Erbe der Auto Union Audi stellt sich seiner NS-Vergangenheit

Der Audi-Gründervater Richard Bruhn setzte tausende KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter ein. Nach Enthüllungen der WirtschaftsWoche arbeitet das Unternehmen seine NS-Vergangenheit endlich auf.

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Logo des Audi-Vorläufers Auto Union Quelle: dpa

Martin Löwenberg ist jetzt 89. Ein Schlaganfall, den er im vergangenen Jahr erlitt, erschwert ihm das Sprechen. Aber die Erinnerungen sind klar. Wegen seines jüdischen Vaters habe er unter den Nazis als „wehrunwürdig“ gegolten, erzählt der gebürtige Breslauer, der heute in einem Münchner Altenheim lebt. 1943 kam er ins KZ. Der Grund: Löwenberg hatte einem Zwangsarbeiter Lebensmittelkarten zugesteckt.

Zwangsarbeiter war er dann bald selbst. „Mit Hacke und Spaten“ musste der damals 18-Jährige im tschechischen Leitmeritz die Stollen eines ehemaligen Kalkbergwerks erweitern. Die wurden zur unterirdischen Fabrik ausgebaut. „Wir führten Sprengungen durch, dabei haben sich Felswände unkontrolliert gelöst“, sagt Löwenberg. Doch er habe „es noch gut“ gehabt: „Ich gehörte zu denen, die in Baracken schlafen durften“ – außerhalb der Stollen.

Viele andere der unterernährten KZ-Häftlinge verbrachten die Nacht unter Tage auf nassem Gestein. Kam Löwenberg mit seiner Kolonne „morgens ins Bergwerk zurück, haben wir zuerst die Leichen auf Loren gepackt und hinaus befördert“.

Martin Löwenberg Quelle: Simon Koy für WirtschaftsWoche

Hölle von Leitmeritz

Auch Bohumil Kos hat die Hölle von Leitmeritz durchlitten. Der heute 90-Jährige aus Revnice bei Prag war als politischer Häftling im KZ Theresienstadt interniert. In den nah gelegenen Stollen musste er Bahngleise verlegen. Nur knapp hat er Hunger, Kälte und die Grausamkeit der SS-Aufseher überlebt: „Ich weiß nicht, warum. Ich frage mich das oft.“

Als Tscheche sei er nicht der größten Gefahr ausgesetzt gewesen: „Ganz unten in der Lagerhierarchie standen die Juden. Die Aufseher durften sie erschlagen, wenn sie Lust dazu hatten. Um uns Tschechen zu töten, brauchte man einen Grund.“ Völlig abgemagert und infiziert mit Typhus und Tuberkulose, wurde Kos im Frühjahr 1945 befreit.

Audi entdeckt seine Historie

69 Jahre später will Audi Löwenberg und Kos kennenlernen. Denn die VW-Premiummarke entdeckt gerade ihre Historie neu. Hinter dem Rüstungsprojekt in Leitmeritz, wo Tausende KZ-Häftlinge den Tod fanden, steckte der zweitgrößte Autobauer des Dritten Reiches, die Auto Union.

Aus dem sächsischen Autohersteller – entstanden aus der Fusion von Audi, Wanderer, Horch und DKW – war mit Kriegsbeginn 1939 ein Rüstungskonzern geworden. Der produzierte im Zeichen der vier Auto-Union-Ringe nun Panzermotoren und Torpedos. Aus der 1949 in Ingolstadt neu gegründeten Auto Union AG wurde 1985 Audi.

Bohumil Kos Quelle: Nikola Tacevski für WirtschaftsWoche

Jahrzehntelang blendete die Volkswagen-Tochter Audi das dunkelste Kapitel ihrer über 100-jährigen Firmengeschichte aus. Erst zwei Studien von führenden Historikern, die die WirtschaftsWoche 2010 in Auftrag gegeben hatte, brachten Licht ins Dunkel. (Studien aus dem Jahr 2010 zum Download: Erweiterter Forschungsbericht / Umfang des Zwangsarbeitereinsatzes). Nach Recherchen der WirtschaftsWoche über die Verstrickung der Auto Union in das NS-Regime ließ der Konzern in den vergangenen vier Jahren seine Kriegshistorie aufarbeiten.

Skandalöses Maß

Fazit der 500-Seiten-Studie, die jetzt als Buch erschienen ist: „Die Auto Union ließ sich aus kriegswirtschaftlichen Interessen heraus in skandalösem Maße in den KZ-Komplex einbinden“. Die „moralische Verantwortung für die Zustände in Leitmeritz, wo 18.000 KZ-Häftlinge eingesetzt wurden, von denen 4500 den Tod fanden“, stehe „außer Frage“.

Auf Überlebende zugehen

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen
Daimler-Plakat Quelle: Todor Bozhinov Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Adolf Hitler besichtigt einen VW Käfer Quelle: dpa/dpaweb
Deutsche Bank Quelle: dpa
Konzentrationslager in Auschwitz Quelle: dpa/dpaweb
Flugzeug der Lufthansa Quelle: dpa
Krupp-Zentrale Quelle: dpa
Bertelsmann-Gebäude Quelle: dapd

Audi will nun auf Überlebende des Nazi-Terrors zugehen, die Darstellung in eigenen Museen überarbeiten, sich an KZ-Gedenkstätten engagieren – und den bislang verehrten, durch die Studie aber stark belasteten Gründervater Richard Bruhn vom Sockel stoßen.

Eine Audi-Rentenkasse mit seinem Namen soll umbenannt werden. Auch hat Audi schon die Ingolstädter Stadtverwaltung vorgewarnt: „Es wird wohl darum gehen, ob die Bruhnstraße umbenannt wird“, sagt Oberbürgermeister Christian Lösel. Sobald der Stadt die Audi-Studie vorliege, würden Ältestenrat und Stadtrat eingeschaltet.

Für die Studie erforschten der Chemnitzer Geschichtsprofessor Rudolf Boch und Audi-Historiker Martin Kukowski, wie die Auto Union zu einem der eifrigsten Ausbeuter von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen wurde. Ihr Werk birgt eine Fülle neuer Erkenntnisse – und viel Zündstoff.

Erschreckende Zustände

Denn die erschreckenden Zustände bei Auto Union beschränkten sich nicht auf Leitmeritz, wo Auto Union 1944 und 1945 Panzermotoren baute. Neben diesem Außenlager des KZ Flossenbürg hatte die SS für die Auto Union in Zwickau und an anderen Standorten sechs weitere KZ-Außenlager eingerichtet. Die „Initiative zum Produktionseinsatz von KZ-Häftlingen ging“, so schreiben Kukowski und Boch, „vom Vorstand aus“.

Für die 18.000 KZ-Häftlinge, die die Leitmeritzer Stollen zu Produktionsstätten umbauten, aber nicht in der Motorenproduktion eingesetzt wurden, sei Auto Union moralisch, aber nicht rechtlich verantwortlich, so die Studie. Denn diese Häftlinge unterstanden der SS.

Direkt unterstellt waren der Auto Union aber weitere 3700 KZ-Häftlinge und rund 16 500 Zwangsarbeiter. Die Zahlen sind Stichtagsbetrachtungen. Wegen der hohen Sterblichkeit der Arbeiter war die Fluktuation groß und das tatsächliche Ausmaß der Zwangsarbeit deshalb weitaus größer.

Gemessen an der Zahl von rund 50.000 Konzern-Mitarbeitern 1944, war der Anteil der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bei Auto Union vergleichsweise hoch und stieg gegen Kriegsende steil an. „Auf dem Weg in die Riege der schwerst belasteten Rüstungskonzerne wie Flick oder I.G. Farben kam das Kriegsende dem Auto-Union-Konzern zuvor“, so die Studie. „Nur das nahe Kriegsende verhinderte einen noch umfänglicheren KZ-Häftlings-Einsatz. Entsprechende Planungen lagen bereits vor.“

Daimler machte den Anfang

Audi ist der letzte der deutschen Autobauer, der sich in dieser Form der Vergangenheit stellt. Daimler hatte 1986 und 1994 den Anfang gemacht (siehe Bildergalerie). 20 Jahre später folgt nun das VW-Flaggschiff aus Bayern. Konsequenzen hat das nicht nur für Deutschlands beliebtesten Arbeitgeber, als der Audi oft in WirtschaftsWoche-Rankings brilliert, sondern auch für die Konzernmutter in Wolfsburg. Im März stand die NS-Studie auf der Tagesordnung von Vorstandssitzungen bei Audi und VW.

Audi-Azubis werden eingebunden

Panzermotoren-Produktion bei der Auto Union 1943 Quelle: Unternehmensarchiv Audi AG

Audi-Chef Rupert Stadler ließ danach Texte im schicken Ingolstädter Markenmuseum „museum mobile“ ändern. Dort bekennt sich Audi nun dazu, dass es „in den KZ-Außenlagern beim Auto-Union-Konzern gut dreieinhalbtausend Produktionshäftlinge“ gab.

Vor gut einer Woche hat Audi entschieden, auf die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zuzugehen, „um die Zwangsarbeitergeschichte rund um das KZ-Außenlager Leitmeritz aufzuarbeiten“. „Aktionen gegen das Vergessen“ sollen Audi-Azubis die Vergangenheit näher bringen. „Wir setzen auf Aufklärung“, sagt Stadler: „Mit der Studie haben wir uns sehr verantwortungsvoll gezeigt.“

Schmerzhaft wird für viele Audianer die nun unvermeidliche Entweihung des großen Vorbilds Richard Bruhn (1886–1964).

Noch beim 100. Audi-Jubiläum vor fünf Jahren stellte Stadler den Vor- und Nachkriegschef von Auto Union in die erste Reihe der Audi-Helden: „Diejenigen, die die Geschicke der Marke lenkten und voranbrachten, zeichneten sich durch Mut und Tatkraft aus. Durch Pioniergeist und visionären Weitblick. Durch Lust auf Innovation und auf neueste Technologien. Das galt für (Audi-Gründer) August Horch ebenso wie später für Richard Bruhn. (...) Und natürlich auch für (VW-Aufsichtsratschef) Prof. Dr. Ferdinand Piëch und (VW-Vorstandschef) Prof. Dr. Martin Winterkorn.“

Das Vorbild kommt vom Podest

Bruhn führte die Auto Union von 1932 bis 1945 und nach der Neugründung von 1949 bis 1956. Bis 1958 war er Chef des Aufsichtsrates. 1953 erhielt Bruhn das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.

Nun jedoch holt Audi das Vorbild vom Podest. Die selbst in Auftrag gegebene Studie lässt keine andere Wahl:

Arisierung: Die Auto-Union-Führung, so heißt es in der Studie, „schaute sich einen ihren Zwecken dienlichen und zur Arisierung anstehenden Betrieb aus und setzte dann alle Mittel daran, ihn unter Ausschaltung der Alteigentümer möglichst günstig zu erwerben“. Wenn es ihr nutzte, prangerte die Auto-Union-Spitze in Briefen aktiv die „jüdische Versippung“ der anvisierten Unternehmen an. Die Historiker halten es für „wahrscheinlich, dass Bruhn ohne moralische Skrupel“ handelte, und vermissen einen „Restanstand“. Für ausländische Übernahmen kamen der Auto Union die Eroberungsfeldzüge Hitlers gerade recht, stellt die Studie heraus: „Die Auto Union folgte im Kleinen den Handlungsmaximen der deutschen Besatzungspolitik.“

Zwangsarbeit: Bruhn forderte offensiv Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge vom NS-Regime. „Durchaus mit Stolz“, so Kukowski und Boch, „berichtete der Vorstand 1944 dem Aufsichtsrat, dass das Unternehmen bald auf 50.000 Beschäftigte anwachsen werde.“ Zu diesem Zeitpunkt war jeder dritte Mitarbeiter ein Zwangsarbeiter. Die Historiker stellen fest: „Die Führungsspitze mochte (ab Sommer 1944) den Krieg im innersten Zirkel für verloren erachten und eine Evakuierung der Unternehmensspitze nach Süddeutschland in Erwägung ziehen. All dies hinderte sie nicht daran (…) den Einsatz tausender Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mit List und sichtlichem Eifer bis in die letzten Kriegswochen zu betreiben.“

Muss man Bruhn mildernde Umstände zugutehalten? Kaum: Ab 1942, so die Studie, seien die Auto-Union-Entscheidungen fast ausschließlich ihm anzulasten: „Der Vorstand muss synonym mit Bruhn verstanden werden, dem einzigen verbliebenen regulären Vorstandsmitglied.“

Zwangsarbeit beim Audi-Vorgänger Auto Union

Viele Unternehmen in der NS-Zeit verhielten sich ähnlich, zeigen andere Studien. Die Zahl der Arbeitssklaven stieg, je mehr Männer an die Kriegsfronten mussten.

Angebote der NS-Behörden, in den meist Rüstungsgüter produzierenden Unternehmen Ausländer aus besetzten Ländern und Kriegsgefangene einzusetzen, konnten die Manager schwer ablehnen. Kukowski und Boch verweisen dennoch auf „Handlungsspielräume“ der Unternehmen insbesondere beim Einsatz von KZ-Häftlingen, „weil der NS-Staat nicht vornehmlich mit Zwang, sondern mit ökonomischen Anreizen agierte.

Viele Spielräume

Die Unternehmen konnten die Spielräume nutzen, entweder zum Wohl der eigenen Bilanz oder der vom Regime Entrechteten. (…) Ein direkter Zwang zum Einsatz von KZ-Häftlingen bestand nicht.“ Opel, damals Marktführer vor Auto Union, kam fast gänzlich ohne Zwangsarbeit durchs Dritte Reich.

Kukowski und Boch sehen die Auto-Union-Elite im böhmischen Leitmeritz, das heute Litomerice heißt, in der Verantwortung: Nur anfänglich hatten dort Rüstungsminister Albert Speer und die SS das Sagen, später übernahmen Bruhn und Kollegen „die Führungsrolle“. Sie kannten die Gefährlichkeit der Stollen: Im Sommer 1944 warnten die Bergbaubehörden vor Gefahren für die Arbeiter.

Dennoch galt „die Sorge der Auto-Union-Führung weniger den Zuständen auf der Baustelle als dem zügigen Baufortschritt und der Unversehrtheit des Maschinenparks“, entnehmen die Historiker alten Vorstandspapieren.

"Gewaltexzesse" und "moralisches Versagen"

Dabei habe es „Gewaltexzesse“ gegeben: „Der Vorstand ließ NS-Fanatikern und ihren Mitläufern allerhand Freiraum, ihren Rassenhass auszuleben.“ Es gab „ein schweres moralisches Versagen“ des Managements. Bruhn ist das krasse Gegenteil eines Oskar Schindler, der mit seinem Unternehmen subversiv Juden vor der Gaskammer rettete. Leitmeritz, ein Außenlager des KZ Flossenbürg, hatte aufgrund der hohen Todesraten ein viel genutztes Krematorium, das noch zu besichtigen ist.

Politische Haltung: „Über Regime-Nähe bedarf es bei Auto Union keiner Diskussion“, so die Studie. Sie war „fest in das NS-Regime eingebunden“, der Ausbau zum internationalen Rüstungskonzern „eigeninitiiert“. Bruhn hielt „engste Beziehungen“ zur NSDAP, war seit 1933 Mitglied, später Wehrwirtschaftsführer und als einer der führenden Rüstungsmanager monatelang häufiger bei Speer und Adolf Hitler in Berlin als in seinem Chemnitzer Büro.

Mitläufer oder Überzeugungstäter?

Auto-Union-Vorstand William Werner war laut NS-Studie „ein Nazi“, wobei ungeklärt sei, ob „Mitläufer oder Überzeugungstäter“. Andere Führungskräfte bekannten sich als „begeisterte Nationalsozialisten“, waren mit Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess befreundet, wurden auf persönliche Weisung des Führers in die NSDAP aufgenommen oder hatten eine „Herrenmenschenperspektive“.

Bruhn führte seinen Erfolg auf seine „kerngesunde Rasse“ zurück. „Bisweilen“, so die Studie, „übermannte ihn die Rührung über den eigenen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen.“ Nahe liegt die – nicht beweisbare – Vermutung, dass die Stollen in Leitmeritz nicht zufällig „Richard“ hießen, sondern den Namen des Chefs trugen.

Mai-Umzug bei Auto Union Quelle: Unternehmensarchiv Audi AG

Im Image-Film „Deutsche Siege in drei Erdteilen“ von 1937 verklärte Bruhn vor der Hakenkreuzfahne die Rennsport-Erfolge der Auto Union als „getreues Spiegelbild der politischen Entwicklung unseres Vaterlandes“. Bald nach Kriegsbeginn 1939 schrieb er an seinen kaufmännischen Direktor: „Nachdem der Polenschreck erledigt ist, wollen wir alle an die Arbeit. Wenn der Engländer uns daran hindern wird, werden wir ihm allerdings an die Gurgel gehen, und Sie können sich darauf verlassen: Die Auto Union wird dabei mittelbar sehr mitwirken.“

Aufgesetzte Opferhaltung

Nach 1945 klang das dann alles ganz anders. Kukowski attestiert Bruhn und seinen Vorstandskollegen eine „in der Nachkriegszeit eingenommene Opferhaltung“, die „aufgesetzt“ gewesen sei.

Audi hinterfragte diese Haltung bislang nicht. 2000 beteiligte sich der Konzern an den Dr.-Richard-Bruhn-Wochen in Bruhns Geburtsort, dem schleswig-holsteinischen Cismar. Ausgestellt wurden dabei Devotionalien wie Bruhns Bundesverdienstkreuz .

Nun geht das Unternehmen auf Distanz. Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch ist „sehr betroffen über das Ausmaß der Verstrickungen der damaligen Auto-Union-Führung in das System der Zwangsarbeit und Sklavenarbeit. Dieses Ausmaß war mir nicht bewusst. Wir begrüßen seitens des Betriebsrats die Studie und haben jetzt Fakten und Informationen, was damals wirklich geschehen ist.“

Konzept gegen Rechtsradikalismus

Daher will der Audi-Betriebsrat „nicht nur Erinnerungsarbeit leisten“, sondern arbeitet an einem Konzept für ein Auszubildenden-Projekt gegen Rechtsradikalismus und Nationalismus. Dafür will Mosch den Vorstand gewinnen. Zudem kündigt er an: „Ich werde im Aufsichtsrat der Pensionskasse eine Umbenennung vorschlagen, um Bruhn aus dem Namen ,Dr.-Richard-Bruhn-Hilfe-Altersversorgung der AUTO UNION‘ zu streichen.“

Änderungen sind auch auf der Audi-Homepage fällig, wo Bruhn noch als „Vater der Auto Union“ und Mann mit „honorigem Namen“ geehrt wird: „Mit großer Umsicht gestaltete er das Unternehmen zu einem der führenden Kraftfahrzeugkonzerne im damaligen Deutschen Reich.“

Kluger Maßstab

Einen klugen Maßstab für den Umgang heutiger Manager mit den NS-Verstrickungen ihrer Unternehmen hat der frühere Daimler-Finanzchef Manfred Gentz formuliert, der vor 15 Jahren den Beitrag der Wirtschaft zur Zwangsarbeiterentschädigung im Rahmen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft einsammelte: „Die Firmengeschichte 1933 bis 1945 tabulos zu beschreiben gehört für mich zur Firmenhygiene.“

Ob Audi das nun geleistet hat, wird das Urteil der Historiker über die neue Studie zeigen. Kritiker werden sich daran stören, dass Mitautor Kukowski Audi-Mitarbeiter ist.

Ohne direkten Bezug zum aktuellen Fall sagt Martin Schulze Wessel, Geschichtsprofessor an der Universität München und Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands: „Wenn ein Unternehmen eine Studie zur eigenen Geschichte in Auftrag gibt und daran einen Mitarbeiter mitschreiben lässt, steht immer der Verdacht der Befangenheit im Raum.“ Das könne nicht im Interesse des Unternehmens sein: „Nur Forschung, die wissenschaftlichen Kriterien gerecht wird, kann glaubwürdige Antworten geben.“

Co-Autor Boch widerspricht: „Ich sehe das nicht so, dass die Unabhängigkeit nicht gegeben ist. Ich habe mir vertraglich zusichern lassen, dass uns keiner reinredet.“

Audis neues Bekenntnis zur NS-Geschichte kann auch wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen haben. Wenn die nach dem Krieg in Ingolstadt gegründete Auto Union juristisch als Rechtsnachfolgerin der alten Auto Union gilt, könnten Überlebende des Nazi-Terrors oder ihre Nachfahren Schadensersatzforderungen gegen Audi geltend machen.

Die Studie stellt klar: Nach dem Krieg sei die alte Auto Union in Ostdeutschland zwar aufgelöst worden. Doch die „Auto Union AG Ingolstadt ist der Rechtsnachfolger, Auto Union GmbH Ingolstadt der Produktionsnachfolger der Auto Union“.

Betriebsratschef Mosch will sich daher „beim Thema Entschädigungsleistungen für frühere Auto-Union-Zwangsarbeiter rückversichern“. Der VW-Konzern hat 1998 bereits einen eigenen Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter eingerichtet und sich später auch an den Entschädigungszahlungen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beteiligt. Damit sei, so bislang die Sicht von Volkswagen, auch das Unrecht bei Auto Union abgegolten.

Unlogisch daran erscheint, dass VW das wahre Ausmaß der Zwangsarbeit bei Auto Union um die Jahrtausendwende noch gar nicht kannte.

Erstaunliche Zurückhaltung

Dass sich Audi nie am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft beteiligt hat, stößt bei der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, die unter anderem für die Gedenkstätten Flossenbürg und Leitmeritz zuständig ist, auf Unverständnis: „Die Auto Union war einer der großen Nutzer von Zwangsarbeit, sei es durch zivile Zwangsarbeiter oder durch KZ-Häftlinge“, sagt Stiftungshistoriker Ulrich Fritz. „Umso erstaunlicher ist es, dass Audi, wo man sich gern auf die technische Tradition der Auto Union beruft, nicht selbstständig Mitglied der Stiftungsinitiative geworden ist und damit Verantwortung auch für diesen Teil der Firmenhistorie anerkennt.“

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