Einkommensabhängige Bußgelder Vor dem Gesetz sind alle gleich – auch vor der StVO

Wer mehr verdient, soll mehr zahlen: Einige Innenminister wollen im Straßenverkehr einkommensabhängige Bußgelder. Was unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit vorgebracht wird, ist aber mehr als unfair.

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Bußgelder im Straßenverkehr Quelle: dpa

Ja, es gibt sie, die Saure-Gurken-Zeit. Jene Zeit, in der so wenig in der Welt passiert, dass Journalisten jede noch so unbedeutende Forderung aufgreifen und zu einer großen Geschichte ausbauen – um leere Zeitungseiten und Internetauftritte zu füllen. So können sich Politiker mit großen Worten und abstrusen Ideen leicht einen Namen machen.

In diese Zeit würde auch folgende Schlagzeile passen: „Innenminister diskutieren einkommensabhängige Bußgelder im Straßenverkehr“. Nur stammt die Meldung leider nicht aus dem Sommer, sondern aus diesem November. Bei einer Konferenz an diesem Dienstag wollen die Innenminister der Länder tatsächlich darüber sprechen.

„Es macht einen Unterschied, ob jemand 200 Euro zahlt, wenn er 2000 Euro verdient oder wenn er 6000 Euro verdient,“, begründet NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) den Vorschlag. Sein niedersächsischer Ressortkollege Boris Pistorius, ebenfalls SPD, hält „je nach Einkommen 1000 Euro schon für angemessen“.

Die ärgerlichsten Bußgelder
Ab dem 1. Mai erhöhen sich die Bußgelder bei vielen Verkehrsdelikten. Wer den TÜV um mehr als acht Monate überzogen hat, der zahlt bald nicht mehr 40 Euro, sondern 60 Euro. Eine Steigerung um 50 Prozent. Genauso teuer wird es, wenn bei Regen, Nebel oder Schnee die falsche Beleuchtung eingeschaltet wird. Auch wenn Kinder nicht (ausreichend) gesichert sind und wenn sich an Schulbussen falsch verhalten wird, muss ab dem 1. Mai 20 Euro mehr gezahlt werden. Quelle: dpa
Viele greifen während der Fahrt schnell mal zum klingelnden Handy. Wer einen Anruf ohne Freisprechanlage annimmt, der zahlt ab dem 1. Mai statt 40 Euro ein Bußgeld von 60 Euro. Quelle: dpa
Um die Autofahrer zum Reifenwechsel anzutreiben, hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer die Bußgelder angehoben: Wer als Autofahrer bei Schnee oder Glätte von der Polizei mit Sommerreifen erwischt wurde, musste 40 Euro bezahlen. Ab dem 1. Mai sind es 60 Euro, eine Steigerung um 50 Prozent. Quelle: AP
Wer ohne eine Umweltplakette in eine Umweltzone fährt, der muss tief in die Tasche greifen. Bisher lag das Bußgeld bei 40 Euro und einem Punkt. Ab Mai sind es 80 Euro - stolze 100 Prozent mehr. Quelle: AP
Die Europäische Union brachte viele Vorschriften. Eine besonders schöne: die Vereinheitlichung von Autokennzeichen. Danach wird auf den neuen europäischen Nummernschildern zwischen der Ortsmarke und der persönlichen Buchstaben- oder Zahlenkombination kein Bindestrich mehr gesetzt. Auch diese Tatsache kann Geld kosten. Nämlich dann, wenn im Fahrzeugschein der Strich noch abgedruckt ist, Kennzeichen und Dokument also nicht übereinstimmen. Ein deutscher Autofahrer musste jetzt in Italien genau für diesen Lapsus 500 Euro Bußgeld bezahlen. Wer gar kein Kennzeichen am Auto hat, der muss ab dem 1. Mai eine Strafe von 60 Euro zahlen. Davor waren es 20 Euro weniger. Wenn das Kennzeichen zwar da, aber abgedeckt und deshalb nicht zu erkennen ist, wird eine Strafe von 65 Euro fällig. Vor dem 1. Mai lag das Bußgeld für dieses Vergehen bei 50 Euro und einem Punkt. Quelle: dpa
Radarwarngerät Quelle: dpa
Umweltschutz wird in Deutschland groß geschrieben. Je nach Bundesland können Ordnungswidrigkeiten zu Lasten der Natur teuer werden. Wer seinen ausgesonderten Hausstand und Krempel in freier Natur ablädt, kann je nach Menge mit bis zu 2.500 Euro belangt werden, gleiches gilt für die unrechtmäßige Entsorgung von Altreifen. Deutlich höhere Strafen sind fällig, wenn gefährlicher Müll, wie etwa Asbestplatten, zurückgelassen werden. Quelle: dpa

„Gleiche Bußgelder für jeden sind sozial höchst ungerecht“, hatte Pistorius jüngst noch im Bundesrat gesagt. Aus sozialen Gesichtspunkten mag Pistorius sogar Recht haben, doch in anderen Bereichen ist der Vorstoß mehr als fragwürdig.

Ja, die Straßenverkehrsordnung ist formal eine Rechtsverordnung und eben kein Gesetz. Aber dennoch baut die Bundesrepublik auf einem juristischen Fundament auf, festgehalten in Paragraph 3 des Grundgesetzes: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Ein für alle faires Verhältnis lässt sich nicht finden

Diese Gleichheit bedeutet, dass die Strafe – sei es nur ein zu zahlendes Bußgeld – immer im Verhältnis zum Verstoß stehen muss. Doch welches Verhältnis ist fair? Werden Bußgelder für bestimmte Einkommens-Stufen gebildet oder einfach ein konstanter Prozentsatz des Einkommens festgelegt?

Was Raser wissen müssen

Das Problem: Es ist nicht fair zu lösen. Dem Einkommensschwachen tut jeder einzelne Euro weh. Die Mittelschicht kann mehr verkraften – doch welche Summe wirklich schmerzhaft ist, hängt nicht nur vom Einkommen, sondern auch von den individuellen Ausgaben und Verpflichtungen ab. Soll man das auch noch einbeziehen? Und bei dem Superreichen setzt sicher kein Lerneffekt ein, selbst wenn er mal eben das Jahresgehalt eines Arbeiters überweisen muss.

Beispiel gefällig? Finnland hat als eines der wenigen Länder einkommensabhängige Bußgelder. Das führt unter anderem dazu, dass ein Millionenerbe für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h 170.000 Euro zahlen musste. Oder ein Industrieller, der für 27 km/h zu viel 95.000 Euro zahlen musste. Oder Formel-1-Star Kimi Räikkönen, der die Papiere für seinen Bootsanhänger nicht dabei hatte – 30.000 Euro.

Wird bei einem der Herren dadurch ein Umdenken einsetzen? Vermutlich nicht.

Natürlich könnte man auch Härtefälle am unteren Ende der Einkommensskala aufführen, um die Argumentation von Pistorius zu stützen. Doch auch hier lösen hypothetische Gedankenspiele nicht ganz praktische Probleme, die den Nutzen der neuen Bußgeld-Festsetzung mehr als auffressen.

Vor jedem Bußgeldbescheid müsste das Amt erst recherchieren, wie hoch Einkommen und daraus resultierend das Bußgeld am Ende sind. Ein potenzielles Bürokratiemonster mit zweifelhaftem Effekt.

Einige Experten sind sogar der Meinung, dass generell höhere Strafen notorische Verkehrssünder nicht von ihrer Raserei abhalten werden. „Denn sie kennen in der Regel die stationären Blitzer, und mobile Kontrollen sind selten“, sagt etwa der Vorsitzende des Auto Club Europa, Stefan Heimlich. Sinnvoll sei es hingegen, häufiger zu kontrollieren.

Mehr Kontrollen wären in der Tat sinnvoll, doch sie kosten Geld. Geld, das weder Jäger noch Pistorius ausgeben wollen. Sie wollen nur Geld einnehmen.

Deshalb sollten sie die StVO nicht zum Spielball politischen Kalküls machen, sondern ihren Vorstoß einfach ehrlich benennen: eine Reichensteuer. Mehr ist es nicht.

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