Fragwürdige Vertragsverhältnisse Arbeitsgericht stoppt BMWs Werkvertrag-Tricks

Das BMW-Hauptquartier in München Quelle: AP

Systematisch nutzt BMW billiges Personal externer Dienstleister und begibt sich dabei immer wieder in arbeitsrechtliche Grauzonen. Jetzt stoppt das Arbeitsgericht München mit einem noch nicht rechtskräftigen Urteil die weiß-blaue Trickserei. In drei Fällen muss der Konzern Ex-Werkverträgler wie eigene Mitarbeiter behandeln und soll Löhne und Rentenversicherungsbeiträge in Millionenhöhe nachzahlen.

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Die reine Freude am Fahren war es nicht, warum Robin Bühner* bei PS-starken Zweirad-Messen wie der Intermot in Köln glänzende BMW-Motorräder vorführte. Der Profi-Biker lebte seit dem Jahr 2000 hauptberuflich von der Präsentation der BMW-Maschinen. Angestellt war der BMW-Markenbotschafter aber bei einem unbekannten Dienstleister namens KMF Messe- und Fuhrparkservice aus dem bayrischen Pfaffenhofen, der im Wesentlichen offenbar von einem Kunden lebte: BMW.

Die Vertragskonstruktion zwischen dem Premium-Konzern und dem Kleinunternehmen, so urteilte jetzt das Arbeitsgericht München, war von Anfang an illegal. Faktisch, entschied das Gericht – bisher unbemerkt von der Öffentlichkeit - am 22. August, dass KMF Bühner und zwei ebenfalls klagende Kollegen wie Leiharbeiter an BMW überlassen habe. Dafür aber fehlte KMF die Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung. Und dadurch, so die rechtliche Schlussfolgerung der Richterin, waren Bühner und die anderen die Motorrad-Profis von KMF faktisch Mitarbeiter von BMW und müssen nachträglich auch so behandelt werden.

Was das bedeutet, erklärt der Hamburger Rechtsanwalt Martin Krömer, der Bühner und Kollegen vertritt: „BMW hat den Klägern alle Sozialversicherungsleistungen – also für Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Krankheit und betriebliche Altersversorgung - vorenthalten.“ Das gilt auch für weitere fünf Bühner-Kollegen, die sich mit BMW außergerichtlich über ihre Lohn-Ansprüche verglichen haben. Der Konzern hat ihnen dabei laut Krömer Beträge in jeweils sechsstelliger Höhe zugesprochen. Doch die rückwirkenden Ansprüche der Sozialversicherungen bestehen auch für diese früheren KMF-Kräfte. Allein den Schaden, der den Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung in den insgesamt acht KMF-Fällen entstanden sei, schätzt Krömer „auf deutlich über drei Millionen Euro“.

BMW nimmt zu dem Urteil derzeit nicht Stellung. Denn eine schriftliche Begründung des Urteils liege noch nicht vor, teilt die Konzern-Pressestelle mit. Das Unternehmen kann noch in die nächste Instanz gehen, um zu verhindern, dass die Klatsche dieses Gerichtsurteils rechtkräftig wird.

Die Münchner Entscheidung ist der vorläufige Höhepunkt einer langen Kette von Negativ-Schlagzeilen um fragwürdige Werkvertragsverhältnisse bei Deutschlands feinsten Auto-Adressen. Mal traf es Daimler, mal BMW. Die Sindelfinger fuhren nach einigen Niederlagen in früheren Jahren – so klagten sich etwa Testfahrer erfolgreich ein – zuletzt vor Gericht reihenweise Siege ein und konnten einen neuen Aufstand der Werkverträgler juristisch niederschlagen. BMW aber steht nun erneut am Pranger.

Was dabei auffällt: Ausgerechnet Mitarbeiter, die in der Öffentlichkeit BMW-Fahrzeuge präsentieren oder Anfragen unzufriedener Kunden beantworten und somit Aushängeschilder des Konzerns sein sollen, schiebt BMW an billige Subunternehmer ab. So leistete sich Bayerns Vorzeige-Arbeitgeber jahrelangen Streit um die externen Mitarbeiter des Dienstleisters PR Hofer im Münchner Markentempel BMW-Welt. Auch die via Werkvertrag bei mehreren Biennalen in Berlin oder beim Filmfest München eingesetzten Hofer-Chauffeure und -Hostessen, die Filmstars und anderen prominenten Gästen zu Diensten standen, beschäftigten Rentenkasse und Staatsanwaltschaft. Ebenso klagten zwei Mitarbeiter des BMW-Beschwerdemanagements schon auf Festanstellung bei dem Autohersteller. In einem Fall gewann der Konzern, im anderen kam es zu einem Vergleich, nachdem der Kläger in erster Instanz gewonnen hatte.

Die Fälle, die oft mit Vergleichen enden, weisen Unterschiede auf – aber die Probleme ähneln sich. Um Tariflöhne und konzerninterne hohe Sozialstandards nicht zahlen zu müssen, beauftragen Autokonzerne und andere Industrieunternehmen Dienstleister, die mit ihrem eigenem Personal antreten. Nicht selten aber sind diese externen Helfer viel zu eng in die Urlaubs- und Personalplanung des Auftraggebers integriert, sie arbeiten mit den Arbeitsmitteln des Auftraggebers, sie haben interne Mailadressen und folgen den direkten Anweisungen des Konzern-Personals. Vom eigenen Arbeitgeber kriegen sie nur noch das Gehalt. Gerichtsfest nachzuweisen, dass Werkvertragskräfte über viele Jahre faktisch Stammarbeitskräfte und nur zum Schein externe Mitarbeiter sind, ist trotzdem gar nicht so leicht.

Dass das im Fall BMW/KMF dem Arbeitsrechtler Krömer und seinen Mandanten gelungen, ist der klassische Sieg David gegen Goliath und eine schwere Schlappe für die Konzern-Juristen aus München.

Warum das gelang, wurde im Gerichtsverfahren deutlich. Krömers Mandanten berichteten, BMW habe schon bei der Gründung von KMF um die Jahrtausendwende selbst Pate gestanden. Möglicherweise hatte der Konzern Sorge, seine bis dahin als Freiberufler auftretenden Messe-Helfer könnten dem Gesetz nach Scheinselbstständige sein. Einer der Partner gründete im Einverständnis mit BMW dann KMF und beschäftigte dort bald ein knappes Dutzend Mitarbeiter, die fast ausschließlich für BMW tätig waren. Dass auch diese Umgehungskonstruktion angreifbar war, fiel nach WirtschaftsWoche-Informationen 2016 BMW-Innenrevisoren auf. Anstatt aber die KMF-Leute endlich in den Konzern zu integrieren, wurde ein neues Schlupfloch gesucht. Bühner und Kollegen erhielten von ihrem Chef die Mitteilung, ihre Verträge liefen Ende 2016 aus. Sie sollten zu schlechteren Bedingungen bei einem größeren Dienstleister anheuern und als dessen Kräfte weiter dieselben Jobs für BMW erledigen. Das machten acht der motorradkundigen Messe-Helfer nicht mit und suchten anwaltliche Hilfe.

Krömers Mandanten stehen nach ihrem Sieg vor Gericht erst einmal immer noch ohne BMW-Job da. Krömer: „Der Status meiner Mandanten ab Januar 2017 ist nach dem Urteil so, als hätte BMW sie fristlos gekündigt.“ Sie fordern Lohnausgleich bis Ende 2016 und ihre kompletten Löhne ab Januar 2017. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil aber sind sie ohne Einkommen und ohne jede Absicherung, haben aber dank des positiven Urteils berechtigte Hoffnung auf Regress sowie auf deutlich höhere Rentenansprüche.

Es braucht einen sehr langen Atem, um als Werkverträgler in die Stammbelegschaft zu kommen. Es sei denn, BMW hätte ein Einsehen und würde Bühner und die anderen bewährten Kräften, die 18 beziehungsweise fünf Jahre im Motorrad-Marketing treu der Marke dienten, einfach unter Vertrag nehmen, anstatt zu hoffen, dass sie am langen Arm des mächtigen Konzerns verhungern.

Kompromisse scheinen grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Der BMW-Betriebsrat soll unlängst erreicht haben, dass eine Gruppe extern beschäftigter Marketing-Mitarbeiter, die gute Klage-Aussichten gehabt hätte, von BMW übernommen wurde – aus Freude am arbeitsrechtlichen und betrieblichen Frieden.

Und Ende vergangener Woche verkündete der BMW-Betriebsrat, Arbeitnehmerseite und Konzern hätten sich „nach mehrjährigen Verhandlungen“ auf die Übernahme der rund 160 bisherigen Hofer-Mitarbeitern in der BMW-Welt geeinigt. Ab 1. Januar 2019 würden diese mit ihrem Status unzufriedenen BMW-Markenbotschafter nun „in die BMW AG eingegliedert“.

In diesem Sinne hat Anwalt Krömer an BMW-Chef Harald Krüger persönlich geschrieben, damit der sich für seine drei Mandanten einsetzen möge. Geantwortet hat der Top-Manager bisher nicht.

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*Name von der Redaktion geändert

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