Ein Jahr nach dem Dieselgipfel „Die Dieselfahrer werden komplett alleine gelassen“

Ein Jahr nach dem „Dieselgipfel“ scheinen viele Chefetagen der großen deutschen Autobauer die Krise immer noch aussitzen zu wollen. Quelle: dpa

Mit „Gipfeln“ in der Politik ist das so eine Sache: Vieles bleibt offen. Das ist ein Jahr nach dem Spitzentreffen zur Dieselkrise nicht anders. Hardware-Nachrüstungen bleiben das umstrittenste Thema.

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Die Zeit der Unsicherheit ist nicht vorbei. Längst nicht. Vor allem für Autofahrer, die einen älteren Diesel haben. Abgas-Manipulationen lasten weiter auf dem Image der Technologie, die einmal eine deutsche Erfolgsgeschichte war und das Vertrauen von Millionen Kunden genoss. Nachrichten über Tricksereien reißen nicht ab, es drohen weitere Fahrverbote in Städten. Zentrale Fragen in der Dieselkrise sind nach wie vor ungeklärt – auch ein Jahr nach dem „Dieselgipfel“.

Die Krise ist in vollem Gange, als sich am 2. August 2017 in Berlin mehrere Bundesminister, Ministerpräsidenten und Autobosse treffen. In vielen Städten werden Schadstoff-Grenzwerte überschritten, Schuld sind vor allem Dieselabgase. Abgase jener Fahrzeuge also, mit denen die Industrie viel Geld verdient hat. Eine deutsche Schlüsselindustrie, die durch Abgasmanipulationen viel Vertrauen verloren hat.

Der Gipfel beschließt ein umfangreiches Maßnahmenpaket. Insgesamt rund 5,3 Millionen Euro-5- und Euro-6-Diesel sollen durch Updates der Motor-Software sauberer werden. Das soll den Stickoxid-Ausstoß der Fahrzeuge im Schnitt um 25 bis 30 Prozent senken. Mit „Umstiegsprämien“ wollen die Autobauer Besitzer älterer Diesel motivieren, neue Diesel oder Elektroautos zu kaufen. Mit einem milliardenschweren Fonds sollen in Städten Maßnahmen für bessere Luft gefördert werden. Und es werden Arbeitsgruppen eingesetzt, die sich etwa mit Diesel-Nachrüstungen an den Motor-Bauteilen selbst befassen sollen, also an der Hardware.

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Ein Jahr nach dem Gipfel lässt sich sagen: Es hat sich einiges getan – ob das dem Diesel immer geholfen hat, ist eine andere Sache. Immerhin: Die Zahl der Städte, in denen Schadstoff-Grenzwerte überschritten werden, ist gesunken – auf noch 65 Städte 2017, nach 90 ein Jahr zuvor. Die Luft sei besser geworden, bilanziert der Autoverband VDA: „Die Maßnahmen des Nationalen Forums Diesel zeigen Wirkung.“ In vielen Städten sind Maßnahmen für bessere Luft auf den Weg gebracht worden oder werden geplant. Weit mehr als 200.000 Kunden haben alleine die Umweltprämien der deutschen Autobauer zum Umstieg von einem alten Diesel auf ein saubereres Fahrzeug genutzt.

Das ist so etwas wie die „Habenseite“ von Politik und Autobranche ein Jahr nach dem Gipfel. Aber: Bei wichtigen Zusagen hakt es. Bei den freiwilligen Software-Updates hat die Branche noch viel zu tun. Bisher sind nach Angaben des Verkehrsministeriums rund 2,9 Millionen Fahrzeuge umgerüstet worden – darunter aber sind 2,5 Millionen VW, aus denen eine illegale Software entfernt werden musste. Bis zum 1. September sollen die Hersteller die Software-Entwicklung abschließen, bis Jahresende sollen die Updates eigentlich durchgeführt sein – das dürfte eng werden.

Dann kommen die richtig dicken Brocken. „Pauschale Fahrverbote“ sollten vermieden werden, das war ein zentraler Punkt des Dieselgipfels. Zwar gibt es bis heute keine flächendeckenden Verbote. Doch in Hamburg als bundesweit erster Stadt sind zwei Straßenabschnitte in der Innenstadt für ältere Diesel gesperrt – nachdem im Februar das Bundesverwaltungsgericht Fahrverbote grundsätzlich für zulässig erklärt hatte, wenn sie verhältnismäßig sind.

Die Frage ist, in welchem Umfang Fahrverbote nach Hamburg kommen. Die stark belastete Stadt Stuttgart plant von 2019 an Einschränkungen für Diesel der Euro-Abgasnorm 4 und schlechter. Die klagefreudige Deutsche Umwelthilfe, die in der Autobranche als „Abmahnverein“ heftig umstritten ist, will auch woanders weiter Druck für Fahrverbote machen, zum Beispiel in Düsseldorf.

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Es bleibt das in der Politik bis heute umstrittenste Thema: Hardware-Nachrüstungen, und zwar auf Kosten der Hersteller. Nur so ließen sich die Schadstoffe in Städten wirklich ausreichend verringern, die Updates reichten nicht aus – argumentieren Umweltverbände, aber auch die SPD. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist gegen Hardware-Nachrüstungen – er hat rechtliche, technische und finanzielle Bedenken. Auch die Hersteller lehnen solche Nachrüstungen weiter ab: zeitlich zu aufwendig, zu komplex und teuer, außerdem mit negativen Folgen etwa für den Verbrauch, so die Begründung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nun eine Entscheidung innerhalb der Koalition bis Ende September angekündigt.

Es ist vor allem die Frage der Hardware-Nachrüstungen, die bis heute bei Umweltverbänden für die größte Kritik sorgt. So sagt Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Mobilität und Reisen beim Verbraucherzentrale Bundesverband: „Die Dieselfahrer werden komplett alleine gelassen.“

Alleine gelassen fühlen sich viele Dieselfahrer auch an anderer Stelle, nämlich bei der Frage nach Wertverlusten. Der Handel berichtete über viele Autos, die auf den Höfen stehen, weil sie nur noch schwer verkäuflich sind. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt hat es zuletzt wenigstens keine weiteren Preisstürze gegeben, wie die Deutsche Automobil Treuhand (DAT) Mitte Juli berichtete. Auch die Lage bei den Diesel-Neuzulassungen scheint sich nach einer langen Talfahrt stabilisiert zu haben.

Die Dieselkrise dürfte Politik und Branche aber noch lange beschäftigen. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol kritisiert, ein weiteres Verzögern und Vertrösten der Industrie bei den Software-Updates sei nicht akzeptabel. Die Manager müssten außerdem ihren Widerstand gegen technische Nachrüstungen aufgeben. Bartol: „Das Problem drohender Fahrverbote und der damit verbundene Ansehensverlust des Diesels wird sich nicht durch Aussitzen in den Chefetagen von selbst lösen.“

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