750 Millionen Euro auf BMW. „Fast alle Hersteller haben große Schwierigkeiten, die CO2-Emissionen der Neuwagenflotte zu reduzieren“, sagt der Autor der Studie, Michael Schweikl. „Die Zeit, gegensteuern zu können, wird kleiner, die Lücke zum Zielwert 2021 wurde größer – das ist keine gute Entwicklung.“

PA Consulting misst die Emissionen seit mehreren Jahren. In der neuen Erhebung (Bezugsjahr 2018) steigen die Werte zum ersten Mal bei fast allen Herstellern. Gründe sind laut PA Consulting die hohe Nachfrage nach leistungsstarken, großen Autos wie etwa SUV, ein Rückgang von Dieselfahrzeugen und das kleine Angebot an Autos mit geringen Emissionen. Um die Emissionsziele noch zu schaffen, müssten nächstes Jahr 2,5 Millionen E-Autos in Europa abgesetzt werden – ein kaum erreichbares Ziel: „Das wäre eine Steigerung von 1280 Prozent gegenüber 2018“, sagt Schweikl.

VW, Daimler und BMW räumen steigende CO2-Werte in den vergangenen Jahren ein: VW legte in den zurückliegenden zwei Jahren um knapp zwei, BMW um gut drei und Daimler um über sieben Prozent zu. Neben dem SUV-Trend hat auch eine neue Messmethode zu höheren Werten geführt. Die neue CO2-Messung, genannt WLTP, ist realistischer als die frühere Methode, deren Messergebnisse oft über ein Drittel niedriger ausfielen als im normalen Betrieb der Fahrzeuge. Trotz der steigenden Werte beteuern die Hersteller, dass sie Strafzahlungen an die EU so gut es geht vermeiden möchten.

Der Volkswagen-Konzern erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass er sich zu den Klimazielen von Paris bekenne und dass der Konzern das Ziel verfolge, „bis 2050 bilanziell CO2-neutral zu werden“. Bilanziell CO2-neutral bedeutet: Das Unternehmen wird wohl auch 2050 noch CO2-Emissionen verursachen, diese Emissionen werden aber durch Maßnahmen ausgeglichen, die CO2 in der Atmosphäre verringern – etwa Aufforstungen.

2018 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß der Neuwagen des VW-Konzerns bei 121,9 Gramm. Der Anstieg der Werte „in den letzten Jahren, der sich auch 2019 fortsetzte“, so ein VW-Sprecher, sei „in erster Linie den deutlichen Verschiebungen innerhalb der Fahrzeugsegmente, die auch am Gesamtmarkt zu beobachten sind, geschuldet.“ Der anhaltende Trend zu SUVs sei eine der Ursachen dieser Entwicklung.

Der Appell an Kunden, klimafreundliche Autos zu kaufen, wird nicht reichen

VW habe deshalb eine „beispiellose Elektro-Offensive“ gestartet. Ab diesem Jahr werde sich dadurch der Anteil der elektrifizierten Fahrzeuge an den Auslieferungen schnell und deutlich erhöhen. Letztes Jahr habe er bei rund einem Prozent gelegen, für dieses Jahr seien bereits vier Prozent geplant und in den Folgejahren steige er kontinuierlich an. 2025 sei dann ein Anteil reiner E-Autos von mehr als 20 Prozent geplant. Hinzu kämen zahlreiche Plug-in-Hybride.

BMW erklärte, dass für das Unternehmen „Strafzahlungen keine strategische Option“ seien. Soll wohl heißen: Strafen sind nicht ausgeschlossen, sollen aber möglichst verhindert werden. Zwischen 1995 und 2018 habe BMW den CO2-Ausstoß seiner neu verkauften Fahrzeuge in Europa um rund 42 Prozent verringert. 2018 habe die europäische Neuwagenflotte der BMW Group durchschnittlich 128 Gramm CO2 pro Kilometer emittiert.

Mit derzeit zwölf elektrifizierten Fahrzeugen (reine E-Autos und Plug-in-Hybride) sieht sich BMW als ein führender Anbieter im Bereich Elektromobilität. Seit 2016 sei das Unternehmen mit seinen elektrifizierten Fahrzeugen Marktführer in Deutschland und halte „auch europa- beziehungsweise weltweit einen Spitzenplatz“. 2021 soll in Europa jeder vierte verkaufte BMW oder MINI ein E-Auto oder ein Plug-in-Hybrid sein. „2025 soll der Anteil bereits ein Drittel und 2030 die Hälfte aller in Europa abgesetzten Fahrzeuge ausmachen“, so ein BMW-Sprecher. Im Jahr 2023 werde die BMW Group 25 elektrifizierte Modelle im Portfolio haben, etwa die Hälfte davon vollelektrisch.

Auch Wettbewerber Daimler verweist auf die CO2-Reduktionen in den vergangenen zwei Dekaden: Seit 1997 habe das Unternehmen die durchschnittlichen CO2-Emissionen seiner Mercedes-Benz-Cars-Neuwagenflotte in der EU nahezu halbiert. Im Jahr 2018 habe der Wert für die Mercedes-Benz-Neuwagenflotte bei 132 Gramm CO2 pro Kilometer gelegen. Damit ist Daimler trauriger Spitzenreiter in Deutschland. Dass es in den zurückliegenden Jahren zu einem Anstieg der Werte kam, führt Daimler „insbesondere auf das Verfahren WLTP“ zurück. Außerdem hätten geringere Diesel-Verkäufe „sowie der weiter steigende Absatz von größeren SUVs und Allradfahrzeugen zur Erhöhung des CO2-Flottenwerts“ beigetragen.

Daimler will „die anspruchsvollen gesetzlichen CO2-Vorgaben bis 2030“ einhalten, was auch „für die kurzfristig zu erfüllenden und ebenfalls ambitionierten EU-Grenzwerte für die Jahre 2020/2021“ gelte. Ob Daimler dies tatsächlich gelingen wird, lässt der Konzern offen – und nimmt den Verbraucher in die Verantwortung: „Entscheidend ist am Ende jedoch vor allem eines: Die tatsächliche Kaufentscheidung unserer Kunden für effiziente Produkte.“

Der Appell an Kunden, doch bitte klimafreundliche Autos zu kaufen, wird sicher nicht reichen. Auto-Experte Schweikl von PA Consulting sieht viele Möglichkeiten für die Hersteller, Emissionen zu reduzieren und künftige Strafen zu minimieren. Allerdings: „Die Dringlichkeit der Situation bedeutet, dass sie schnell handeln müssen. Autoherstellern fehlt die Zeit, um die Emissionen schnell genug zu mindern und Strafzahlungen zu vermeiden. Marketing-, Verkaufs- und Preisstrategien, die die Akzeptanz emissionsarmer Fahrzeuge erhöhen, werden von entscheidender Bedeutung sein, um die Hersteller näher an die Ziele heranzuführen.“

Heißt konkret: Die Hersteller müssen E-Autos mit viel Werbung und hohen Rabatten in den Markt drücken und für die nötige Ladeinfrastruktur sorgen. Sie stehen vor der Wahl, hunderte Millionen Euro für Preisnachlässe auszugeben oder die gleiche Summe an den EU als Strafe zu entrichten. Für die Hersteller ist das ein Ärgernis und für etliche Konzerne auch eine hohe Belastung. Bürger und Unternehmen aber, die willig sind, ein E-Auto zu kaufen, können sich freuen. Sie müssen nur noch warten, bis die CO2-Not der Hersteller am größten ist – und dann zuschlagen.



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