Erweiterte Autoallianz Warmer Geldregen: Ford nutzt VW-Elektroplattform

Herbert Diess und Jim Hackett erweitern ihre Allianz. Quelle: Presse

Die Kooperationsgespräche von VW und Ford sind erfolgreicher als erwartet: VW gewinnt Ford für seinen teuren Elektrobaukasten, gemeinsam investieren die Autobauer in autonomes Fahren. Und mehr scheint möglich.

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Im Andaz Hotel, unweit der weltbekannten Wall Street, ist morgens um acht Uhr Ortszeit alles eitel Sonnenschein. Trotz des eher nüchternen Ambiente im Untergeschoss des Gebäudes, strahlt der gerne mal kernig-grimmig dreinblickende VW Chef Herbert Diess mit Ford-CEO Jim Hackett um die Wette – nicht zum ersten Mal. „Ford wird den MEB-Baukasten nutzen“, verkündet Diess freudestrahlend und der neben ihm sitzende Hacket ergänzt nicht minder breit grinsend: „Wir sind einer Meinung, dass Technologie ein Befähiger ist und nicht sich selbst abschafft.“

Volkswagen und Ford erweitern ihre Anfang des Jahres geschlossene Allianz. Ford wird Volkswagens modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) nutzen, um 2023 ein Elektroauto auf den europäischen Markt zu bringen, von dem rund 600.000 Exemplare gebaut werden sollen. Über ein zweites Modell denken die Amerikaner bereits nach, beschlossen ist aber noch nichts.

Für VW ist die Nachricht der große Wurf, den man sich erträumt hatte. Mit Ford ist ein erster Lizenzkunde für die aufwendig entwickelte Elektroplattform des modularen Elektrobaukastens gefunden. Und dieser Kunde ist kein Kleinserienhersteller, sondern mit Ford einer der größten Autoproduzenten der Welt.

Volkswagen setzt aktuell deutlich mehr auf Elektroantriebe als die anderen Volumenhersteller. Während Marken wie Daimler rund 40 Milliarden Euro in die Elektrifizierung und autonomes Fahren investieren, General Motors acht und Renault Nissan Mitsubishi zehn Milliarden Euro einsetzen, sollen es im VW Konzern mehr als 80 Milliarden Euro sein. Da kommt der warme Geldregen aus Dearborn / Michigan gerade recht. Das MEB-Engagement ist Teil des 11,5 Milliarden Dollar Investments, das Ford für seine Elektromobilität in die Hand nimmt.

Das Start-up „Argo AI“ ist auf autonomes Fahren spezialisiert. Quelle: Presse

Gemeinsam für autonomes Fahren

Eine zweite Mammutaufgabe, die beide gemeinsam schultern wollen, ist das autonome Fahren. VW und Ford bringen sich zu gleichen Teilen beim Start-Up „Argo AI“ ein, das sich aufs autonome Fahren spezialisiert hat.

Volkswagen investiert 2,6 Milliarden Dollar – davon eine Milliarde direkt und 1,6 Milliarden als Sachwerte, denn die Niedersachsen bringen ihre eigene Roboterauto-Division „Autonomous Intelligent Driving“ im Wert von 1,6 Milliarden Euro und 200 Mitarbeiter mit in die Ehe. Das AID Hauptquartier wird in München bleiben und so wird „Argo AI“ weltweit 700 Mitarbeiter haben – bisher waren es 500.

Argo AI hatte jüngst seine selbstfahrende Testflotte der dritten Generation angekündigt und hat sein Testprogramm im Raum Detroit ausgebaut. Derzeit sind autonome Testfahrzeuge in Städten wie Pittsburgh, Palo Alto, Miami, Washington und Dearborn unterwegs. „Wir werden auch in der Lage sein gemeinsam autonome Plattformen zu schaffen, bleiben aber dennoch Konkurrenten, da wir die Plattform unterschiedlich nutzen werden“, bringt Hackett Licht in die Zusammenarbeit. Herbert Diess stimmt zu: „Das ist eine Win-Win-Situation.“ Volkwagen will die Plattform Anfang der 2020er Jahre nutzen.

Das VW- Roboterauto ID.3. Quelle: Presse

Nochmal 500 Millionen bis 2022

Außerdem wird der niedersächsische Autobauer in den nächsten drei Jahren Fords Anteile an „Argo AI“ für 500 Millionen Dollar erwerben. Das Ziel ist mit Level vier des autonomen Fahrens dabei hoch gesteckt. Damit soll die Zusammenarbeit jedoch noch längst nicht beendet sein, denn offenbar denken beide Parteien über eine weitere Intensivierung der Kollaboration nach. Seit Februar werden VW-Manager regelmäßig in Detroit gesichtet. Gut möglich, dass sich die transatlantische Besucherfrequenz noch erhöhen wird.

Von Ford hatte es in den vergangenen Monaten kaum positive Nachrichten gegeben. Insbesondere Ford of Europe steht auf dem Prüfstand; mehrere Werke sollen schließen und bis zu 12.000 Personen entlassen werden. Anders als andere Autohersteller hat Ford den Trend zur Elektromobilität weithin verschlafen. Jetzt soll die große angelegte Kooperation mit Volkswagen die Automarke aus Dearborn nahe Detroit elektrofähig machen.

Ford kann ab kommendem Jahr den modularen Elektrobaukasten von Volkswagen für eigene Fahrzeugentwicklungen nutzen. Heißt, die technische Plattform mit Motor, Antrieb und Akkupaket kommt aus dem Hause Volkswagen. Ford muss dann nur noch für die entsprechenden Hüte in Form von Karosserien sorgen. Am gestrigen Tag hat Volkswagen in seiner Aufsichtsratssitzung grünes Licht für das groß angelegte Projekt gegeben.

Zusammenarbeit soll Ford konkurrenzfähig machen

Begonnen hatten die ersten Kooperationsgespräche im vergangenen Jahr, wobei es in erster Linie um Pick Ups, leichte Nutzfahrzeuge und autonomes Fahren gehen sollte. Anfang dieses Jahres waren die Gespräche jedoch ins Stocken geraten. Ford hat in den vergangenen zwei Jahren seine Bereitschaft zu strategischen und fokussierten Allianzen zum Beispiel mit Marken wie Mahindra (Indien) oder Zotye (China) gezeigt, ohne nennenswerten Druck auf die Allianzen auszuüben.

Viele hatten daher erwartet, dass Ford auch mit einem kleinen VW-Kooperationspaket hätte zufrieden sein können. Doch VW-Konzernlenker Herbert Diess wollte mehr; sah er doch die Chance, die Elektrovolumina durch die Plattform-Lizenz für Ford deutlich nach oben zu drücken. Speziell in den USA waren vielen Zulieferern die in Aussicht gestellten Elektrovolumen des VW-Konzerns zu klein, um in die Vollen zu gehen. Jetzt, da VW und Ford gemeinsam an einem Stromkabel ziehen, lohnt es sich auch für Zulieferer, mehr zu investieren, um zum Beispiel entsprechende Standorte nahe dem Volkswagen-Werk in Chattanooga zu errichten.

Volkswagen will Zulieferern und hier besonders Akkuherstellern sogar finanzielle Unterstützungen anbieten, um die Versorgung mit Batteriezellen für sein Elektro-Programm sicherzustellen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters verwies VW-Einkaufschef Stefan Sommer darauf, dass einige Zulieferer die kurz- und mittelfristige Vision und den Optimismus von Volkswagen hinsichtlich des Wachstums des E-Automarktes nicht teilen und nicht bereit seien, selbst die notwendigen Investitionen zu tätigen. „Nicht jeder Zulieferer ist davon überzeugt, dass Elektromobilität in so großem Umfang verfügbar sein wird“, beklagte Stefan Sommer, „sie müssen mehr Zeit darauf verwenden, sie davon zu überzeugen, in die Autoindustrie zu investieren.“

Akkus für 50 Milliarden Euro

Das Unternehmen hat bereits angekündigt, für die erste Welle seiner Elektroauto-Offensive Batteriezellen im Wert von 50 Milliarden Euro von verschiedenen Unternehmen wie SKI, LG Chem, CATL und Samsung zu kaufen. Im vergangenen Monat gaben die Wolfsburger außerdem bekannt, eine 20-prozentige Beteiligung am schwedischen Batterie-Start-up Northvolt erworben zu haben. Die beiden Unternehmen einigten sich auf eine gemeinsame Batteriefertigung am bestehenden VW-Produktionsstandort Salzgitter, die frühestens Ende 2022 beginnen soll.

Nachdem sich Ford auf dem amerikanischen Heimatmarkt Schritt für Schritt aus dem wegbrechenden Limousinengeschäft zurückzieht, will man sich neben den seit Jahrzehnten unverändert erfolgreichen Pick Ups der F-Serie insbesondere auf SUV konzentrieren. Aktuell wird die Produktion der beiden neuen Modelle Ford Expedition und Lincoln Navigator am Standort Kentucky hochgefahren. „Letztes Jahr gab es eine Steigerung von 25 Prozent und die Regale waren gefüllt, sodass wir zu einer Lagersituation gelangten, mit der wir uns wohl fühlten“, so Matt VanDyke, Leiter der US-Marketing-Abteilung von Ford. „Wir müssen mit der Werbung beginnen, aber das wirkt sich nicht auf den Showroom am nächsten Tag aus. Wir haben das Gefühl, dass wir unseren Anteil am Marktinteresse erhöhen können." In der zweiten Jahreshälfte sollen dann die Werbemaßnahmen positiv wirken.“

Darauf hofft man mittelfristig auch durch die Zusammenarbeit mit Volkswagen, die Ford schneller als zuletzt befürchtet bei den Elektromodellen konkurrenzfähig machen soll. Und wer weiß, bei welchen Themen sich die beiden Autoriesen aus Dearborn und Wolfsburg noch zusammentun. Schließlich müsste Ford gerade auch in China deutlich nachlegen – denn hier ist bekanntermaßen der größte VW-Markt. Im Zuge seiner Elektro-Offensive plant der Volkswagen-Konzern bis zum Jahre 2028 mehr als elf Millionen Elektrofahrzeuge in China zu produzieren: rund die Hälfte des vom Konzern angestrebten Gesamtziels von 22 Millionen.

Sobald die Werke von SAIC Volkswagen in Anting und FAW-Volkswagen in Foshan 2020 die Fertigung von Fahrzeugen auf MEB-Basis starten, soll allein das 600.000 Elektroautos pro Jahr bedeuten.

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