Export-Boom im ersten Quartal Briten füllen Lager und Regale mit deutschen Produkten

Viel zu tun für die Logistiker: Ein Container wird am Hamburger Hafen verladen. Quelle: dpa

Alkohol und Kaffee, Autoteile und Arzneimittel: Im Angesicht des drohenden Brexits kaufen britische Konsumenten und Unternehmen auf Halde. Das treibt die Wirtschaft auf der Insel – und die deutschen Exporte.

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Der drohende ungeregelte Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union hat im Frühjahr den Export auf die britischen Inseln boomen lassen. Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes erreichten die Ausfuhren nach Großbritannien im März den höchsten Wert seit zwei Jahren, als das Brexit-Referendum ein Dreivierteljahr zurücklag.

Nach einhelliger Auffassung von Experten hängt die ungewöhnliche Entwicklung mit den Wirren um den Brexit zusammen. 2018 hatte das Exportgeschäft mit einem Minus von 2,8 Prozent noch stark unter der Unsicherheit über die künftigen Handelsbeziehungen gelitten. Je näher aber der ursprüngliche Austrittstermin Ende März rückte, desto reger wurde der Warenverkehr.

Der Grund: Verbraucher und Unternehmen haben aus Furcht um die Versorgungssicherheit Lager, Regale und Kühlschränke gefüllt oder gleich die Produktion vorgezogen. Aus Umfragen bei Unternehmen weiß Robert Scheid, der beim Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) in London für das Vereinigte Königreich zuständig ist: Das sogenannte „Stockpiling“ hat im ersten Quartal 2019 ein Allzeithoch erreicht. „Viele Experten gehen davon aus, dass die britische Wirtschaft überhaupt nur deswegen wächst.“

Scheid hat frische Zahlen der Statistikbehörde Eurostat ausgewertet. Demnach haben die deutschen Unternehmen zwischen Januar und März 5,1 Prozent mehr auf die Insel exportiert als im ersten Quartal des Vorjahres, ein Plus von mehr als einer Milliarde Euro Warenwert. „Damit ist schon jetzt der Exportrückgang des gesamten Jahres 2018 mehr als ausgeglichen“, rechnet Scheid vor.

Hauptprofiteure sind die Automobilzulieferer. Während Export und Absatz fertiger Pkw unvermindert rückläufig ist, herrscht bei den Komponenten seit Monaten Hochkonjunktur. Der Export von Motoren, Kraftstoffpumpen, Elektronik, Kabeln, Beleuchtung und Windschutzscheiben, kurz: sämtlichen Autoteilen, hat gegenüber dem ersten Quartal 2018 um drei Prozent angezogen. Das entspricht einem Plus von 188 Millionen Euro.

Und das vor dem Hintergrund, dass Hersteller häufig „just in time“ produzieren, um die Lagerbestände so gering wie möglich halten. So zog der Autobauer BMW kurzerhand seine Werksferien vor. Nicht nur mussten die Beschäftigten ihren Sommerurlaub vorziehen, auch Hunderte Zulieferer ihre Liefertermine.

Gefragt sind in Großbritannien auch andere Produkte made in Germany. Besonders chemische Vorprodukte und Werkzeuge, aber auch Medikamente und Nahrungsmittel. Den Statistiken entnimmt Scheid, dass Verbraucher ein breites Warensortiment made in Germany verstärkt nachfragen: von Fisch über Getreideprodukte wie Müsli, Obst und Gemüse, Milchprodukte und Eier bis zu Kaffee und alkoholischen Getränken – „nicht nur Bier“.

Ähnliches beobachtet die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Nachdem das Exportgeschäft vergangenes Jahr aus Unsicherheit durch den Brexit schwächelte, habe im Februar und März offenbar der von der Regierung angekündigte Notfallmaßnahmenplan zum Horten von Lebensmitteln geführt. „Wir sehen diesen Trend bei allen unseren wichtigen Exportprodukten nach Großbritannien“, sagt eine Sprecherin.

Aus Gesprächen mit Unternehmern vor Ort nimmt GTAI-Mann Scheid immer wieder eine Erkenntnis mit: „Sie tun alles, um im Falle eines harten Brexits ohne Austrittsvertrag Engpässe in den Lieferketten zu vermeiden.“ So viel, dass Lagerhallen an vielen Orten mittlerweile „komplett voll“ seien.

Alexander Lau leitet das Referat Europa bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Als inoffizieller Brexit-Beauftragter führt er derzeit viele Krisengespräche, vor allem mit Vertretern der Autoindustrie. Pkw und Autoteile machten schließlich sechzig Prozent aller Exporte aus Bayern aus.

Auch Lau hört in diesen Gesprächen regelmäßig, dass die Lagerkapazitäten in Großbritannien ausgehen. Und nicht nur die. „Viele Unternehmen berichten, dass sie keinen Spediteur mehr bekommen“, sagt Lau.

So hat der unverhoffte Exportboom schon jetzt Nebenwirkungen – und eine Kehrseite. Denn je mehr Konsum und Investitionen die Briten vorziehen, desto heftiger dürften die Handelsbeziehungen nach der aufgeschobenen Trennung leiden. Neuer Scheidungstermin ist der 31. Oktober 2019.

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