E-Fuels Können Autos durch E-Fuels klimaneutral werden?

Der Zapfhahn einer Erdgas-Tanksäule. Quelle: dpa

Der klimaschädliche CO2-Ausstoß im Verkehr soll bis 2030 um 40 Prozent sinken. Mit E-Fuels könnten Autos mit Verbrennungsmotor theoretisch klimaneutral fahren. Doch das wirkliche Potenzial ist umstritten.

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Die Flüssigkeit in der Flasche auf dem Tisch vor Tim Böltken ist glasklar wie Quellwasser. Sie riecht nach fast nichts. Und wenn sie verbrennt, gibt sie deutlich weniger Schadstoffe ab als fossile Kraftstoffe. Vor allem aber: Das klimaschädliche CO2, das beim Verbrennen frei wird, kam vorher aus der Luft. In der Flasche befindet sich ein besonderer Treibstoff: ein mit erneuerbarem Strom hergestelltes E-Fuel.

Tim Böltken baut mit seiner Firma Ineratec Anlagen zur Herstellung solcher synthetischer Kraftstoffe. Der 34-Jährige hat seinen Job bei einer Tochter des Chemieriesen BASF aufgegeben, um mit zwei Kollegen im Schatten des Karlsruher Instituts für Technologie, kurz KIT, das Start-up zu gründen. Er glaubt fest an den Erfolg von E-Fuels: „Das sind gigantische Chancen, die sich hier bieten.“

Der Begriff „Fuels“ ist Englisch für Kraftstoffe, das „E“ steht für erneuerbaren Strom. Denn solche Treibstoffe werden mit Hilfe von regenerativer Energie hergestellt. Sie unterscheiden sich in ihren chemischen Strukturen und Grundeigenschaften nicht von herkömmlichem Diesel oder Benzin aus Erdöl. Und sie könnten in der Theorie helfen, die düstere CO2-Bilanz des Autoverkehrs aufzupolieren. Doch es gibt durchaus Gegenargumente. Manche sehen sie eher als klimafreundlichere Alternative für Flugzeuge und Schiffe und weniger für Autos. Und sogar Umweltschützer äußern Vorbehalte.

Denn die Herstellung der E-Treibstoffe ist aufwendig. Zunächst wird aus Wasser Wasserstoff gewonnen. Dazu sind große Mengen elektrischen Stroms notwendig. Dann wird Kohlendioxid, also CO2, eingesetzt, um aus dem Wasserstoff ein Gas oder eine Flüssigkeit als Kraftstoff zu erzeugen. Im Idealfall stammt das CO2 aus der Luft, so dass ein Kreislauf entsteht und die Verbrennung im Motor klimaneutral ist. Power-To-X nennt man die Verfahren. Das „X“ steht wahlweise für Gas oder flüssige Stoffe wie Diesel, Benzin oder Kerosin.

von Andreas Menn, Thomas Stölzel, Angela Hennersdorf, Konrad Fischer

Der gewonnene Kraftstoff kann in modernen Verbrennungsmotoren ohne Probleme eingesetzt werden. In der Theorie könnten damit also schon heute Autos mit herkömmlichen Diesel- und Benzinmotoren CO2-neutral fahren. Die Stoffe könnten die Bundesregierung bei ihrem Ziel, den CO2-Ausstoß im Verkehr bis 2030 um 40 bis 42 Prozent zu senken, einen Schritt weiterbringen – ohne neue Ladestationen und Elektromotoren.
In der Theorie: Denn Autofahrer haben praktisch keine Möglichkeit, E-Fuels in Deutschland zu tanken. Im großen Stil sind sie nicht verfügbar. Und in der politischen Diskussion um Klimaschutz und Dieselkrise spielen sie bislang eine untergeordnete Rolle.

Kritik an E-Fuels

Umweltschützer und Grüne kritisieren die künstlichen Kraftstoffe. „E-Fuels sind derzeit unbezahlbar teuer und ineffizient“, sagt etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer. Ein wichtiges Argument der Gegner: der niedrige Wirkungsgrad. Anstatt Autos direkt mit Ökostrom anzutreiben, wird dieser erst eingesetzt, um Wasserstoff und dann den Treibstoff herzustellen.
Eine Studie der Denkfabrik Agora Verkehrswende aus dem Jahr 2017 rechnet vor: Für 100 Kilometer braucht ein batterieelektrisches Auto 15 Kilowattstunden Strom, ein mit Wasserstoff betriebenes Fahrzeug schon 31 Kilowattstunden und ein mit E-Fuels betriebener Diesel oder Benziner sogar 103 Kilowattstunden. Das macht die Kraftstoffe gleichzeitig teuer – vor allem in einem Land wie Deutschland, wo Strom ohnehin mehr kostet als vielerorts sonst.

Doch die Stimmen, die ungeachtet dessen für E-Fuels argumentieren, wurden in den vergangenen Jahren lauter. Inzwischen macht sich vor allem die Industrie – etwa Autobauer und Energiekonzerne – für die Entwicklung stark. „Langfristig sind synthetische Brennstoffe zur weitergehenden Emissionsreduktion in allen Verkehren zwingend erforderlich“, heißt es in einer vom Bundesverband der Industrie beauftragten Studie. Autobauer Daimler will bis 2039 dafür sorgen, dass seine weltweit verkauften Neuwagen CO2-neutral rollen. Ohne klimaneutrale Kraftstoffe, räumte der oberste Motorenentwickler des Stuttgarter Konzerns, Torsten Eder, bei einer Veranstaltung ein, ist das kaum möglich.

Längst hätte ein massiver Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos starten müssen. Doch es bleibt beim Dornröschenschlaf. Politik und Wirtschaft haben nun zwar erkannt, dass gehandelt werden muss. Das wird jedoch teuer.

„Das Interesse an E-Fuels ist momentan gigantisch“, freut sich Ineratec-Mitgründer Böltken. Potenzielle Kunden kommen aus der Energie- und Autobranche, aber auch aus dem Flugverkehr. „Die werden noch lange auf flüssige Energieträger angewiesen sein.“
Die Idee zur E-Fuels-Produktion stammt von Böltkens Mentor, von Roland Dittmeyer, Professor am Karlsruher Institut für Technologie. Für den Verfahrenstechniker geht es ums große Ganze. „Wenn wir die gesetzten CO2-Reduktionsziele erreichen wollen, dann führt an Power-To-X kein Weg vorbei“, sagt Dittmeyer.

2015 stritten Böltken und Dittmeyer im Büro des Professors darüber, ob die Nutzung des Treibhausgases CO2 eine Zukunft habe: Ob man den „bösen“ Schädling so einsetzen könnte, dass er „gut“ wird. „Ich habe nicht daran geglaubt“, räumt Böltken ein. „Zwei Wochen später hatten wir mit Audi einen großen Kunden, der das verfolgen wollte.“ Sein Start-up wächst seitdem beständig.

Neue Anlagen und Projekte

Auch Ölkonzerne planen sogenannte Power-To-X-Anlagen. BP arbeitet mit dem Stromerzeuger Uniper an einem Projekt, an dessen Ende Power-To-X-Komplexe stehen sollen. Shell hat Ende Juni mit dem Bau einer Elektrolyse-Anlage im Rheinland begonnen. Lufthansa startete mit der Raffinerie Heide in Schleswig-Holstein ein Pilotprojekt für CO2-neutrales Kerosin. Und eine Allianz von Energieversorgern, Mineralölfirmen und dem Autobauer Audi hat im April ein Programm zur Markteinführung von E-Fuels erarbeitet – bis 2025.

Audi nahm schon vor einigen Jahren eine Power-To-Gas-Anlage im niedersächsischen Werlte in Betrieb. Dort wird mit Ökostrom synthetisches Methangas hergestellt. Wer sich von März 2017 bis Mai 2018 einen Audi mit Gasantrieb bestellte, erhielt das Versprechen, drei Jahre klimaneutral fahren zu können - mit Gas aus Werlte, aber auch aus Biogasanlagen. Aktuell gibt es das Angebot nicht mehr. VW-Chef Herbert Diess setzt derzeit voll auf Elektromobilität.

Ulrich Müller hatte noch Glück, er fährt seinen Audi mit E-Gas-Versprechen seit dem vergangenen Sommer. „Mal etwas anders machen als der Mainstream, nicht einfach weiterfahren mit Benzin oder Diesel.“ Das war Müllers Antrieb. Er recherchierte und stellte fest, dass Gas per se sparsamer und weniger schadstoffreich ist als Diesel oder Benzin – dann stieß er auf das E-Gas-Angebot von Audi.

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