Feinstaub bei Benzinern Wenn ein Smart so dreckig wie ein Luxusdampfer ist

In der Abgasaffäre ging es vor allem um Dieselmotoren. Neue Messungen zeigen: Selbst manchen Benzinern drohen jetzt Fahrverbote. Sie stoßen 100-mal mehr Feinstaub aus als Dieselautos – wie etwa der Smart.

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Was die neuen Abgas-Tests bedeuten
WLTP Quelle: obs
Was ändert sich genau unter diesem WLTP-Zyklus?Viele Details: So dauert der Labortest zehn Minuten länger und kommt nur noch auf 13 Prozent Stillzeit. Die gesamte Zykluslänge simuliert mit 23,25 Kilometern eine mehr als doppelt so lange Strecke wie der NEFZ. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 131 Stundenkilometern statt bisher 120 Stundenkilometern. Außerdem werden Sonderausstattungen für Gewicht, Aerodynamik und Bordnetzbedarf berücksichtigt. Quelle: dpa
Wie werden denn auf der Straße Emissionen gemessen? Gemessen wird mit Hilfe eines portablen Messsystems namens PEMS („Portable Emission Measurement System“). Es wird an der Rückseite des Autos am Auspuff montiert und kann so ortsungebunden die Abgase einfangen. Quelle: dpa
Wie verlässlich sind diese Messungen? Die Messung am fahrenden Auto bringt gewisse Messungenauigkeiten mit sich. Denen trage aber die Gesetzgebung mit Konformitätsfaktoren Rechnung, heißt es bei Bosch. Zu Beginn dürfen die Emissionen noch das 2,1-Fache des Grenzwerts betragen. Von Januar 2020 ist nur noch die Messtechniktoleranz von 50 Prozent des Grenzwerts vorgesehen. Quelle: dpa
Sind dank RDE Unterschiede zwischen Labor und Realität Vergangenheit? Zumindest nähert man sich an: De facto würden Abweichungen von Abgaswerten zwischen Labor und Straße definitiv ausgeschlossen, heißt es beim VDA. Allerdings, warnt man beim ADAC, könne es auch hier im alltäglichen Betrieb zu Abweichungen kommen, da auch im RDE-Messverfahren nicht jede Fahrweise eines jeden Autofahrers abgedeckt werde. Quelle: dpa
Wie sieht es mit den neuen Labortests aus? Ziel der neuen Testmethoden im Labor ist es, realitätsnähere Kraftstoffverbräuche darzustellen. Erste Studien prognostizieren laut ADAC, dass durch die neuen Methoden die bisherige Lücke zwischen Messungen im Labor und auf der Straße halbiert werden könnte. Das genaue Ausmaß der Verbesserung ist derzeit jedoch schwer einzuschätzen, weil die neuen Vorgaben noch nicht gelten. Allerdings werden die Verbraucher sich auch darauf einstellen müssen, dass die Test zu höheren Normverbrauchswerten führen. Quelle: dpa
Muss ich mein Auto jetzt umrüsten? Nein: Die neuen Tests gelten nur für neue Fahrzeugmodelle. Autos, die bereits im Verkehr sind, sind davon nicht betroffen. Quelle: dpa

Ein kleiner, eckiger Kasten, oben ein Tragegriff. Was Jürgen Resch für seinen Frühlingsspaziergang durch die sonnige Berliner Innenstadt mitgebracht hat, sieht aus wie ein Arztköfferchen, ist aber ein „Partikelanzahlmessgerät“. Mit dem TSI P-TRAC 8525 kann der Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH) Feinstaubsünder aufspüren – Autos, die besonders viele gesundheitsschädliche Partikel in die Luft blasen.

Der Umweltaktivist muss nicht lange suchen: Hinter einem benzinbetriebenen Smart misst er 440.000 Partikel pro Kubikzentimeter Luft. Resch: „Ich habe schon viele schlechte Werte gesehen, aber so etwas findet man sonst nur in den Abgasfahnen von Kreuzfahrtschiffen.“

Der winzige Smart ist in Wahrheit ein rußender Riesenschlot. Ausgerechnet der Zweisitzer, der für dicht besiedelte, urbane Räume konzipiert wurde, vergiftet dort die Menschen mit besonders viel krebserregenden und kreislaufschädigenden Partikeln. Feinstaub ist, wie etwa der Münchner Epidemiologe Erich Wichmann sagt, noch deutlich gefährlicher für die Gesundheit als die durch den Dieselskandal in die Kritik geratenen Stickoxide.

Welche Schadstoffe im Abgas stecken

Droht nach Dieselgate, das Volkswagen ins Wanken brachte, den Ruf der Autoindustrie ramponierte und Fahrverboten in Innenstädten Vorschub leistete, nun auch noch ein Benzingate? Vor lauter Fixierung auf die hohen Stickoxidemissionen der Skandal-Diesel wurde das andere große Umweltthema – der Feinstaub – fast übersehen. Und da kommen die Benziner ins Spiel: Der Smart ist nur die extremste Partikelschleuder mit Benzinmotor, bei Weitem aber nicht die einzige. Opel, Volvo, Suzuki, Ford, Kia, Volkswagen – die Liste der Hersteller, deren Benziner bei Feinstaubmessungen von DUH und dem Automobilclub ADAC unangenehm auffielen, ist lang.

Noch sind die hohen Emissionen in der Regel legal. Ab September aber gelten in der EU strengere Grenzwerte für den Partikelausstoß von Benzinern mit Direkteinspritzung. Gemessen am bisherigen Grenzwert, dürfen sie dann nur noch ein Zehntel der Partikel emittieren. Für herkömmliche Benziner ohne Direkteinspritzung gibt es diese Grenzwerte nicht, weil sie in der Regel nicht stark rußen. Die Direkteinspritzer sind die große Hoffnung der Autobauer. Derzeit ist rund jedes zweite Neufahrzeug in Europa mit Benzindirekteinspritzung ausgestattet. Bis 2020 soll der Anteil nach Schätzungen von Bosch auf 60 Prozent steigen.

Der Smart gilt als perfektes Stadtauto – klein und wendig. Doch Abgastests zeigen: Der Smart mit Benzinmotor stößt zu viel Feinstaub aus. Die Deutsche Umwelthilfe fordert deshalb den Entzug der Typgenehmigung.
von Martin Seiwert

Doch das Verschmutzungsprivileg der Direkteinspritzer läuft im September aus. Neu auf den Markt gebrachte Modelle müssen in der EU dann die Werte von Dieselfahrzeugen schaffen. Das geht nur, wenn durch die Bank Partikelfilter eingebaut werden.

Millionen von Benzinern ohne Partikelfilter dagegen werden weiter rußen, auch Neuwagen bereits etablierter Modellreihen. Sie laufen so Gefahr, per Fahrverbot aus Innenstädten verbannt zu werden. Autobauern droht nach dem Dieselskandal und der Diskussion um Fahrverbote für Diesel wegen zu hoher Stickoxidemissionen nun auch eine Debatte um die Feinstaubemissionen von Benzinern. Der Automobilwirtschafts-Professor Willi Diez aus Geislingen bei Stuttgart hält es aufgrund der Emissionswerte für gut möglich, „dass der Blick auch auf die Benziner geht“. Das könne dazu führen, dass manche Kunden weder Diesel noch Benziner wollten – und ganz auf den Autokauf verzichteten.

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