Elektrisch und autonom ab 2021 BMWs Technologie-Flaggschiff iNext betritt die Bühne

BMWs neuer Trendsetter iNext soll wohl unter dem Namen i5 auf den Markt kommen und ab 2021 in Serie gehen. Quelle: BMW

In Kalifornien präsentiert BMW-Chef Harald Krüger sein neues Technologie-Flaggschiff iNext, das elektrisch und autonom fährt und 2021 in Serie gehen soll. Ein Trendsetter, der sowohl zu spät als auch zu früh kommt.

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„Trailblazer“ ist das neue Modewort der Wirtschaft. Jeder will einer jener Wegbereiter sein, die mutig einen neuen Pfad bahnen und mit leuchtendem Beispiel ihrer Zunft vorangehen. Oder vielmehr rollen. Wie bei BMW. Dort soll der sogenannte iNext die vielbeschworene Schneise in die Zukunft des Automobils schlagen. Rein elektrisch, mit einer Reichweite von mindestens 600 Kilometern und einem Sprint von 0 auf 100 in unter vier Sekunden, versteht sich, vor allem aber selbstfahrend. Seit ein paar Wochen fliegt der Münchner Konzern seine Interpretation des Autos der nächsten Dekade an Bord einer Frachtmaschine um die Welt, um es Journalisten, Politikern und Investoren zu präsentieren.

Auf der Los Angeles Auto Show stellen die Münchner ihr künftiges Technologie-Flaggschiff nun erstmals ganz offiziell der Weltöffentlichkeit vor. „Es zeigt die Zukunft der Mobilität“, behauptet BMW-Vorstandschef Harald Krüger, der dafür gemeinsam mit Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich und Design-Chef Adrian van Hooydonk nach Kalifornien gereist ist. „Sie ist autonom“, ergänzt Fröhlich.

In der kalifornischen Metropole präsentierte BMW vor fünf Jahren das Serienmodell seines Elektroautos i3. Nicht jedem gefiel der Kleinwagen mit der geringen Reichweite und der Innenausstattung aus wiederverwerteten Materialien. Doch BMW etablierte damit seine eigene Nische im damals taufrischen Markt für Elektroautos. Kritiker monieren jedoch, dass die Münchner noch immer nicht konsequent genug auf Elektroautos setzen. „Wir sind vor über zehn Jahren gestartet als an der E-Mobilität noch gezweifelt wurde“, verteidigt sich Krüger. „Wir sind weiterhin ganz vorn damit.“

Der neue Trendsetter, der 2021 in Serie gehen und in Dingolfing gefertigt werden soll, wirkt im Vergleich zum i3 wie von einem anderen Planeten. In ihn hat BMW alles gepackt, was der Autobauer als Schlüsseltechnologien des nächsten Jahrzehnts betrachtet. Noch ist es ein Show-Objekt. Doch schon im nächsten Jahr sollen mindestens 100 Prototypen weltweit getestet werden. Zum Preis schweigt sich BMW aus. Doch er soll angeblich bei 80.000 Euro beginnen.

Das Antlitz des Geländewagens mit Karbon-Karosse bewahrt die klassischen, im Windkanal bewährten, Autoformen. Ebenso wie ein angedeuteter Kühlergrill, der im Elektroauto eigentlich überflüssig ist. Das Auto wirkt groß und geräumig, angesiedelt zwischen dem X5 und dem X6. Die Außenspiegel sind durch Kameras ersetzt.

Das Futuristische hat BMW-Designchef van Hooydonk dafür umso stärker in den Innenraum verlegt: Eine großzügig verglaste Wohlfühlzelle inklusive Panoramadach mit Rundumsicht, Liegesesseln, Projektor, Touchscreens und Tischen. Sie soll an ein schickes Boutique-Hotel erinnern. Auch durch Stoffbezüge, die laut Matthias Junghanns, dem Designchef für die Innenausstattung der i-Reihe, „veganen Luxus“ verströmen.

Damit die klassische Markenbotschaft von der Freude am Fahren nicht zu kurz kommt, hat auch das Lenkrad überlebt, dessen eckige Form an Raumschiff Enterprise erinnert. BMW offeriert einen „ease-Modus“ und einen „boost-Modus“. Die englischen Begriffe sollen weltweit verwendet werden. „Im ‚ease-Modus‘ kann man entspannen“, erklärt Krüger. „Im ‚boost-Modus‘ genießt man das Fahren.“ Aber die meiste Zeit, zumindest auf der langen Strecke – so schwebt es jedenfalls Entwicklungsvorstand Fröhlich vor – soll der iNext automatisch fahren. Im sogenannten Level-3-Modus, bei dem das Auto automatisch fährt, der Fahrer jedoch immer noch nötig ist. Er übernimmt, wenn er Lust hat – oder wenn der Wagen die Autobahn beziehungsweise den Highway verlässt, denn nur dort wird BMW zum Marktstart 2021 die Automatik offerieren. Beim Verlassen beginnt der blaue Ring auf dem Lenkrad zu blinken, wird gelb und schließlich rot. Spätestens dann muss der Fahrer innerhalb von zehn Sekunden übernehmen, sonst fährt der Wagen automatisch auf den Seitenstreifen und stoppt.

Mit der Automatik wollen sich die Münchner vom Wettbewerb abheben. Denn: „Elektromotoren werden im kommenden Jahrzehnt ganz selbstverständlich sein“, sagt Fröhlich, der zuvor die Strategie bei BMW verantwortete. Für ihn ist Elektro die „neue Normalität. Jetzt geht es um Autonomie“. Und schiebt als Seitenhieb hinterher: „Zumindest für uns.“

Bis Weihnachten müssen alle Vorstände eine Level-4-Fahrt gemacht haben

Der iNext, der wahrscheinlich i5 heißen wird, ist ein Flaggschiff der Widersprüche. Es ist ein Produkt, das das Kunststück vollbringt, sowohl zu früh als auch zu spät zu sein.

Zu spät, weil dem einstigen Trendsetter BMW in den kommenden Jahren die elektrische Konkurrenz davonzufahren droht. Tesla stellt in Nordamerika die deutschen Premiummarken BMW, Mercedes und Audi bereits bei den Verkäufen in den Schatten. In China, dem größten Markt für Elektrofahrzeuge, wimmelt es von Newcomern wie Nio oder Byton.

So mancher BMW-Fan wäre mit einem reinrassig elektrischen BMW im klassischen 3er oder 5er Gewand mit hoher Reichweite schon sehr zufrieden. Stattdessen haben sich die Münchner in den vergangenen Jahren hauptsächlich auf den Kleinwagen i3 kapriziert. Um, wie Fröhlich erklärt, den Elektroautomarkt besser zu verstehen und die nötigen Skaleneffekte bei Produktion und Komponenten zu schaffen.

Zeitgleich ist der iNext zu früh, weil man sich nicht vorstellen kann, dass die Regulierer in den nächsten drei Jahren tatsächlich die rechtlichen Voraussetzungen fürs autonome Fahren festzurren. Selbst dort, wo es am Willen nicht mangelt, wie in China und Nordamerika. Dafür gibt es zu viele Unwägbarkeiten. „Es muss nur ein spektakulärer Unfall mit vielen Opfern passieren, der alle Pläne über den Haufen wirft“, warnt der Silicon-Valley-Zukunftsforscher Paul Saffo.

Zwar hat BMW vorgesorgt, indem sich der iNext auch klassisch steuern lässt, also mit dem sogenannten „boost-Modus“. Trotzdem wäre es für dessen Besitzer frustrierend, wenn die ganzen schönen Fahrsysteme nur in Sonderfällen genutzt werden dürfen.
Aber noch schlimmer wäre der GAU für Autohersteller, wenn das autonome Fahren doch rascher alltäglich wird als gedacht und man plötzlich der Konkurrenz wegen zu viel Rücksichtnahme hinterherhinkt. Deshalb muss BMW das Risiko wagen.

Das hält Fröhlich jedoch für nicht besonders groß. Die größte Unsicherheit sind für ihn die Regulierungsbehörden, „die in Europa leider aus Erfahrung sehr langsam sind.“ Die Selbstfahrtechnologie, die gemeinsam mit dem Halbleiterhersteller Intel und dessen israelischer Selbstfahrtochter Mobileye entwickelt wurde, ist laut Fröhlich einsatzbereit. Auf Level 3 ohnehin, allerdings auch auf Level 4, welches keinen Fahrer mehr benötigt.

Der Fokus der BMW-Ingenieure liegt darauf, in den kommenden Jahren Level 3 so zu verbessern, dass es auch für den Einsatz im Stadtverkehr fit ist. Fröhlich ist so von den Fähigkeiten seiner Selbstfahrtechnologie überzeugt, dass er seine Vorstandskollegen damit auf die Straße schickt. „Bis Weihnachten müssen alle Vorstände eine Level-3- und eine Level-4-Fahrt gemacht haben“, verrät er. Die Level-3-Touren führen in München auf der Autobahn in Richtung Messegelände. Bei Level-4-Fahrten geht es ins Münchner Stadtgebiet – von Unterschleißheim bis zum BMW-Forschungszentrum.

Schneller schlau: Die fünf Stufen des autonomen Fahrens

Klar ist: Das nächste Jahrzehnt wird für die klassischen Autohersteller ein Abenteuer. Nicht nur der Übergang zu Elektroantrieben steht bevor, auch die Autonomie wird immer wichtiger.

Stefan Krause, der ehemalige Finanzvorstand von BMW, und Ulrich Kranz, der Vater des i3, sind überzeugt, dass klassische Autohersteller den Wandel zu elektrischen Fahrzeugen aus sich heraus nicht hinbekommen werden. „Sie sind viel zu sehr auf das Geschäft mit den Verbrennern fixiert“, sagt Krause. Dort kommen schließlich die Gewinne her. Deshalb haben Krause, Kranz und der ehemalige Opel-Chef Karl Thomas Neumann in Los Angeles ihr eigenes Auto-Startup namens Evelozcity gegründet, das sich ganz auf das Entwickeln von elektrischen und autonomen Fahrzeugen fokussiert. Bei Erfolg wird es sicherlich von einem der klassischen Hersteller erworben.

Der Spagat zwischen Alt und Neu

Den wesentlich schwereren Job haben Krauses und Kranz' Ex-Kollegen wie Entwicklungsvorstand Fröhlich. Er muss nicht nur den Wandel zum autonomen Fahren bewerkstelligen, sondern auch noch den Spagat zwischen elektrischen Antrieb und Verbrennern meistern, inklusive veränderten Geschäftsmodellen.

In den nächsten drei Jahren sollen fünf Modelle mit Akku auf den Markt kommen, bis 2025 nochmal mindestens sieben Modelle dazu. Wie der Mix aus reinen Elektroautos und Hybriden aus Akku und Verbrennungsmotor aussehen soll, wird noch debattiert.
Im Jahr 2025, so das offizielle Ziel, sollen elektrifizierte Fahrzeuge zwischen 15 bis 25 Prozent des BMW Umsatzes beisteuern.

Das bedeutet allerdings auch, dass Mitte der Dekade das Gros des Umsatzes weiterhin mit Verbrennern erwirtschaftet wird. „Sogar weit mehr als 75 Prozent, weil wir neben reinen Elektroautos auch Plug-ins haben werden“, sagt Fröhlich.

Jürgen Pieper: „Zweidrittel der Probleme sind bei BMW hausgemacht“

Die Münchner werden deshalb auf Jahre hinaus in derzeit geschmähte Antriebe wie den Dieselmotor investieren müssen. Unpopulär zwar, zumindest in Deutschland, aber realistisch. Denn die nötige Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge muss erst noch erheblich ausgebaut werden. Trotzdem, behauptet Fröhlich zumindest, habe er keine Probleme seine Talente für Verbrennungsmotoren zu motivieren. „Die bekommen ja nicht nur die Diskussion in Deutschland mit, sondern sehen ja, was in der Welt nachgefragt wird.“ Und die Strategen bei BMW sind noch nicht überzeugt, dass die Nachfrage nach reinen Elektrofahrzeugen tatsächlich so groß ist, wie oft behauptet. Beim iNext haben die Münchner die Prioritäten deshalb nach Erdteilen sortiert. Zunächst Asien, dort vor allem China. Dann Nordamerika. Danach erst Europa.

Dass ein Spagat zwischen Alt und Neu durchaus erfolgreich sein kann, zeigt Microsoft. Der in den Neunzigerjahren übermächtige Softwaregigant galt als abgeschrieben, nachdem er den Übergang vom klassischen Computer zum Smartphone verpatzte. Der neue Konzernchef Satya Nadella richtete die Hauptumsatzbringer Windows und Microsoft Office allerdings schrittweise stärker auf das Mietsoftwaremodell aus, obwohl das zunächst Umsatz und Profit schmälerte. Doch der Erfolg gibt ihm letztendlich Recht. Denn nachdem Apples Börsenwert wegen Zweifeln an der Nachfrage nach seinem Bestseller iPhone in den vergangenen Wochen heftig einbrach, fand sich Microsoft in der vergangenen Woche dort, wo niemand den Konzern mehr gewähnt hatte: Kurzzeitig war der Softwaregigant wieder das wertvollste Unternehmen der Welt.

Bei BMW wäre schon eine eigenständige Zukunft viel wert. Dafür lohnt es sich, neue Wege zu gehen. So ungewohnt und unsicher diese auch sein mögen.

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