"Ebit macht frei" Wie VW-Manager am Umgang mit der NS-Vergangenheit scheitern

Herbert Diess bei der VW-Jahrespressekonferenz. Quelle: dpa

VW-Chef Herbert Diess hat sich für seinen Ausspruch „Ebit macht frei“ entschuldigt. Erledigt ist die Angelegenheit damit für ihn noch nicht.

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Volkswagen-Chef Herbert Diess hat zwei wichtige Bilanzpressekonferenzen hinter sich, in denen es um nicht weniger ging als eine riskante Neuausrichtung des weltgrößten Autobauers, um den Wegfall tausender Stellen, um Investitionen in E-Autos, die höher sind als die Bruttosozialprodukte ganzer Staaten. Und was wird von diesen zwei wichtigen Tagen in Wolfsburg bleiben? Ein hässlicher Ausspruch: „Ebit macht frei“.

Mit diesen Worten garnierte Diess eine Ansprache vor hunderten VW-Managern. Nicht einmal, sondern gleich mehrfach. Weil er den Satz so passend fand, und weil ein Professor dem jungen Studenten Diess diesen Satz mit auf den Lebensweg gegeben hatte. So erzählte es Diess zumindest in seiner Rede.

Was aber kann dieser Spruch anderes sein, als eine Anlehnung an „Arbeit macht frei“, den Schriftzug am Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz? Jene zynische Losung, mit der die Nationalsozialisten ihre Gefangenen verhöhnten. Etliche Manager, die Diess‘ Rede hörten, dachten daran. So empört waren manche, dass sie sofort Alarm schlugen und der Vorfall noch am selben Abend im Konzern die Runde machte. Und so dachte auch die Öffentlichkeit, als sie gestern schließlich davon erfuhr. Von „Kritik“, „Schock“, „Entgleisung“ und sogar von Rücktrittsforderungen ist in deutschen und internationalen Medien die Rede.

Sah Diess die Losung seines Professors in dem Kontext der deutschen Geschichte? Es gibt zwei mögliche Antworten auf diese Frage, und beide fallen nicht sehr positiv für ihn aus. Sah er die Parallele, sind seine Äußerungen unverzeihlich. Wenn einer der wichtigsten deutschen Manager, der noch dazu einem teilstaatlichen Unternehmen vorsteht, sich zu Nazi-Wortspielen hinreißen lässt, sollten sich die Eigentümer des Unternehmens – vor allem auch das Land Niedersachsen – ganz schnell fragen, ob er als VW-Chef noch tragbar ist.

Oder, die zweite mögliche Antwort, er hatte bei seiner Rede den Eingang von Auschwitz nicht vor Augen. Das ist allein schon deshalb wahrscheinlich, weil eigentlich kein Manager so dämlich sein kann, sich ohne Not derart angreifbar zu machen. Schon gar nicht der Chef eines vom Hitler-Regime gegründeten Unternehmens. Dann aber muss Diess sich die Frage gefallen lassen, wie so viel Geschichtsvergessenheit passieren konnte. Hatte er mal Geschichtsunterricht? Wie konnte der heute 60-Jährige Österreicher jahrzehntelang in Deutschland leben, ohne ständig dem Ausspruch „Arbeit macht frei“ zu begegnen? Wo war er mit seinen Gedanken, als er direkt nach seinem Antritt bei Volkswagen die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besuchte?

Diess hat am Mittwoch schnell reagiert, immerhin. Nur Stunden nachdem VW Anfragen zu dem Vorfall – unter anderem von der WirtschaftsWoche – erhalten hatte, entschuldige er sich. Sein Statement beginnt er allerdings erst einmal mit einer langen Rechtfertigung: „Die Äußerung „Ebit macht frei“ fiel auf einer internen Volkswagen Management Informationsveranstaltung im Zusammenhang mit der operativen Rendite von verschiedenen Konzernmarken. Im Volkswagen-Konzern gibt es Marken mit unterschiedlich hoher operativer Rendite. Marken mit einer hohen Rendite verfügen erfahrungsgemäß über eine höhere Entscheidungsfreiheit im Konzern. Auf diesen Zusammenhang bezog sich meine Aussage.“

Eine Entschuldigung mit einer Rechtfertigung zu beginnen, ist immer falsch. Und hier ganz besonders: Es gibt hier rein gar nichts zu erklären und einzuordnen. Der Spruch war falsch. Punkt.

Nach der Rechtfertigung kommt die Entschuldigung

Nach der Rechtfertigung kommt Diess dann zur Entschuldigung: „Es war in keiner Weise meine Absicht, diese Aussage in einen falschen Zusammenhang zu setzen. Dass diese Möglichkeit besteht, daran habe ich in diesem Moment nicht gedacht. Tatsächlich war es eine sehr unglückliche Wortwahl und falls ich damit unbeabsichtigt Gefühle verletzt haben sollte, tut mir das außerordentlich Leid. Dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen.“

Diess will also tatsächlich nicht an „Arbeit macht frei“ gedacht haben. Wenn das so war, dann kann aber sein Statement nicht das letzte zu diesem Thema gewesen sein. Dann muss er erklären, wie ihm das passieren konnte – einem Menschen von seinem Intellekt und in seiner Position. Und: Wie es passieren konnte, dass an dem Abend ein weiterer VW-Vorstand die Gedanken in seiner Rede aufgriff und ebenfalls von „Ebit macht frei“ sprechen konnte.

Noch jemand, dem „in diesem Moment“ das Skandalöse nicht auffiel? Diess brachte den Spruch mehrfach, danach sein Kollege. Das sind schon recht viele „Momente“, in denen gerade mal „nicht gedacht“ wurde.

Volkswagen hat seine NS-Historie in Wolfsburg vorbildlich aufgearbeitet und viele Mitarbeiter und der Betriebsrat halten die Erinnerungskultur mit hohem Engagement wach. Aber das Management scheitert offenbar immer wieder an dieser Herausforderung.

Vor einigen Jahren war es der damalige Audi-Chef Rupert Stadler, der sich erst nach Enthüllungen der WirtschaftsWoche zur Aufarbeitung der grausamen NS-Vergangenheit von Audi durchringen konnte. In mehreren, eigens für den Audi-Vorgänger Auto Union eingerichteten Konzentrationslagern wurden tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ermordet.

Die Aufarbeitung in Ingolstadt aber war so mangelhaft und beschönigend, dass sogar der damalige Chefhistoriker des VW-Konzerns, Manfred Grieger, in der WirtschaftsWoche scharfe Kritik an seinen Kollegen bei Audi übte – was aber nicht etwa zu Konsequenzen bei Audi führte, sondern es war Chefhistoriker Grieger, den es den Job kostete.

Diess macht Volkswagen fit für die Zukunft, mit hohem Tempo und mit großer Gründlichkeit. Wenn er mit dem gleichen Elan sich selbst und seine Managerkollegen für die wichtigen Fragen der Vergangenheit sensibilisiert, dann wäre schon mal viel gewonnen. Doch den hässlichen Spruch „Ebit macht frei“, den bekommt er nicht mehr weg. Es sind solche Dinge, die bleiben.

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