Plötzlich saß er da. Gut zwei Jahre hatte der frühere VW-Konzernlenker Ferdinand Piëch die Öffentlichkeit gemieden – seit er im Frühjahr 2015 die Brocken hingeworfen hatte als Volkswagen-Aufsichtsratschef. Am Dienstag stellte sich der 80-Jährige erstmals wieder einem großen Publikum. In seiner Funktion als Aufsichtsrat der VW-Dachgesellschaft Porsche SE nahm er in zweiter Reihe des Podiums in der Porsche-Arena Platz. Vor Beginn der Reden sprach er mit seinen Sitznachbarn, lächelte sogar mal kurz, doch zumeist war seine Miene starr. Er wirkte müde und gealtert. Schweigend hörte er später den Rednern zu.
Es dürfte Piëchs letzter Auftritt in offizieller Funktion auf der Autobühne gewesen sein. Zwar stand seine Wiederwahl als Aufsichtsrat auf dem Programm, die in dem Familienunternehmen eine Formsache ist. Doch das Ende ist absehbar. Denn der frühere Autopatriarch hat kürzlich fast seinen kompletten Anteil von 14,7 Prozent der Stammaktien der Porsche SE an seine Verwandtschaft verkauft – und damit auch seinen Einfluss auf Volkswagen aufgegeben. Die Finanzholding hält 52,2 Prozent der Stimmrechte beim Autobauer.
Damit der Aktiendeal gültig wird, müssen noch Finanzbehörden mehrerer Staaten zustimmen - das könnte bis Anfang 2018 dauern. Wenn die Behörden grünes Licht geben, soll Piëch sein Mandat niederlegen. Das Mandat als Porsche-Kontrolleur hat er seit 1981.
Aktionärsverteilung der Volkswagen AG
Die von den Familien Porsche und Piëch kontrollierte PSE hält 52,2 Prozent der Volkswagen-Stammaktien.
Quelle: Unternehmen, eigene Recherchen
Das Land Niedersachsen ist in Besitz von 20,0 Prozent der Stammaktien. Damit hat die Staatskanzlei bei wichtigen Entscheidungen – etwa einer Kapitalerhöhung – ein Vetorecht, da bei Volkswagen solche Entscheidungen mit 80 Prozent der Stimmen plus einer Aktie getroffen werden müssen. Weitere Vorzüge für das Land Niedersachsen wurden nach einem EuGH-Urteil 2007 gestrichen.
Die Kataris haben sich im Zuge der Porsche-Übernahme 2009 mit 17 Prozent der Stammaktien eingekauft. Den Anteil hält der Staatsfonds bis heute, es sitzen auch zwei Vertreter Katars im Aufsichtsrat.
10,8 Prozent der Stammaktien befinden sich in Streubesitz.
Wie kam es zu dem Abgang? Jahrzehntelang war Piëch die bestimmende Figur des Autoclans Porsche/Piëch, also der Nachfahren des Ingenieurs und Firmengründers Ferdinand Porsche. 2015 begann der Familienknatsch – Piëch äußerte sich überraschend kritisch über den damaligen VW-Konzernboss Martin Winterkorn, seine Verwandten gaben ihm keine Rückendeckung. Piëch grollte. Sein Ärger wurde so groß, dass er raus wollte aus dem Familienunternehmen – also bot er 2017 seiner Familie sein Aktienpaket mit einem Börsenwert von gut 1,1 Milliarden Euro an.
Die Familie griff zu. An wen genau die Piëch-Anteile letztendlich gehen, ist unklar. Das ist insofern wichtig, als die Familienstämme Porsche und Piëch in der Vergangenheit mitunter in einem gewissen Spannungsverhältnis standen. Ferdinand Piëch verkaufte seine Aktien an seinen Bruder Hans Michel, der allerdings reichte einen Teil davon an den Porsche-Zweig der Familie weiter. Klar ist nur, dass der Piëch-Stamm in dem mächtigen Autoclan auch künftig mehr als 25 Prozent an der PSE hält und somit die Sperrminorität hat. Die Balance zwischen den Familienzweigen Porsche und Piëch, das hat Familiensprecher Wolfgang Porsche beteuert, soll erhalten bleiben.
Die Machtverteilung in der Porsche SE
Der Familienzweig von Ferdinand Piëch hält 14,7 Prozent der PSE-Anteile.
Der Familienzweig von Ferdinands Bruder Hans Michel Piëch hält 14,7 Prozent.
Der Ahorner-Zweig der Familie ist über die Ehe der 2006 verstorbenen Louise Daxer-Piëch mit Josef Ahorner mit dem Clan verbunden. Dieser Familienzweig hält 4,3 Prozent an der Porsche SE. Aus diesem Zweig stammen der Audi-Aufsichtsrat Josef Michael Ahorner und die VW-Aufsichtsrätin Louise Kiesling.
In dieser Stiftung haben die Nachfahren von Ferry Porsche ihre Anteile gebündelt. Zusammen mit Louise Kiesling aus dem Piëch-Clan, die ihre Anteile ebenfalls in die Porsche Stiftung eingebracht hat, kommt dieser Zweig auf 51,7 Prozent an der Porsche SE.
Die Porsche GmbH hält 14,6 Prozent an der Porsche SE. Eigentümer der Porsche GmbH ist die Salzburger Porsche Holding Gesellschaft m.b.H. Die Porsche Holding Salzburg ist nach eigenen Angaben das größte Automobilhandelsunternehmen in Europa und seit März 2011 eine 100-prozentige Tochter der Volkswagen AG.
Der Branchenexperte Stefan Bratzel sieht den absehbaren Abgang von Piëch auch als Chance für die Großfamilie, interne Gräben zu überwinden. „Die Zeit ist vorbei, dass die Welt in Porsches und Piëchs aufgeteilt wird“, sagt der Professor aus Bergisch Gladbach.
Spätestens 2018 macht Ferdinand Piëch also seinen Aufsichtsratsplatz frei für einen jüngeren Verwandten – damit gewinnt die 4. Generation in dem Autoclan an Bedeutung, also der Urenkel des Firmengründers.
Der 3. Generation bei den Porsche/Piëchs – also den Gründer-Enkeln – gehören sechs Familienmitglieder an, darunter Ferdinand Piëch, sein Bruder Hans Michel sowie deren Cousin Wolfgang Porsche. Zur 4. Generation wiederum zählen 34 Verwandte. Hier ist noch nicht absehbar, wer künftig stärker in den Fokus rückt. Es ist aber naheliegend, dass es Nachfahren sein werden, die ohnehin schon in der Pflicht stehen und schon jetzt Aufsichtsratsposten im VW-Reich haben.
Da wäre zum Beispiel Ferdinand Oliver Porsche, Jahrgang 1961, Neffe von Wolfgang Porsche. Der Jurist sitzt ohnehin schon im Aufsichtsrat der PSE, von VW und Audi – damit hat er in der 4. Generation den meisten Einfluss. Da wäre zudem der Sohn von Familiensprecher Wolfgang, Christian Porsche, Jahrgang 1974 – der Mediziner mit Praxis in Salzburg sitzt im Aufsichtsrat der VW-Lastwagentöchter MAN und Scania. Peter Daniell Porsche, ebenfalls Neffe von Wolfgang, hat eine Beteiligungsholding mit Verlagen und kleinen Industrieunternehmen – er ist im Kontrollgremium der VW-Tochter Skoda.
Hinzu kommen andere Kandidatinnen: etwa Julia Kuhn-Piëch, Jahrgang 1981, Tochter von Hans Michel Piëch – sie ist im Aufsichtsrat bei MAN und Audi. Die im Jahr 1957 geborene Louise Kiesling sitzt im VW-Aufsichtsrat. Eigentlich gehört sie zum Piëch-Zweig, doch sie brachte ihre Aktien ein in eine Stiftung auf der Porsche-Seite. So hat Kiesling schon vor Jahren den familieninternen Graben überwunden.
Der war einst so tief, dass die Familienzweige 1971 eine harte Entscheidung fällen mussten: Sie einigten sich darauf, dass kein Verwandter mehr operativ das Sagen haben durfte beim Sportwagenbauer Porsche. Auch Ferdinand Piëch musste damals gehen –- und machte später Karriere bei Audi und Volkswagen. Seine Wiederwahl als Porsche-Aufsichtsrat am Dienstag könnte das letzte Kapitel einläuten, in dem Zugehörigkeit zu einem der Familienzweige noch eine große Rolle spielt – bevor jüngere Nachfahren das Zepter übernehmen, egal von welchem Zweig. Eins ist für Autofachmann Bratzel sicher: „Einen so starken Einfluss auf die Autobranche ausüben wie Ferdinand Piëch wird keiner der jüngeren Familienangehörigen.“