Einblick

Dieselgate entlarvt den VW-Größenwahn

Blindheit, Dreistigkeit und Größenwahn: Dieselgate entlarvt die mangelnde Governance bei VW und in der Klimapolitik.

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Die Räder laufen, das Lenkrad steht still. So funktioniert das beim Abgastest FTP 75 (Federal Test Procedure), mit dem die Emission von Dieselfahrzeugen in den USA im Labor auf Einhaltung der Norm geprüft wird. Und so lief es offenbar auch bei Volkswagen in Wolfsburg.

Die Räder surrten, ganz nach dem vom Management ausgegebenen Motto: „Wir müssen schneller, effizienter und beweglicher werden.“ Schließlich will VW weltgrößter Autobauer bleiben. Aber die Lenkung war außer Kraft gesetzt. Sonst hätte der Konzern längst umsteuern, reagieren und an der Spitze Besinnung walten lassen müssen.

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte rumorte seit vergangenem Jahr. Spätestens seit alarmierenden Messungen und Überlegungen zum Rückruf von 500.000 Dieselfahrzeugen im Dezember 2014 hätten alle Warnlichter auf Rot stehen müssen. Aber VW hat nicht reagiert. Offenbar herrschte der Glaube an die eigene Marktposition, die Liebe zur Technik und die Hoffnung, dass niemand etwas merken würde. Wie kann das sein? Ob Blindheit gegenüber der ökonomischen und regulatorischen Realität, ob Dreistigkeit oder auch schlicht Größenwahn die Ursache waren: Es wird den Konzern viel kosten. Vielleicht nicht die Existenz. Aber VW wird nach diesem Betrug nicht mehr dasselbe Unternehmen sein.

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

Kein Ausreißer, sondern systematische Manipulation

Der Erfolg von VW als weltgrößter Autohersteller gilt nur unter Laborbedingungen, das wissen wir nun. Was der Konzern auf die Straße bringt, ist im Dieselsegment manipuliert – eine Kundentäuschung. Deshalb entlarvt dieser Skandal Unternehmenskultur und Unternehmensführung. Nicht die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren „widersprechen allem, für was Volkswagen steht“, wie Martin Winterkorn in seinem Entschuldigungsvideo sagte. Es ist umgekehrt: Die propagierten Unternehmenswerte verpuffen angesichts eines Betrugs dieses Ausmaßes. Der zeigt nämlich keinen Ausreißer, sondern die Regel systematischer Manipulation. VW ist ein Familienunternehmen mit Staatsbeteiligung, das nahezu monarchisch geführt wurde. Es mag gute Geschichten und gute Bilder garantieren, wenn der Chef sich um jede Schraube kümmert. Zeitgemäße Führung sieht anders aus. Wo Zentralismus in der Chefetage herrscht, verkümmert Verantwortung auf den nachgeordneten Ebenen. Man ist eher mit der Absicherung der eigenen Position als mit Fehlerbereinigung beschäftigt.

Der Skandal entzaubert aber auch die europäische Klimapolitik und die Bigotterie der Regulatoren. Wegen der Vorschriften zur Verringerung der CO2-Emissionen hat die Autoindustrie auf den Dieselmotor gesetzt. Anders wären die CO2-Zielwerte ab 2020 nicht zu erreichen. Dass dafür bei den Abgasuntersuchungen getrickst wird, ist lange bekannt. VW hat die Trickserei mit manipulierter Software zum Betrug perfektioniert. Deutsche Ingenieurskunst unter den Bedingungen globalen Wettbewerbs? Statt realistische Werte anzusetzen und deren Einhaltung konsequent zu prüfen, haben Politik und Regulierung weggeschaut. Deutschlands führende Industrie lässt sich nun Hand in Hand mit der Politik von den US-Behörden vorführen. Innerhalb von 48 Stunden sind die Erfolge des weltgrößten Autoherstellers und von Teilen der europäischen Klimapolitik zur Luftbuchung verkommen. Es braucht keinen Stickstoff, dass einem da die Luft wegbleibt.

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