Elektroautos deutscher Hersteller Eine Geschichte der verpassten Chancen

Bis 2020 wollen Daimler, VW und Co den Durchbruch bei Elektroautos schaffen. Die Historie des Elektroautos aus deutschen Autounternehmen ist geprägt von Fehlentscheidungen und irrigen Annahmen.

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Elektroauto: Geschichte der verpassten Chancen. Quelle: Presse

In Zeiten, in denen intensiv über die Zukunft von Dieselmotoren und Elektroautos diskutiert wird, mutet diese Meldung skurril an: VW stellt den e-Golf ein. Mit dem Modellwechsel zur achten Generation streicht VW die Elektrovariante seines Bestsellers. So hat es Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann der australischen Autozeitschrift „Drive“ bestätigt.

Wie kann es sein, dass ein Konzern, der bis 2025 ein Viertel seiner Autos mit Elektroantrieb verkaufen will, die E-Variante seines Kernprodukts vom Markt nimmt?

Weil es richtig ist.

Denn das Ende des e-Golf ist auch der Bruch mit Fehlern, die Volkswagen in der Vergangenheit gemacht hat. Ein Bruch mit einer langen Liste an falschen Annahmen über die Zukunft, die noch aus der Ära von Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn stammen.

Piëch war kein Freund von Elektroautos

Zu jener Zeit war die Stimmung im Konzern klar: „In meiner Garage ist kein Platz für ein Elektroauto.“ Dieser Satz von Piëch, mächtiger Boss des Aufsichtsrats, gab das Leitbild vor. Und Winterkorn als Vorstandsvorsitzender handelte entsprechend: Geld für eine eigene Elektroauto-Plattform gab es nicht. Zu teuer, zu riskant. Stattdessen sollte – wenn überhaupt nur in ausgewählten Modellen – ein E-Antrieb anstelle des geliebten Diesels eingebaut werden.

Und damit waren die zaghaften Elektro-Projekte von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Ein großer Verbrennungsmotor samt Getriebe vorne, das Abgassystem unter dem Auto und hinten ein ungefähr 60 Liter großer Tank – so hat VW seine Autos gebaut. Und das sehr erfolgreich, schließlich ist das das richtige Konzept für einen Benziner oder Diesel.

Ein Elektroauto hat an den Bauraum aber ganz andere Anforderungen. Der oder die Motoren sind verhältnismäßig klein und leicht, die Batterien hingegen sind groß und schwer. Tesla und Nissan bauen aus diesem Grund ihre Batterien flach in den Unterboden ihrer Elektroautos. Sprich: Ein Benziner oder Diesel wird um den Verbrennungsmotor und seine Anbauteile herum konstruiert. Bei einem E-Auto gibt quasi der Tank in Form des Akkus die Konstruktion vor. Planen die Ingenieure ein E-Auto mit dem tradierten Aufbau, müssen sie Kompromisse eingehen. Und Kompromisse ergeben ein Fahrzeug, das weder Fisch noch Fleisch ist – und damit fast unverkäuflich.

Elektroautos im Kostenvergleich

Deshalb soll der Golf VIII nur noch mit Verbrennungs- und Hybridmotoren auf den Markt kommen – und daneben die Serienversion des I.D. als Elektroauto auf einer eigenen Basis. VW entwickelt an dem Elektro-Baukasten MEB, auf dem dann verschiedene Varianten des I.D., der Elektro-Bulli, aber auch der Skoda Vision E aufbauen werden. Das Problem: Es ist erst 2020 soweit. Das Kompakt-Segment der Elektroautos haben dann schon Tesla mit dem Model 3 und Nissan mit der zweiten Generation des Leaf längst besetzt.

Die Episode rund um den e-Golf und I.D. ist nicht die erste, aber auch nicht die letzte verpasste Chance eines deutschen Autobauers, in das Geschäft mit der Elektromobilität erfolgreich einzusteigen. Genügend Möglichkeiten auf den Zug aufzuspringen – von eigenen Trends setzen ganz zu schweigen – gab es in der Vergangenheit reichlich.

Die zündenden Ideen haben andere

Damit ist nicht die weit entfernte Vergangenheit gemeint, als die Elektromobilität ab den 1890er Jahren vielerorts eine erste Blütezeit erlebte und mit dem Lohner-Porsche und der Elektrischen Viktoria von Siemens auch im deutschsprachigen Raum vielversprechende Modelle entwickelt wurden. Die Argumente, weshalb der erste Elektro-Boom ab 1910 wieder verpuffte, klingen den heutigen sehr ähnlich: Akkus sind teuer, schwer und sensibel, Benzin ist billig und ohnehin viel leichter zu transportieren.

Selbst in der Öl-Krise 1973 haben es die Elektroautos nicht geschafft, sich als echte Alternative zu Benzin und Diesel zu etablieren. Bei den großen Autobauern kam der Elektromotor erst wieder Anfang der 1990er Jahre auf die Agenda – als der erste Golf-Krieg das Öl verteuerte und in Kalifornien strenge Umweltgesetze erlassen wurden, die eine stufenweise Einführung von emissionsfreien Fahrzeugen vorsah.

Die Elektro-Schocker
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Selbst das gestiegene Umweltbewusstsein in der Bevölkerung konnte die Chefetagen in Stuttgart, Wolfsburg oder München nicht davon überzeugen, konsequent auf den Strom zu setzen. Statt mit der geballten Finanzkraft und Manpower ihrer Entwicklungsabteilungen das Thema voranzutreiben, beschränkte sich die Industrie auf einzelne Pilotprojekte. So finanzierten VW, die damalige Daimler-Benz AG, BMW, Opel und der Bushersteller Neoplan mit 60 Millionen Mark einen Feldversuch auf der Insel Rügen. Mit 60 Fahrzeugen sollte hier im kleinen Maßstab die Praxistauglichkeit erprobt werden.

Viele Projekte liefen nur halbherzig

Doch es hakte von Anfang an. Das kleine Team musste auch die Infrastruktur selbst aufbauen, etwa eine Ladesäule und die Solar-Anlage auf dem Werkstattdach. Anstatt den elektrischen Alltag zu erleben, musste das Team um den früheren VW-Entwickler Christian Voy vor allem mit den Kinderkrankheiten der unausgereiften Testfahrzeuge kämpfen. Zu oft streikten die Batterien oder simple Teile wie ein Stecker. Keine unlösbaren Probleme angesichts der gewaltigen Entwicklungsbudgets, könnte man meinen. Dennoch verloren die Hersteller das Interesse. Später spotteten viele: Für die Autobauer habe sich das Projekt gelohnt. Weil sie beweisen konnten, dass Elektroautos nicht funktionieren.

Es war nicht das einzige Projekt, das die deutschen Autobauer nur halbherzig begleiteten – und so nie zum Erfolg brachten. Ein anderer, vielversprechender Ansatz: Ein knuffiges Stadtauto, extrem kompakte Abmessungen, zwei Sitze, ein kleiner Kofferraum, verpackt mit einer knallbunten Karosserie. Und als Cityflitzer gab es nur einen passenden Antrieb: Elektromotoren.

Nur spartanisch reicht nicht
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG
e.GO Life Quelle: e.GO Mobile AG

Diese Idee stammte allerdings weder aus der Forschungs- oder Marketingabteilung eines Autobauers oder eines anderen Unternehmens aus der Mobilitätswelt. Sondern von einem Uhrenhersteller.

Nicolas Hayek, Gründer und Chef der Swatch Group, hatte die Vision eines kleinen, umweltfreundlichen und bezahlbaren Stadtautos. Das „Swatch-Mobil“ sollte sich aufs Wesentliche konzentrieren – zwei Personen, ein Sixpack Bier und das für weniger als 10.000 Franken. Zur Umsetzung der Vision benötigte Hayek Hilfe. Und fand sie in Wolfsburg.

Smart wird elektrisch – mit fast 25 Jahren Verspätung

Doch die Chemie passte nicht in der schweizerisch-niedersächsischen Liaison. Das Swatch-Team wollte sich an Hayeks Vision halten und arbeitete nach dem Motto „reduce to the max“. Den VW-Leuten habe wiederum schwebte ein Auto vor, „dessen einzige Innovation darin bestand, statt vier Sitzen zwei anzubieten“, lästerte ein damaliger Projektbeteiligter später gegenüber dem Magazin „brand eins“. Volkswagen verlor nach nicht einmal zwei Jahren das Interesse und stieg aus dem Swatch-Projekt aus – kurz nachdem ein gewisser Ferdinand Piëch in Wolfsburg zum Vorstandsvorsitzenden aufgestiegen war.

Im März 1994 stieg Daimler-Benz in das Projekt ein. Doch auch hier kriselte es schnell. Swatch wollte am E-Konzept festhalten und nicht nur ein weiteres kleines Auto bauen. Der damalige Forschungs- und Entwicklungsvorstand der Daimler-Benz AG beharrte auf einem einfachen und günstigen Benzinmotor. Sein Name: Dieter Zetsche.

Zetsche setzte sich durch – das spätere Serienauto bekam einen Benziner. Das Serienauto kennen wir heute als Smart. Und hat mit den Plänen des Swatch-Teams nur noch wenig gemein. Entnervt verkaufte Hayek seine Anteile am Gemeinschaftsunternehmen an die Stuttgarter. Die nächste Chance vertan.

Zetsche mag einen guten Grund gehabt haben, beim Kleinstwagen Smart nicht auf den Elektroantrieb zu setzen – weil er parallel an einem anderen, aus seiner Sicht vielversprechenderen Projekt arbeitete. Der A-Klasse. Eine Besonderheit des 1997 erschienenen Autos war neben der Tatsache, dass der Wagen bei dem bis dahin unbekannten Elchtest umkippte, die Bauweise des kleinsten Mercedes. Statt wie der Golf als klassischer Kompaktwagen, wurde die A-Klasse deutlich höher gebaut. So entstand zwischen Bodenblech und Passagierraum ein Hohlraum – der Sandwich-Boden. „Dieser ist Teil des aufwändigen Sicherheitskonzepts und bietet außerdem Platz für Komponenten möglicher alternativer Antriebe, beispielsweise Batterien oder Wasserstofftanks“, jubelte der Konzern.

Die elektrische A-Klasse war 1997 praxistauglich

Doch es blieb bei „möglich“: Mehrere Prototypen der A-Klasse Electric wurden gebaut, damals noch mit einer sogenannten Zebra-Batterie auf Natrium-Nickelchlorid-Basis – eine exotische Eigenentwicklung, die sich von den üblichen Bleiakkus oder heutigen Lithium-Ionen-Batterien grundlegend unterscheidet. Der Sandwichboden ist im Grunde genommen das, was Tesla und Nissan heute auch machen. Die Reichweite der A-Klasse lag bei 200 Kilometern. Im Jahr 1997.

Doch dann kam die Wende von der Wende: Die Gesetze in Kalifornien, die eine feste Elektroauto-Quote von 1998 an vorsahen, traten doch nicht in Kraft. Und so hat Mercedes die elektrische A-Klasse nicht auf den Markt gebracht, nicht bringen müssen.

Die Möglichkeiten des Sandwich-Bodens hat Daimler auch in der Folge kaum genutzt. von der zweiten Generation der A-Klasse gab es 2011 eine Kleinserie von 500 Exemplaren. Das Fachmagazin „Auto, Motor und Sport“ attestierte der A-Klasse Electric Drive ein „sehr gutes Ergebnis“ – und eine real gemessene Reichweite von 207 Kilometern. Später entstand noch eine elektrische B-Klasse. Doch auch die ist im Jahr 2017 wieder eingestellt worden.

So dauerte es bis zum Jahr 2013, bis es wieder ein nennenswertes Elektroauto auf den Markt kam. Bei Volkswagen der e-Up – nach dem beschriebenen, konventionellen Konzept – und bei BMW der i3. So erfolgreich wie erhofft sind beide Modelle nicht geworden. Der VW, weil er zu teuer und zu konventionell war. Der BMW, weil er vielen Kunden womöglich zu futuristisch war.

So will Tesla den Massenmarkt elektrisieren
Tesla-CEO Elon Musk stellt das Model 3 vor Quelle: AP
Das Model 3 feierte seine Premiere im Tesla Motors Design Studio im kalifornischen Hawthorne. Quelle: AP
Tesla Model 3 Quelle: PR
Tesla Model 3 Quelle: PR
Einige Kunden warteten schon einen Tag vor der Präsentation vor den firmeneigenen Shops: Quelle: dpa
Tesla Model 3 Quelle: PR
Elon Musk im Jahr 2010 anlässlich des Tesla-Börsengangs an die Nasdaq Quelle: AP

Doch BMW hat eine Chance gesehen und sie ergriffen. Und nicht schnell wieder die Reißleine gezogen. Ob BMW noch einen Vorsprung hat und wie groß dieser ist, wird sich bald zeigen. Die große E-Auto-Offensive wurde lange angekündigt, steht aber jetzt erst vor der Tür. Mercedes, Audi, Volkswagen und Porsche kommen jetzt mit ihren Elektroautos – dieses Mal allesamt als reine E-Fahrzeuge entwickelt.

Der größte Sprung steht aber bei Smart an. Auf der IAA kündigte – ausgerechnet – Dieter Zetsche an, dass Smart ab 2020 nur noch Elektroautos anbieten wird. „Damit wird Smart die erste Automobilmarke, die konsequent vom Verbrenner-Portfolio auf ein reines Elektro-Portfolio umsteigt“, so der Daimler-Chef.

Was er nicht sagte: Mit fast 25 Jahren Verspätung.

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