Elektromobilität Eine Stadt unter Strom

Elektromobilität: Shenzhen zeigt, wie es geht Quelle: Presse

Während in Deutschland die Elektromobilität stockt, hat die chinesische Metropole Shenzhen innerhalb weniger Jahre mehr als 16.000 Elektrobusse auf die Straße gebracht. Wie geht das?

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An der Bushaltestelle Zhongxin Shucheng im Zentrum der chinesischen Metropole Shenzhen beschleunigt Li Tianyuan sein tonnenschweres Gefährt auf 40 Stundenkilometer. Der Akku seines Busses steht bei 84 Prozent, noch 220 Kilometer bis zum Aufladen. In drei Minuten wird er die nächste Haltestelle erreichen. Duan Fanfang lehnt sich zufrieden zurück. Alles in Ordnung bei diesem Kollegen. Sie hat ihn ganz genau im Blick. Dabei sitzt sie gar nicht im Bus, neben Fahrer Li. Von einem Büro in einem mehrstöckigen Gebäude der städtischen Busgesellschaft aus, einige Dutzend Kilometer entfernt, kontrolliert die schmale Frau nicht nur Lis Elektrobus – sondern alle 16.300 in Shenzhen.

Jeder einzelne schiebt sich als ein grüner Punkt über einen digitalen Stadtplan auf Duans Bildschirm: Welcher Fahrer ist wo unterwegs, wie viel Strom hat welcher Bus noch, wie viele Fahrgäste steigen ein? „Wir können alles steuern“, sagt Duan. Fährt ein Fahrer zu schnell, verwarnt sie ihn. Kommen mehr Passagiere, schickt sie mehr Busse. Regelmäßig werden neue Haltestellen eröffnet. Wo die hinkommen, entscheidet ein Algorithmus. Die Einwohner von Shenzhen können per App Vorschläge machen.

Was Duan und ihre Kollegen da in Shenzhen leisten, ist kein Modellversuch. Es ist gelebter Alltag. Binnen weniger Jahre hat die Stadtregierung alle alten Dieselbusse ausgetauscht – und die E-Busse an das Kontrollzentrum angeschlossen. Wichtiger aber: Was hierzulande als kaum machbar gilt, für Millionenmetropolen ebenso wie für mittlere Städte, ist dort heute schon Wirklichkeit. Während in Deutschland selbst riesige Verkehrsbetriebe wie die Berliner BVG, die etwa 1400 Busse betreibt, lediglich ein paar E-Mobile zu Testzwecken unterhalten, stößt in Shenzhen kein Bus mehr Ruß aus. Nicht nur die Flotte der durch deutsche Städte rollenden Busse ist mit 40.000 Fahrzeugen deutlich kleiner als in China. Die Ambitionen sind es ebenso: Laut einer Studie der Unternehmungsberatung PwC wollen die hiesigen Verkehrsbetriebe in diesem Jahr gerade einmal 162 Elektrobusse anschaffen.

Die grüne Revolution in China ist staatlich verordnet. Die E-Busse boomen, weil die Regierung Geld dazugibt. So senkt sie die Luftverschmutzung – und stärkt im Rennen um die technologische Vorherrschaft ihre Automobilindustrie. Peking investiert durch Staatsfonds und Subventionen Milliarden in die Elektromobilität. Mit Erfolg: Im ganzen Land gibt es inzwischen mehr als 60 heimische Marken für E-Fahrzeuge. Im vergangenen Jahr wurden bereits 777.000 rein batteriebetriebene Fahrzeuge sowie Plug-in-Hybride, also Benziner mit einem Elektromotor, verkauft. Von nächstem Jahr an müssen Autobauer eine Mindestquote an E-Autos herstellen, sonst drohen hohe Strafen.

Peng Kewen ist für die Technik am Busbahnhof im Norden Shenzhens zuständig. Seine Schutzkleidung lässt ihn bei 25 Grad in der Sonne schwitzen. Ansonsten ist der Mittdreißiger nur mit einem Handy ausgerüstet. Der Platz ist an diesem Nachmittag recht leer. An einem Bus wird gerade in der Werkstatt geschraubt, ein anderer lädt. Getankt wird eigentlich nur nachts, wenn der Strom am günstigsten ist. Aber im Notfall kommen die Busfahrer auch tagsüber. Allerdings dürfen sie dies nur, wenn die Batterie unter 20 Prozent fällt. In der Stadt, in der stets Sommer ist, brauchen die Busse eine Klimaanlage – und die frisst bis zu einem Drittel der Energie. Deshalb darf die Klimaanlage die Luft in den Bussen nur auf maximal 23 Grad herunterkühlen. „Wir haben eine strikte Stromsparregel“, sagt Peng.

Die Elektrobusflotte von Shenzhen

Mehrere Millionen Menschen nutzen jeden Tag den öffentlichen Nahverkehr allein in der Zwölf-Millionen-Stadt Shenzhen. 5,7 Millionen Fahrten registriert Shenzhen jeden Tag auf den 900 Buslinien: Die Flotte ist größer als in New York, Los Angelos, Chicago und Toronto zusammen. Die grün lackierten Busse, die sich seit einigen Monaten fast geräuschlos durch den Verkehr schieben, stammen zum größten Teil aus einem Werk von BYD, dem chinesischen Hersteller mit Sitz 40 Kilometer außerhalb der Stadt.

Gelenkt und geladen

BYD steht für „Build your dreams“ – erschaffe deine Träume. Der große Vorteil der Firma ist, dass sie nicht so sehr an ihrem etablierten Geschäft hängt wie die deutschen Anbieter: Während Daimler und MAN frühestens Ende des Jahres eigene Elektrobusse auf die Straße bringen wollen, haben die Städte in China mithilfe chinesischer Hersteller große Teile ihres Nahverkehrs bereits umgerüstet. Der Börsenwert des 1995 gegründeten Unternehmens, an dem sich 2008 auch US-Starinvestor Warren Buffett beteiligte, liegt inzwischen bei etwa 15 Milliarden Dollar. Allein im Reich der Mitte verkaufte BYD im vergangenen Jahr 110.000 Elektroautos. Und mit dem Heimatmarkt geben sich die Chinesen längst nicht mehr zufrieden.

Am Eingang des gewaltigen Firmensitzes, in dem 20.000 der insgesamt 200.000 Beschäftigten des Unternehmens arbeiten, steht ein neues Pkw-Modell mit schwarz-weißem Tarnmuster. Lautlos gleitet ein Denza vorbei, einer jener Edelstromer, den BYD in einem vor acht Jahren gegründeten Joint Venture mit Daimler entwickelt hat und seit 2014 in Serie fertigt. Und über den Köpfen der Mitarbeiter, die auf dem Werksgelände entlanglaufen, rauscht bereits das nächste Projekt hinweg. BYD baut Einschienenbahnen, in denen die Menschen in den Metropolen der Zukunft über den Stau hinwegschweben sollen. Die Cloud Tracks sind weit mehr als eine kühne Vision: In einigen chinesischen Städten sowie auf den Philippinen haben die Planungen bereits begonnen. Die Baukosten, so das Versprechen von BYD, sollen nur noch ein Zehntel dessen betragen, was derzeit für eine eigene U-Bahn anfällt.

Weiße schmucklose Gebäude ziehen sich auf dem weitläufigen Firmengelände bis zum Horizont. In einem davon hat Xiao Haiping sein Büro. Der Manager trägt eine Arbeiterjacke in einem ausgewaschenen Grau. Dazu eine schwarze Brille und Igelhaarschnitt. Vor drei Jahren hat das Unternehmen die ersten 3600 E-Busse an die Stadt geliefert. Im Jahr darauf folgten 10.000 und im vergangenen Jahr noch einmal 1600 Stück. „Shenzhen ist eine der ersten Städte weltweit, die vollständig auf eine elektrische Flotte setzen“, sagt Xiao stolz. 2000 Busse hat das Unternehmen außerdem bereits nach Hangzhou und Nanjing geliefert. Weitere 1000 jeweils nach Xi’an, Changsha, Tianjin und Dalian.

Stromtankstelle in Shenzhen Quelle: Bloomberg

Qualität oder Qual

Inzwischen ist BYD so groß, dass es zur Expansion nach Europa ansetzt – und dort die deutschen Hersteller vor sich hertreibt. Im vergangenen Jahr waren erst 1000 Elektrobusse auf Europas Straßen unterwegs – weit weniger als in einem einzigen Stadtteil von Shenzhen. Hersteller in der EU sind einzelne Firmen wie die polnische Solaris, an die sich auch Städte aus Deutschland wenden, wenn sie wegen schlechter Luftwerte und drohender Fahrverbote nach Alternativen zu ihren stinkenden Bussen suchen.

Größere Flotten aber kann nur BYD liefern. Nach London etwa schickten die Chinesen mehr als 100 Busse, hergestellt in Ungarn. Heute fahren mehr als sieben Millionen Menschen in der Hauptstadt des Königreichs jedes Jahr mit den Stromern aus der Volksrepublik. In Frankreich eröffnet dieses Jahr eine zweite Fabrik.

Indem es seine Busse nach Europa bringt, tilge BYD einen „blinden Fleck“ auf der Landkarte, sagt Xiao. Früher galten chinesische Produkte als billig, klagt er. Aber das sei nun Vergangenheit: „Uns gehört die gesamte Lieferkette.“ Von der Batterie- und Motorentechnologie bis zu den Fahrzeugen kommt alles aus den Werken des Shenzhener Unternehmens – und damit am Ende auch der Bus pünktlich zum Kunden.

Wertarbeit sieht anders aus

Zhang Wenshu, als Manager der staatlichen Shenzhener Bus Group für den öffentlichen Nahverkehr zuständig und damit auch für den Wechsel auf die E-Flotte verantwortlich, hat jedoch andere Erfahrungen mit BYD gemacht. So sei die erste Generation der Busse mit einer Batterie an der falschen Stelle ausgeliefert worden. Dazu hätten die Fahrzeuge eine weit geringere Reichweite gehabt als geplant: 420 Mal hätte er seine Ingenieure in einem Jahr zu Xiao an den Rand der Stadt geschickt. Rund 800 Punkte hätte BYD auf Geheiß der Stadtregierung bei ihren Fahrzeugen überarbeiten müssen. Wertarbeit sieht anders aus.

Im Büro von Zhang stapeln sich auf dem Fußboden eineinhalb Meter hoch die Parteibücher mit dem Konterfei von Staatschef Xi Jinping. In der Ecke hängen Auszeichnungen der Kommunistischen Partei sowie die Nationalflagge. Die E-Wende ist in China eine nationale Aufgabe. In Deutschland hingegen gilt es, verschiedenste Interessen in Einklang zu bringen, mitunter auch Behäbigkeiten und Eitelkeiten unterschiedlichster Instanzen. Verkehrsplanung ist hier ein langwieriges Unterfangen. In China genügt ein Befehl von oben – und die Beamten müssen schauen, wie sie das umsetzen.

Shenzhen beispielsweise wurde vor acht Jahren als eine von 13 Städten für ein Pilotprojekt ausgewählt, um Chinas Ambitionen bei der E-Wende zu zeigen. Damals machten Dieselbusse zwar nur 0,5 Prozent der gesamten Fahrzeugflotte der Stadt aus, verursachten aber rund 20 Prozent der Emissionen. Für jeden Bus, der heute in der Millionenstadt fährt, haben die chinesische Zentralregierung und die Shenzhener Stadtregierung jeweils umgerechnet rund 66.000 Euro Subventionen gezahlt. Das restliche Drittel der Kosten musste die städtische Busgesellschaft tragen – also nur noch 66.000 Euro pro Bus statt 200.000 Euro.

Umgerechnet 440 Millionen Euro wurden so im vergangenen Jahr an Subventionen in neue Busse und Ladestationen investiert. In Deutschland liegt der Preis für einen E-Bus bei 700.000 Euro. Hinzu kommen Ladesäulen und Investitionen ins Stromnetz – das bislang in den wenigsten deutschen Städten für die E-Mobilität gerüstet ist. E-Busse in China sind zwar genau wie in Deutschland in der Anschaffung zwei- bis viermal teurer als normale Verbrenner. Gleichzeitig aber spart Shenzhen pro Jahr umgerechnet 21.000 Euro pro Bus, da der Strom günstiger ist als Benzin. Zudem seien die Reparaturkosten sehr viel niedriger als bei den Dieselfahrzeugen, sagt Planer Zhang.

Elektrisch und effizient

Eine Studie der Weltbank bestätigt diese Rechnung: Zwar sei es weltweit meist teurer, E-Busse anzuschaffen, die höheren Anfangskosten würden sich aber über die Nutzungszeit refinanzieren, weil die Busse weniger Schwierigkeiten machen, so die Wissenschaftler. Hinzu komme, was sich schwieriger beziffern lässt: Die Menschen werden durch bessere Luft seltener krank, eine höhere Lebensqualität lockt gut ausgebildete Arbeitskräfte in die Stadt. Auch deshalb rüstet Shenzhen parallel seine staatlich betriebenen Taxen um. Von den 12.500 Fahrzeugen der Stadt sind heute mehr als 60 Prozent mit elektrischem Antrieb ausgestattet.

In Deutschland hat sich diese Sicht noch nicht durchgesetzt. Vielleicht haben die Städte bislang nicht die Dringlichkeit der sauberen Luft erkannt. Noch nicht. Denn längst beschäftigen sich die hiesigen Gerichte mit zahlreichen Klagen, die auf die Einhaltung der Grenzwerte von Schadstoffen pochen. Gut möglich, dass es gar keine Zentralregierung braucht, um die Verkehrswende mit Milliardensubventionen und politischer Willkür durchzusetzen – sondern nur immer selbstbewusstere Bürger, die saubere Luft schätzen.

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