Faurecia-Chef Koller „Probleme mit der E-Mobilität werden erst noch zutage treten“

Faurecia-Chef Patrick Koller: „Ich glaube, dass es viel zu früh ist, schon von einer endgültigen Entscheidung zugunsten des batterieelektrischen Autos zu sprechen.“ Quelle: Faurecia

Der Chef des größten französischen Automobilzulieferers Faurecia über Lehren aus dem Dieselskandal, wichtige Investitionen in Afrika – und die Frage, warum er entgegen dem Branchentrend auf die Brennstoffzelle setzt.

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Patrick Koller führt seit Juli 2016 Faurecia, einen der zehn größten Automobilzulieferer der Welt. Davor hat er innerhalb des Konzerns das Tagesgeschäft verantwortet. Koller hat vor kurzem mit Michelin ein Joint-Venture zum Bau von Brennstoffzellen gegründet. Er glaubt fest an den Durchbruch der umstrittenen Technologie.

WirtschaftsWoche: Herr Koller, während immer mehr Hersteller auf E-Mobilität setzen, die zehn größten Autobauer zusammen in den kommenden Jahren mehr als 140 Milliarden Dollar dort investieren und bis 2025 rund 400 neue Elektroautos auf den Markt werfen, gründen Sie mit Michelin einen neuen Konzern zum Bau von Brennstoffzellen. Warum solch ein Gegenentwurf?
Patrick Koller: Ich glaube, dass es viel zu früh ist, schon von einer endgültigen Entscheidung zugunsten des batterieelektrischen Autos zu sprechen. Es gibt gute Argumente für und gegen beide Technologien. Wir kommen aus 130 Jahren Monokultur im Antriebsstrang – dem Verbrennungsmotor. Und arbeiten gerade erst ein paar wenige Jahre an den Alternativen.

Sie meinen, dass sich die Brennstoffzelle durchsetzt?
Bei Zügen, Schiffen und schweren Lkw traue ich ihr deutlich mehr zu als der Batterie. Auch bei größeren PKW denke ich nicht, dass wir in eine neue Monokultur übergehen werden. Wir werden bereits 2030 mehr als acht Milliarden Menschen sein. Ein stetig wachsender Anteil von ihnen wird mobil sein. Eine Antriebsart allein, wie das Elektroauto, wird die Herkulesaufgabe, sie CO2-arm und bezahlbar von A nach B zu bringen, nicht lösen können.

Warum denn nicht? Was spricht gegen das Elektroauto, das im Gegensatz zur Brennstoffzelle seine Alltagstauglichkeit bereits Tag für Tag beweist.
Ich sehe insbesondere bei der Batterie noch einige ungelöste Probleme.

Welche?
Für Nutzfahrzeuge ist die aktuelle Batterietechnologie nach wie vor zu groß und zu schwer. Außerdem könnten einige wichtige Batterierohstoffe knapp werden. Dieses Problem gibt es bei der Brennstoffzelle nicht.

Sie benötigt Platin...
…das wir im Gegensatz zu Lithium bereits zu 100 Prozent recyceln können.

Geologen betonen, es sei genug Lithium, Nickel und Kupfer für Hunderte Millionen E-Autos in der Erdkruste.
Langfristig mag das so sein. Wir werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit temporäre Engpässe bekommen, weil die Bergbauindustrie nicht mit der galoppierenden Nachfrage schritt hält. Besonders Nickel kann bald knapp werden. Um den Bedarf der E-Mobilität in den kommenden Jahren zu decken, müssten pro Jahr weltweit drei große Nickelminen eröffnet werden. Tatsächlich wurde meines Wissens in den vergangenen zehn Jahren genau eine eröffnet. Allein deshalb brauchen wir die Brennstoffzelle als Alternative…

…die aber auch eine Batterie benötigt.
Eine sehr viel kleinere als ein reines E-Auto. Auf der Rohstoffseite brächte sie also deutliche Entspannung.

Dafür brauchen Brennstoffzellen mehr Energie im Betrieb, und bei der Herstellung des Wasserstoffs geht sehr viel Energie verloren. Und darauf kommt es ja an, wenn Sie geringe Kosten und CO2-Emissionen als Ziel ausgeben.
Der Wirkungsgrad ist nicht entscheidend, wenn wir von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien reden. Denn deren CO2-Bilanz als Primärenergie ist nahe null. Entscheidend sind ausschließlich die Kosten: Ist es wegen der großen Batterie und des nötigen Ausbaus des Stromnetzes am Ende billiger, einen Kilometer mit aus Grünstrom hergestelltem Wasserstoff zu fahren oder mit Grünstrom aus der Batterie? Nur darum geht es. Um die Kosten, denn beide Antriebsarten sind dann nahezu CO2-frei.

Das wäre nur korrekt, wenn wir Strom aus erneuerbaren Quellen im Überfluss hätten. Das ist derzeit aber fast nirgendwo auf der Welt der Fall. Bis dahin stellen Kritiker zurecht die Frage, wieso man knappen grünen Wasserstoff im PKW verheizen sollte, wenn es eine effizientere Alternative gibt und der Wasserstoff in anderen Bereichen wie der Schwerindustrie dringend gebraucht wird.
Ich glaube, dass Wasserstoff bei Nutzfahrzeugen, auch in größeren Pkw und bei Reichweiten jenseits von 300 Kilometern, im Vorteil ist, wenn man die Gesamtsysteme betrachtet. Wir müssen dazu allerdings grünen Wasserstoff dort erzeugen, wo es wegen der Bedingungen einfacher und günstiger ist, die nötigen Mengen Ökostrom dafür herzustellen, als in Nordeuropa. Etwa im Sonnengürtel Afrikas. Dort sollte man Wasserstoff in großen Mengen produzieren und ihn dann in Pipelines nach Europa transportieren.

Das klingt sehr nach ferner Zukunft.
Viele Großkonzerne und Politiker halten diese Projekte für realistisch. Projekte in erneuerbaren Energien zu finanzieren ist derzeit sehr einfach. Es gibt jede Menge Investoren, die dort Anlagemöglichkeiten suchen.

Warum favorisieren dann die meisten Autokonzerne die Batterie?
Nach dem Dieselskandal 2015 war der öffentliche und politische Druck auf die Industrie enorm. Man benötigte eine Lösung, die bereits funktioniert und unmittelbar umsetzbar ist. Und das E-Auto ist gegenüber der Brennstoffzelle eben schon weiter entwickelt. Das muss aber langfristig nicht so bleiben. Es wäre ein Fehler, diese Debatte bereits für erledigt zu erklären.

De facto investiert die Industrie aber derzeit ein Vielfaches der Budgets für die Brennstoffzelle in Elektroautos. Reiten Sie da nicht einen toten Gaul? 
Aber wie viel Geld verlieren sie damit für wie lange und wie weit reicht die Geduld der Anteilseigner und Politiker, wenn es nicht nur Gewinn, sondern auch Arbeitsplätze kostet? 

Die Batterien werden schnell billiger, damit sinken auch die Kosten im Einkauf. In der Produktion ist ein E-Auto  günstiger als ein Diesel oder Benziner.
Aber die Leute müssen es auch massenhaft kaufen wollen. Und das sehen wir noch nicht. Elektroautos werden sicherlich einen erheblichen Anteil des Marktes erobern, aber eben nicht 100 Prozent, wie derzeit viele denken. Schon deswegen ist es geboten, auch die Alternativen weiter zu verfolgen. Denn ich bin überzeugt: Je höher der Anteil reiner E-Autos an den Flotten wird, desto mehr werden die Probleme zutage treten.

Sie meinen die Tatsache, dass es zu wenige Ladesäulen gibt?
Zum Beispiel. Die heutigen E-Auto-Besitzer können fast alle entweder in der eigenen Garage oder am Arbeitsplatz laden. Das ist die einfach zu gewinnende Pionierfraktion. Aber in der Masse sieht es schon anders aus. Nehmen Sie den Bewohner eines fünfstöckigen Mietshauses in Berlin oder Paris: Wo soll der im Alltag laden?

Eine eigene Tankstelle besitzt der heute ja auch nicht. Um 1900 gab es Benzin nur in der Apotheke. Warum sollte die Ladeinfrastruktur nicht in gleicher Weise mit dem Bedarf wachsen wie damals das Netz an Zapfsäulen?
Weil der Ladevorgang einfach länger dauert. Man braucht also mehr Säulen, um die gleiche Anzahl Autos in der gleichen Zeit zu betanken, wie mit Sprit oder eben Wasserstoff. Ich bin sehr gespannt, was in einigen Jahren etwa am letzten Freitag vor Weihnachten oder vor den großen Ferien los sein wird, wenn viele Menschen gleichzeitig mit ihrem E-Auto in dieselbe Richtung unterwegs sind. Dann wird es mit Sicherheit Engpässe an den Ladesäulen geben. Denn das Laden wird zwar schneller, aber eben auf absehbare Zeit nicht so schnell wie das Tanken eines Diesels.

Mehr zum Thema: Wasserstoff aus dem Ausland soll die deutschen Klimaziele retten. Grün soll er sein – nicht grau, blau oder türkis. Das klingt gut, hat aber einen Haken: Die große Koalition setzt vor allem auf politisch instabile Länder.

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