Folgen des Coronavirus Wenn China hustet, kränkelt das Auto-Geschäft der ganzen Welt

Leere Hallen, stillstehende Bänder in der Produktion: Das Coronavirus schadet den Autoherstellern. Quelle: ZF

Für die Autoindustrie sind die Ausfälle in China durch das Coronavirus besonders hart. Neben dem akuten Geschäftsverlust stehen die Lieferketten langfristig unter Stress. Doch es gibt auch einen positiven Effekt.

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Die Zahlen klingen dramatisch: Allein im Februar gingen die Autoverkäufe in China als Folge der Covid-19-Erkrankungen um mehr als 80 Prozent zurück. So manch einer malte schon das Menetekel des Absatz-Weltuntergangs an die Wand. Der Branchenverband China Passenger Car Association (PCA) senkte am Montag zum zweiten Mal seine Prognose: Für das laufende Jahr sei von einem Absatzrückgang um acht Prozent auszugehen. Für die ersten beiden Monate des Jahres summiere sich das Minus auf 41 Prozent.

Jan Burgard von der Strategieberatung Berylls ordnet die scheinbar alarmierenden Zahlen ein: „Der Februar ist in China generell kein verkaufsstarker Monat und dessen Auswirkung auf das Gesamtjahresergebnis nach unserer Prognose daher gering.“ Berryls geht von einem Absatzrückgang im Gesamtjahr 2020 von etwa sechs Prozent aus – „vorausgesetzt, das Coronavirus wird zeitnah eingedämmt“.

Der Handel in China geht allerdings jetzt schon auf dem Zahnfleisch. Viele Autohäuser bleiben geschlossen – und wenn sie offen sind, kommen keine Kunden. Mehr denn je zählt: Wenn das Reich der Mitte hustet, kränkelt das Geschäft der Autobauer auf der ganzen Welt. Nachdem 2019 in China mit 25,8 Millionen Autos und einem Marktrückgang von 8,2 Prozent ohnehin kein besonders gutes Autojahr war, droht 2020 das Corona-Desaster.

Leergefegtes Autohaus: In China sind die Autoverkäufe massiv eingebrochen. Quelle: press-inform

Ob der Erreger in die Schranken gewiesen werden kann, ist noch nicht abzusehen. Sollte die Verbreitung über einen längeren Zeitraum anhalten, dürften die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Automobilindustrie einschneidend sein. Längst spielt sich die Produktion auf globaler Ebene ab – egal, ob sie in Hamburg, Beijing oder Los Angeles verkauft werden. Die Wertschöpfungs- und Fertigungsketten gleichen einer gut geschmierten Maschine, bei der ein Rädchen ins andere greift, um Produktionskonzepte „just in time“ umzusetzen. Sobald nur ein bisschen Sand im Getriebe ist, droht das fragile Konstrukt aus dem Gleichgewicht zu geraten. Jetzt legt ein Virus wichtige Produktionsstätten in China und auch in anderen Ländern, wie etwa Italien, lahm – ein kapitaler Fertigungs-Motorschaden wird immer wahrscheinlicher, je länger die Fabriken geschlossen sind.

Hersteller wie Renault-Samsung, General Motors, SsangYong, aber auch Hyundai und Kia haben ihre Produktion in Korea längst aussetzen müssen, weil dringend benötigte Bauteile aus China nicht geliefert wurden. Auch in Norditalien führt Covid-19 zu Produktionsaussetzern. Für den Verband der Automobilindustrie (VDA) ist inzwischen klar, dass sich das Virus zunehmend international und spürbar auf die Prozesse und die Wertschöpfung in zahlreichen Betrieben entlang der Lieferkette auswirkt. „Wir rechnen derzeit nicht mit einem raschen Abklingen der Ausbreitung“, sagte VDA-Chefin Hildegard Müller.

Bei ZF bleibt man noch gelassen. „Im Lauf des Jahres kann der aktuell absehbare Produktionsausfall mit Flexibilität und Zusatzarbeit zum Teil wieder aufgeholt werden. Wir gehen davon aus, dass sich die Märkte in einiger Zeit wie auch nach Grippewellen wieder normalisieren. Jene Regionen, in denen sich die Coronaviren derzeit stärker verbreiten, stehen aber erst am Anfang der wirtschaftlichen Probleme, die China schon hinter sich hat“, heißt es aus Friedrichshafen.

Bei den Autobauern hofft man, dass die chinesischen Betriebe bald wieder beziehungsweise weiterhin die Arbeit wieder aufnehmen. „Die Joint Ventures FAW-Volkswagen und Saic Volkswagen der Volkswagen Group China haben ihre Produktionspläne aktualisiert. Wir arbeiten hart daran, zu normalen Produktionsprozessen zurückzukehren, sehen uns jedoch Herausforderungen gegenüber, die auf einen verzögerten landesweiten Neustart der Lieferketten sowie eingeschränkte Reisemöglichkeiten für Produktionsmitarbeiter zurückzuführen sind“, so Nicolas Thorke, Pressesprecher von VW China. Wie es bei einer zweiten Epidemiewelle weitergeht, wenn sich die Lage verschärft, steht noch in den Sternen.

Bei manchen Teilen der Automobilindustrie laufen schon die Planspiele, wie man die Produktion gegen eine solche Unbill resistenter machen kann. Schließlich dürfte das Coronavirus nicht der letzte Erreger dieser Art gewesen sein, der die Welt heimsucht. Es wird sogar die heilige Kuh der „Just in time“-Produktion auf den Prüfstand gestellt. Man denkt wieder über größere Vorhaltebestände nach. Der Zulieferer ZF sieht diese Notwendigkeit indes noch nicht: „Drohende Lieferengpässe können vermieden werden, indem wir aus anderen Werken unseres weltweiten Produktionsnetzwerks liefern, manchmal mit umständlicheren Transportwegen, notfalls per Luftfracht. Die branchenübliche Lieferung „just in time“ bleibt aber bestehen – ein Aufbau von Sicherheitsbeständen als Puffer ist nicht geplant.“



Doch kein Wehe, bei dem es kein Heil gibt. Als Reaktion auf die Umstände treiben die Hersteller die Digitalisierung beim Autoverkauf voran. Das Ziel: etwa ein Viertel des Handels rein digital abzuwickeln. Um das zu realisieren, müssen vielfältige Dienstleistungen, wie zum Beispiel der Hol- und Bringservice bei einer Testfahrt installiert werden. Daran arbeiten die Automobilhersteller in den entsprechenden Gebieten. So gesehen hat die Ausbreitung des Coronavirus sogar eine positive Folge, da die Digitalisierung vorangetrieben wird.

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